SANDRO MATTIOLI

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Ganz Baden-Württemberg? Nein, nicht ganz…

10. Mai 2017 von S M

Gestern habe ich ein Seminar für Kolleginnen und Kollegen gegeben, die mehr über Investigative Recherche erfahren und lernen wollen. Veranstalter war die Journalistische Berufsbildung JBB des Verlegerverbandes in Baden-Württemberg mit dem wackeren Bernie Haupt, dazu eingeladen hatte mich die Initiative ProRecherche und Wolfgang Messner, einer der Gründer der Initiative. Bei der Vorbereitung zu dem Seminar habe ich Akten durchgesehen, teils aus Neugier, wo die Mafia in Baden-Württemberg schon überall Spuren hinterlassen hat, teils mit dem Wissen, dass sie im Ländle quasi flächendeckend vertreten ist. Natürlich sind mir die Festnahmen in Singen und überhaupt im Bodenseeraum in Erinnerung, schließlich habe ich sie damals in Deutschland bekannt gemacht. Stuttgart sowieso. Metzingen, Mannheim, klar. Aber als ich die Liste dann fertig hatte, war ich doch überrascht. Warum? Darum:

Backnang, Bad Kissingen, Bad Säckingen, Bad Urach, Bühl
Denkendorf, Dettingen, Donaueschingen
Ebersbach-Weiler, Edingen-Neckarshausen, Eislingen, Engen, Esslingen
Fellbach, Forchheim, Freiberg, Freiburg, Friolzheim
Gailingen am Hochrhein, Grenzach-Wylen
Hassmersheim, Heidelberg, Heidenheim, Heilbronn-Frankenbach, Hohentengen, Holzgerlingen
Karlsruhe, Konstanz, Korb, Korntal-Münchingen, Küssaberg-Reckingen, Kupferzell
Lörrach, Ludwigsburg
Mannheim, Metzingen, Müllheim, Münchingen, Münsingen, Murrhardt
Neckarbischofsheim, Nußloch
Offenburg, Oftersheim
Pforzheim
Radolfzell, Rastatt, Ravensburg, Reutlingen, Rielasingen-Worblingen, Rudersberg
Schramberg, Sigmaringen, Singen, Steinen-Hägelberg, St. Georgen, Stuttgart
Tübingen
Uhingen, Ulm
Villingen-Schwenningen
Waiblingen, Waldshut-Tiengen
Zimmern

…und sicher sind das noch längst nicht alle Orte, in denen entweder ein Mafioso gewohnt hat, aktiv war oder festgenommen worden ist.

Kategorie: Blog Stichworte: Baden-Württemberg, Clan, Deutschland, Ländle, Locale, Mafia, Musterländle

Auf der anderen Seite

18. März 2017 von S M

Als der Antimafia-Demonstrationszug im Hafen von Messina endlich in Gang kommt und sich zum Dom emporschiebt, steht ein Junge seltsam unbewegt am Straßenrand. Es ist der 21. März 2016. Schon lange wird an diesem Tag in Italien an die unschuldigen Opfer der Mafia erinnert, doch erst seit diesem Jahr ist er ein offizieller Gedenktag. 30 000 Menschen sind aus dem ganzen Land nach Sizilien gekommen. „Die Mafia ist ein Haufen Scheiße“, schreit eine Gruppe von Schülern mit Plakaten in der Hand. „Raus mit der Mafia aus dem Staat!“, eine andere. Auch der Bürgermeister der Stadt ist irgendwo im Pulk unterwegs und diskutiert mit Bürgern. Wie immer bei öffentlichen Anlässen trägt er ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Free Tibet“. Nonnen laufen mit und Punks, manche gedenken schweigend der Toten.

Der Junge aber, nennen wir ihn Calogero, zeigt keine Regung. Steif steht er auf dem Trottoir, zieht eine Zigarette nach der anderen aus der Schachtel. Wie ein Mann will er rauchen: nur die nötigsten Bewegungen machen, den Rücken durchgedrückt, das Haupt erhoben, die Augen verborgen hinter einer Pilotenbrille. Das Feuerzeug führt er cool zur Zigarette. Er fühlt sich sichtlich unwohl hier, aber das sagt er nicht: Calogero ist wortkarg. Etwas mit Mode will er einmal machen; was genau, behält er für sich. Mit Fremden zu sprechen ist er nicht gewohnt und vermeidet es. Ratsam wäre es ohnehin nicht: nicht, wenn es um private Dinge geht, und privat ist in seinem Heimatort so ziemlich alles. Und erst recht nicht, wenn man derlei Bekanntschaften pflegt, wie er es tut. Einmal schiebt der Junge die Sonnenbrille nach oben. Seine großen dunklen Augen würden Wärme ausstrahlen, wären die Gesichtszüge drum herum nicht eingefroren. Schnell fällt die Brille wieder. Er lächelt nicht, nicht hier.

Über Calogero darf nichts in diesem Text stehen, was ihn erkennbar machen würde. Er ist erst 16 Jahre alt, er hat die Zukunft noch vor sich. Wobei das nicht ganz so sicher ist. Denn Calogero kommt aus einem klassischen Mafia-Ort in Kalabrien; manch 16-Jähriger erlebt dort seinen dreißigsten Geburtstag nicht oder wenn, dann im Gefängnis. Einer der mächtigsten Clans der ’ndrangheta, der kalabrischen Mafia, hat in seiner Heimat das Sagen. Viele im Ort sind mit der Bande im Bund. Auch Calogero. [Weiterlesen…]

Kategorie: Lieblingstexte, Reportagen

Die Gewissheit des Todes

27. Februar 2017 von S M

Die Luft flirrt in der Hitze über der großen Betonfläche vor der Halle, ein Kühllastwagen parkt an ihrem Rand. An seinem Heck leuchtet das Emblem des Roten Kreuzes. Hier sind sie drin. Ab und an bläst der Wind einen Fetzen Gestank herüber, vergleichbar dem von Kuhdung, nur süßer. Es ist der Geruch des Todes. Seit Kurzem werden hinter den Mauern dieser Halle massenweise Leichen gewaschen, geröntgt, begutachtet, die persönlichen Dinge und alles, was die Menschen bei sich trugen, erfasst und dokumentiert. Werden Tätowierungen, Narben und Knochenbrüche gesucht, Gebisse fotografiert und Kleidungsstücke und Schmuck aufgenommen. Gerichtsmediziner aus ganz Italien beteiligen sich an dem Projekt. Kühllastwagen wie dieser bringen die Toten.

Hier, umgeben von Zäunen und Mauern und im Schutz von hochbewaffneten Soldaten, auf einer Nato-Basis an der sizilianischen Ostküste nahe der kleinen Stadt Melilli, hier will Italien Europa aufrütteln. In einer Halle, die erdbraun ist wie die von der Sonne verbrannten Flächen drum herum, erdbraun wie die Verwaltungsgebäude nebenan, erdbraun wie die Tarnuniformen der Soldaten, die hier Dienst tun.

Der Weg zu dieser Halle ist mit Gittern abgegrenzt. Attenzione, area riservata, warnen daran angebrachte Schilder, sich nähern untersagt. In gleich vier Sprachen verbieten sie das Aufnehmen von Fotos. Kaum einmal schimmert das Blau des Meeres irgendwo zwischen den Gebäuden durch.

Es ist der Versuch, systematisch so genannte post-mortem-Daten zu sammeln, also Informationen, die helfen können, diese Toten zu identifizieren. [Weiterlesen…]

Kategorie: Italien, Lieblingstexte, Reportagen Stichworte: Flüchtlinge, gleiche Rechte, identifikation, Italien Sizilien, Migranten, Tote

Mafiaparadies Deutschland

29. September 2016 von S M

Blätter für internationale Politik, 01.07.2016

Jüngst erzählte der Generalstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato, in einem Vortrag von seinem ersten Arbeitstag in der Staatsanwaltschaft. Ein erfahrener Kollege habe ihn damals, im Jahr 1991, zu einer Stadtrundfahrt in seinem Wagen eingeladen, erinnerte sich Scarpinato. Er erwartete, die Sehenswürdigkeiten seiner neuen Wirkungsstätte Palermo vorgeführt zu bekommen. Doch der Kollege steuerte als erstes eine unauffällige Straße an, stoppte den Wagen und sagte: „Hier starb am 3. April 1982 der Carabinieri-General Carlo Alberto Dalla Chiesa, zusammen mit seiner Frau und seinem Leibwächter.“ Als nächstes hielten sie an der Stelle, wo der sizilianische Regionalpräsident ermordet worden war. Und sie fuhren weiter, von einer Straße zur anderen, von Mordschauplatz zu Mordschauplatz, von einem Tatort zum nächsten, einen ganzen Tag lang. Überall hatte die Mafia unschuldige Menschen hingerichtet: Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Politiker, die sich den Verbrechern in den Weg gestellt hatten. In den folgenden Jahrzehnten kamen noch viele Orte hinzu, die man besuchen könnte. Viele hundert Tote hat die Mafia in Italien heute auf dem Gewissen.

In Deutschland gibt es glücklicherweise nicht so viele Tatorte wie in Sizilien und im übrigen Italien, und sie sind weniger bekannt. So begrüßenswert das ist, führt es doch auch in die Irre, und das in mehrfacher Hinsicht [Weiterlesen…]

Kategorie: Artikel, Italien, Mafia Stichworte: 'ndrangheta, beschlagnahme, Cosa Nostra, Einzug, Geldwäsche, Kriminalität, legale Wirtschaft, Mafia, Palermo, Schattenwirtschaft, Sizilien

Claudio Michele Mancini und seine Plagiate meiner Texte: Vom Recht haben und Recht bekommen

3. August 2016 von S M

So sieht es aus, wenn man einen Konkurrenten, der mit illegitimen Mitteln arbeitet, verklagt und gewinnt. Heißt leider noch lange nicht, dass man dann auch das zugesprochene Geld sieht. Gauner finden einfach immer einen Weg. Hier das Versäumnisurteil und Kostenfestsetzungsbeschluss 2015 geschw

Kategorie: Blog, Uncategorized

„Bestechung wird jetzt ganz anders wahrgenommen“

1. März 2016 von S M

Für den Newsletter des Vereins Mafia? Nein, Danke ! e.V., dessen Vorsitzender ich bin, habe ich ein Interview mit dem Korruptionsforscher Stephan Thiel geführt:

Korruption rückte in den vergangenen Jahren verstärkt ins Rampenlicht und ist auch für die Forschung ein Thema. Ein großes Verbundprojekt mit dem Titel Risikomanagement der Korruption stellt wichtige Fragen zu dem komplexen Thema. Mehrere Universitäten sind daran beteiligt. Wir sprachen mit Dr. Stephan Thiel von der Arbeitsgruppe der Universität Halle.

Herr Thiel, was macht ihre Arbeitsgruppe in Halle? 

Manche Partner des Verbundprojekts erstellen allgemeine Bevölkerungsumfragen zur Wahrnehmung von Korruption, andere konzentrieren sich sehr stark auf Compliance, also auf die Einhaltung von Verhaltensmaßregeln, Gesetzen und Richtlinien durch Unternehmen. Wir analysieren in unserem Teilprojekt Korruptions-Netzwerke anhand von Ermittlungsakten. [Weiterlesen…]

Kategorie: Blog

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