Wer erfahren möchte, wie die Cosa Nostra auf Sizilien entstanden ist:
Mafiaparadies Deutschland
Blätter für internationale Politik, 01.07.2016
Jüngst erzählte der Generalstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato, in einem Vortrag von seinem ersten Arbeitstag in der Staatsanwaltschaft. Ein erfahrener Kollege habe ihn damals, im Jahr 1991, zu einer Stadtrundfahrt in seinem Wagen eingeladen, erinnerte sich Scarpinato. Er erwartete, die Sehenswürdigkeiten seiner neuen Wirkungsstätte Palermo vorgeführt zu bekommen. Doch der Kollege steuerte als erstes eine unauffällige Straße an, stoppte den Wagen und sagte: „Hier starb am 3. April 1982 der Carabinieri-General Carlo Alberto Dalla Chiesa, zusammen mit seiner Frau und seinem Leibwächter.“ Als nächstes hielten sie an der Stelle, wo der sizilianische Regionalpräsident ermordet worden war. Und sie fuhren weiter, von einer Straße zur anderen, von Mordschauplatz zu Mordschauplatz, von einem Tatort zum nächsten, einen ganzen Tag lang. Überall hatte die Mafia unschuldige Menschen hingerichtet: Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Politiker, die sich den Verbrechern in den Weg gestellt hatten. In den folgenden Jahrzehnten kamen noch viele Orte hinzu, die man besuchen könnte. Viele hundert Tote hat die Mafia in Italien heute auf dem Gewissen.
In Deutschland gibt es glücklicherweise nicht so viele Tatorte wie in Sizilien und im übrigen Italien, und sie sind weniger bekannt. So begrüßenswert das ist, führt es doch auch in die Irre, und das in mehrfacher Hinsicht [Weiterlesen…]
Carmine Schiavone und der Giftmüll in Neapel
Ist deutscher Atommüll Schuld daran, dass Kinder in Kampanien an Krebs sterben? Wir konnten diese Frage leider nicht klären. Dazu müssten wohl die von dem Kronzeugen Carmine Schiavone beschriebenen Bleikisten gefunden werden. Doch ob jemand diese wirklich finden will, ist eine andere Frage. Es würde jedenfalls immense Folgekosten nach sich ziehen, ähnlich wie im Fall der mit Gift- und radioaktivem Müll beladenen und dann im Meer versenkten Schiffe.
Beim Bundeskriminalamt gibt man vor, mit Schiavone nicht über das Thema gesprochen zu haben, bei den beteiligten Landeskriminalämtern heißt es das gleiche und der Bundesnachrichtendienst äußert sich nicht – selbst wenn uns bestätigt worden ist, dass er damals, als Schiavone in Deutschland befragt worden ist, in die Sache involviert war. Dennoch ist aus dem gemeinsam mit meinen Kollegen Andrea Palladino und Mike Lingenfelser gedrehten Material ein schöner Film geworden, wie ich finde.
Heute geht mein für den Bayerischen Rundfunk erstellter Beitrag auf Sendung. Es hat Spaß gemacht, Bild und Ton zu einem Ganzen zusammenzufügen. Danke auch an meine hervorragende Cutterin Monika Müller.
Anmerkung: Eine Langversion des Beitrages lief im Magazin Kontrovers des bayerischen Rundfunks. Er ist hier online.
Mein Beitrag für Report München
Auch deutscher Abfall vergiftet die Menschen rund um Neapel – Carmine Schiavone und der Atommüll aus Deutschland. Ein Klick auf das Bild öffnet das Video in einem neuen Fenster.
Millionen Tonnen hochgiftigen Mülls soll der berüchtigte Mafia Clan der Casalesi auf den fruchtbaren Feldern rund um Neapel illegal vergraben haben. Ärzte beklagen seitdem steigende Krebsraten. Die Polizei beschlagnahmt kontaminiertes Gemüse. Erstmals im deutschen Fernsehen packt nun der Mafia-Kronzeuge Carmine Schiavone über das Geschehen auf dem heute Terra dei Fuochi, Feuerland, genannten Gebiet aus.
Bericht: Mike Lingenfelser, Sandro Mattioli, Andrea Palladino, Reinhard Weber
Wir sind in Süditalien. Auf der Fahrt zu einem Mafia-Kronzeugen – an einem streng geheimen Ort. Erstmals gibt Carmine Schiavone ein Interview im deutschen Fernsehen über das Geschäft mit Giftmüll aus Deutschland.
Als er uns in seinem Garten empfängt und erzählt, dass er hier nur biologisch anbaut, möchte man fast vergessen, dass dieser Mann viel Blut an den Händen hat. Jahrelang war er Chef der berüchtigten Casalesi.
Aus gutem Grund isst er nur noch sein eigenes Gemüse. Zu viel Giftmüll hat sein Mafia-Clan in den Äckern verbuddelt.
Carmine Schiavone, Mafia-Kronzeuge: „Ich esse nicht mal mehr die Tomaten aus der Dose.“
Besuch in der Villa des Ex-Mafiabosses. Sein Clan ist der Gefürchtetste rund um Neapel. Auch mit Waffen hatte er gehandelt, etwa Kalibern wie dieser Attrappe. Offen spricht er über hunderte Auftragsmorde und ein gutes Duzend, das er selbst verübt hat.
Carmine Schiavone, Mafia-Kronzeuge: „Wir haben sie mit Pistolenschüssen umgelegt, mit Maschinenpistolen und Gewehren, dann gab es das Strangulieren. Und wir haben sie in Säure aufgelöst oder sie an Orten vergraben, wo manche bis heute nicht gefunden wurden.“
Schiavone zeigt bei den Morden keine Reue. Aber eines will er nicht auf sich sitzen lassen: Dass sein Clan ganze Landstriche mit Giftmüll verseucht und damit Menschen vergiftet hat. [Weiterlesen…]
Mafioso außer Dienst
Du musst wissen, welcher Knopf der richtige ist. Es ist eine typische italienische Klingelanlage: mattsilberne, runde Knöpfe, auf den Schildern daneben sind Namen eingraviert. «Bonaventura» brauchst du gar nicht erst zu suchen. Doch neben einem Knopf klebt ein handbeschriebener Zettel mit einem anderen Namen, seinem Tarnnamen. Es wirkt, als würde jemand hier nur für ein paar Wochen leben, vorübergehend. Der Zettel hängt jedoch seit Monaten. Diesen Knopf drückst du.
Irgendwo in Süditalien, Juni 2013, Reportagen
Ein Summen, ein kurzes Knattern, die Tür fällt hinter dir krachend ins Schloss, und du bist in einem Hauseingang: auf festem Marmor, die Wände sind ebenfalls marmorgefliest, bis ganz nach oben, die Decke ist freundlich gestrichen. Die Tür zum Aufzug stemmt sich wie jede Aufzugstür zunächst gegen das Aufziehen, dann kommt sie dir mit Schwung entgegen. Du drückst ein weiteres Mal auf einen Knopf, diesmal einen schwarzen, fährst einige Stockwerke nach oben und stehst vor einer Tür, einer normalen italienischen Wohnungstür in einem normalen italienischen Wohnhaus; sie scheint aus Holz zu sein, ist aber aus Metall. Diese hier ist sogar eines jener Modelle, die beim Schließen mehrere Riegel in den massiven Türrahmen treiben, weil in Italien doch so viel gestohlen wird. Vor Schüssen aber schützt sie nicht. [Weiterlesen…]