SANDRO MATTIOLI

Reporter, Autor und Referent

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Opferschutz? Täterschutz?

29. November 2018 von S M

Gestern berichtete das Medienmagazin Zapp über die Recherche der Kollegen vom MDR, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia. Sie haben gemeinsam mit Kollegen vom Spiegel zur armenischen Mafia in Deutschland recherchiert, mit spannenden Ergebnissen. Die Kollegen fanden heraus, dass die armenische Mafia mit italienischen Clans kooperiert und dass sie Kontakte bis hin zum armenischen Botschafter  in Deutschland hat. Ein Teil ihrer Recherchen ist im Spiegel veröffentlicht worden, ein weiterer Teil sollte in einem Fernsehfilm ausgestrahlt werden. Doch der Botschafter legte eine einstweilige Verfügung ein, die nun in ein Gerichtsverfahren mündet. Ich drücke den werten Kollegen die Daumen!

Was die Medienanwältin Dorothee Bölke in dem Zapp-Beitrag sagt, ist übrigens verständlich, geht aber an der Realität vorbei. Denn nicht jede investigative Recherche erfolgt vor dem Hintergrund eines Gerichtsprozesses und es ist gerade das Problem, dass die Verdachtsberichterstattung mehr und mehr von juristischer Logik bestimmt wird. Dies hat zur Folge, dass sie zunehmend auf dem Vorliegen von Akten und Dokumenten gründet und mündliche Quellen an Wert verlieren. Dies ist aber in einem Feld wie der Berichterstattung über Organisierte Kriminalität ein großes Problem, denn oft handelt es sich um Sachverhalte, über die keine Dokumente existieren oder nicht zugänglich sind oder Quellen nicht vor Gesetz aussagen können, ohne Nachteile bis hin zum Tod befürchten zu müssen. Ich wünschte mir, dass sich in Gerichten mehr mit diesem Aspekt auseinandergesetzt würde, schließlich können die Medien in diesem Bereich ihren für den Schutz von Demokratie und fairem Wirtschaften essenzielle Funktion nur wahrnehmen, wenn Gerichte hier ein gewisses aus diesem Umstand gespeistes Wohlwollen an den Tag legen. Wenn Journalisten auf mafiöse Kontakte eines Botschafters hinweisen, dann tun sie das nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie in genau diesen Kontakten eine Gefahr fürs Gemeinwesen sehen. Beim bloßen Blick auf Paragraphen mag diese Perspektive schnell verloren gehen. Im Übrigen bezahlt den freien Journalisten, die zu diesem Thema arbeiten, niemand die Zeit, die für rechtliche Auseinandersetzungen draufgeht. Was es nochmal weniger lukrativ macht, im Mafiabereich Recherchen zu machen. Das aber hilft niemandem – außer den Kriminellen.

Kategorie: Blog, Mafia Stichworte: Berichterstattung, Deutschland, Mafia, Prozess, rechtliche Probleme, Zapp

Warum nur all dieses Desinteresse?

17. Mai 2018 von S M

Die wunderbare Kollegin Amalia De Simone aus Italien reist für die italienische Zeitung Corriere della Sera durch Europa, immer auf der Spur der italienischen Mafia. Drei Teile widmet ihre Redaktion der ’ndrangheta in Deutschland, immerhin das wichtigste Land für die Verbrecherorganisation. Dafür hat sie auch meine sehr gut informierte Journalisten-Kollegin Margherita Bettoni interviewt, die tolle Giulia Norberti von meinem Verein mafianeindanke, den ehemaligen Leiter der Anti-OK-Abteilung des LKA Berlin, Bernd Finger, und den italienischen Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri, und auch meine Wenigkeit. Alle Interviewpartner mahnen, dass die italienischen Clans in Deutschland ideale Bedingungen finden und eine Gefahr für unser Land sind. Doch wo ist die deutsche Politik, die für Transparenz im Finanzwesen kämpft? Die die Löcher in der Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung schließt? Die sich zum Vorkämpfer gegen Organisierte Kriminalität macht? Die nicht zuschaut, wie tonnenweise Kokain auf den Markt geschwemmt wird, sondern den Dealern die Profite wieder abnimmt? Wo sind die Medien, die das interessiert? Absurderweise wird in Italien mehr über die Mafia in Deutschland berichtet als hierzulande.
Hier die englische Version von Amalia De Simones Feature, Teil 1:

Kategorie: Blog Stichworte: Berichterstattung, Deutschland, Geldwäsche, Investment, Journalist, Kontrolle, Mafia, Medien, Organisierte Kriminalität, Prävention

Ohne viel Blut geht es für die Bild nicht

2. Mai 2018 von S M

Der Staatsanwalt Giuseppe Lombardo aus Reggio Calabria wird heute auf der Titelseite der Bild gefeiert als „härtester Mafiajäger der Welt“. Ich hatte ihn gemeinsam mit Christian Gramstadt für meine Doku für Arte und die ARD, Die Story, interviewt. Als mein Verein mafianeindanke Lombardo später, im Juli vergangenen Jahres, zu einer Antimafia-Konferenz zu Gast hatte, lernten wir ihn erneut als sehr reflektierten, bestens informierten, ruhigen und intellektuellen, sehr angenehmen Gesprächspartner kennen. Aber klar, das macht sich als Titelzeile nicht so gut. Mich persönlich ärgert es extrem, wenn bei der Beschäftigung mit der Mafia der Aspekt der Bedrohungslage so in den Vordergrund gerückt wird. Einfach weil es nicht der Realität entspricht. Ja, es ist gefährlich, sich mit der Mafia zu beschäftigen. Aber noch gefährlicher ist es, wenn sich niemand mit ihr befasst. Es ist trotzdem gut, dass die Bild sich für das Thema Mafia interessiert, selbst wenn sie den ersten Artikel der Serie mit blutigen Bildern en masse garniert. Und selbst wenn sie das mit blödsinnigen reißerischen Sätzen tut wie: „Die Mafiosi haben nichts übrig für Giuseppe Lombardo. Außer einer Kugel. Oder einer Bombe.“

Ich würde mir wünschen, dass sensationsgeile Medien wie die Bild lieber in den Fokus rücken, was in Deutschland in Bezug auf die Mafia los ist, dass Teile der Gesellschaft und Wirtschaft bereits infiltriert sind, dass auch die Sicherheitskräfte nicht sicher vor Mafiakontakten sind und dass Deutschland Investitionsziel Nr.1 für die ’ndrangheta ist. Das sollte in der Zeitung stehen! Ich erwarte von einem Medium wie der Bild, aber auch den anderen großen Medien, dass sie ihrer Aufgabe nachkommen und hierzu recherchieren. und nicht immer dieses Uuh, die Mafia ist gefährlich für die Leute, die sich mit ihr beschäftigen. Also, Bild: Los geht’s! Immerhin geben sie dem von mir sehr geschätzten Giuseppe Lombardo morgen erneut Raum, um über die Mafia in Deutschland zu sprechen.

Als Hintergrund: Giuseppe Lombardo ist mehrfach wegen seiner exzellenten Arbeit bedroht worden. Allerdings vermeidet die ’ndrangheta inzwischen Morde an bedeutenden Persönlichkeiten im Normalfall, weil es ihre Geschäfte stört. Der letzte Mord an einem Staatsanwalt war der an Antonino Scopelliti im Jahr 1991. Die Tat war wohl gemeinsam von Cosa Nostra und ’ndrangheta organisiert und begangen worden, da Scopelliti mit großem Erfolg gegen hochrangige Mafiosi ermittelt hatte.

Und noch ein Nachtrag: Ein Vorschlag von mir, über die Berichterstattung zur Mafia in Deutschland zu reflektieren, wurde vom Netzwerk Recherche, der Vereinigung investigativer Journalisten in Deutschland, aufgegriffen. Beim Jahrestreffen Ende Juni in Hamburg werden die freie Autorin Margherita Bettoni, Axel Hemmerling oder Ludwig Kendzia vom MDR, Giulio Rubino vom italienischen Projekt Irpi und ich darüber diskutieren.

Kategorie: Artikel, Blog Stichworte: bild, blut, Deutschland, Journalismus, Mafia, netzwerk recherche, sensationslüstern

Warum wir die Mafia unterschätzen

22. Januar 2018 von S M

Das Böse wohnt in der Nachbarschaft? Der jüngste Antimafia-Einsatz war spektakulär und hat gezeigt, wie massiv sie hierzulande vertreten ist. Gerade in Baden-Württemberg. Dennoch hält sie kaum jemand für wirklich gefährlich. Warum eigentlich? Fünf Thesen dazu, die ich in der Kontext:Wochenzeitung  veröffentlicht habe:

1. Das Böse ist anderswo, aber nicht in unserer Nachbarschaft.

Sicher hätten sich die Sportler des TV Häslach in Walddorfhäslach im Jahr 2015 nicht träumen lassen, dass der neue Wirt des Vereinsheims ein Mafioso ist. Genauso verhält es sich bei einem anderen Gastronomen im Raum Stuttgart, der eine Zeit lang sogar einen Link zu einer Art Hymne der ’ndrangheta auf seiner Seite hatte. Auch Angela Merkel, die gewiss jeder Nähe zur Mafia unverdächtig ist, hat in Mitteldeutschland ein Lieblingsrestaurant, vor dem sie der Staatsschutz bereits gewarnt hat, dort doch besser nicht zu speisen.

Auch ich persönlich befinde mich in einer schwierigen Situation: Ich mag italienisches Essen sehr gerne. Zugleich lese ich in geheimen Ermittlungsunterlagen, dass der jetzt verhaftete Mario Lavorato „146 Restaurants hat“. Jener Mario also, der sich angeblich gut mit Günther Oettinger verstand. Gerne hätte ich eine Liste mit diesen Lokalen, die gibt es aber nicht. Auf der anderen Seite bin ich Vorsitzender des Vereins mafianeindanke in Berlin, der vor zehn Jahren entstanden ist, und zwar aus einer Gruppe von knapp 50 italienischen Gastwirten, die sich von den italienischen Mafia-Organisationen distanzieren wollten. Wir leisten Aufklärungsarbeit, recherchieren, veröffentlichen einen monatlichen Newsletter, und Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig es ist, Mittel dafür zu bekommen – weil eben alle denken, die Mafia ist ein Problem, das sie nichts angeht.

Mit dem Hintergrundwissen, was ich habe, sehe ich allerdings viele Vorgänge und erfahre viele Details, die mich sorgenvoll stimmen. Leider kann man aus rechtlichen Gründen über vieles nicht sprechen und schreiben. Das deutsche Recht stellt nämlich unter Strafe, Menschen als Mafia-Verdächtige zu bezeichnen – das wäre eine Diffamierung. Zugleich ist es nach deutschem Recht irrelevant, ob jemand der Mafia angehört oder nicht. Dies bedeutet, dass eine Verdachtsberichterstattung über die Mafia de facto nicht möglich ist. Dabei sind es in anderen Feldern oft Verdachtsberichterstattungen, die Ermittlungen auslösen.

Sie sehen, die Katze beißt sich in den Schwanz: Wenn nicht berichtet wird, ist die Mafia tatsächlich anderswo. Wenigstens weiß man jetzt, dank der Staatsanwaltschaft in Catanzaro, dass sie auch in Walddorfhäslach, im Rems-Murr-Kreis, im Ortenaukreis und im Landkreis Reutlingen ist. Zusammen mit vorhergehenden Festnahmen und Ermittlungen (Hechingen, Ludwigsburg, Metzingen, Pforzheim, Singen, Baden-Baden, Rastatt, Rielasingen-Worblingen, Tübingen, Stuttgart, Konstanz, Waiblingen, Backnang …) können wir sagen, dass sie in Baden-Württemberg quasi flächendeckend vertreten ist.

2. Das Böse ist anders als wir, im Umkehrschluss: Wir müssen es doch irgendwie erkennen können.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit liest man nach jeder Festnahmewelle Berichte in den Lokalteilen der Zeitungen über die Mafia, und immer werden darin Nachbarn (Arbeitskollegen, Parteikollegen, Vereinsfreunde etc.) zitiert, die sagen, sie hätten sich nie vorstellen können, dass XY ein Mitglied der Mafia ist. Die Clans haben gelernt, dass absolute Unauffälligkeit am besten für sie und ihre Geschäfte ist. Sprich, für den Otto Normalverbraucher ist es quasi unmöglich, eine Mafia-Zugehörigkeit zu erkennen. Ich selbst habe ehemals hochrangige Mafiosi kennengelernt, die Kronzeugen geworden sind. Es waren zuvorkommende, nette, angenehme Menschen. Zum Teil wussten nicht einmal ihre engsten Verwandten, mit wem sie es zu tun haben.

Anders verhält es sich bei Personen, die für Mafiosi wichtig sind – seien es Unternehmer, die ihnen bei ihren Geschäften behilflich sein können, Menschen aus der Politik, zu denen der Kontakt von den Clans immer gesucht wird, oder auch Abnehmer von Kokain. Diese Leute haben durchaus die Möglichkeit zu durchschauen, mit wem sie es zu tun haben. Das Problem ist: Ist es den Mafiosi erstmal gelungen, eine „Freundschaft“ aufzubauen, interessiert die Betroffenen der Hintergrund ihres „Italieners“ nicht mehr. Und manche lassen sich auch gerne zu einer Reise nach Italien einladen.

3. Wir kennen das Böse aus Filmen, und es ist ganz anders als unsere Umwelt.

Die Mafia profitiert wesentlich davon, dass wir quasi festzementierte Vorstellungen von ihr haben. Die Paten-Filmreihe ist zwar schon lange her, aber sie wirkt immer noch nach: Männer im schwarzen Anzug, die Sonnenbrille, Pistole, feste Rangordnung, strenge Riten … Diese Sicht war damals schon undifferenziert, denn sie ließ die anderen Mafia-Organisationen (Camorra, ‚Ndrangheta, Sacra Corona Unita) außen vor und rückte die sizilianische Cosa Nostra in den Mittelpunkt. Vor allem aber hat sich die heutige Mafia davon schon lange gelöst. Zum Teil setzt sie auf Projektteams, die einen Plan umsetzen und sich dann wieder auflösen. Es gibt zudem Topmafiosi, die die Rituale der Clans wie die Taufe und Versammlungen für Kokolores halten. Die Clans befinden sich in einem steten Wandel, das macht sie so stark.

Mit den Klischees aus Film und Fernsehen haben reale Mafiosi nur wenig gemein.
Organisatorisch: Um weitere Morde wie 2007 in Duisburg zu verhindern, hat man neue Strukturen geschaffen, die auch funktionierten, wie eine Auseinandersetzung zweier Clans aus dem schweizerischen Frauenfeld und dem baden-württembergischen Singen zeigt, die friedlich in Kalabrien gelöst wurde.

Technisch: Lange verwendeten die Mafiosi Geräte, die sie für noch abhörsicher hielten, zum Beispiel Blackberry-Geräte. Jetzt ließen sie eigens eine Verschlüsselungs-App programmieren.

Wirtschaftlich: Die Clans haben ein feines Gespür, wie sich die Milliarden, vor allem aus dem Drogenhandel, waschen lassen, und wie man das Geld dann am besten investiert. Dazu gehören auch neue Wirtschaftszweige wie zum Beispiel die Erneuerbaren Energien. Auch Gelder aus Stuttgart wurden in mafiöse Photovoltaik-Anlagen in Italien investiert. Die Gelder stammten aus dem Umfeld von Mafia-Verdächtigen, wie Ermittlungen in Italien und Deutschland ergeben haben.

Methodisch: Vor zehn Jahren wurde Schutzgeld in Deutschland noch mittels Brief und persönlichem Besuch erpresst. In der Zwischenzeit müssen Gastwirte überteuerte Produkte kaufen. Im Fall des Farao-Clans, der jetzt im Fokus der Ermittlungen stand, waren das Lebensmittel (Wein, Mozzarella, Teigprodukte).

4. Das Böse ist vor allem das, was wir als böse erkennen.

Bertolt Brecht schrieb in seiner Dreigroschenoper den Satz: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Dieser Satz verdeutlicht auf perfekte Art und Weise das Problem der Mafia-Wahrnehmung. Denn er zeigt, dass die Definition des Bösen kein absoluter Prozess ist, sondern vielen Faktoren, auch gesellschaftlichen, unterliegt. In Italien sind das andere als in Deutschland. Dort reicht es, der Mafia zugehörig zu sein, um bestraft zu werden. Denn zum einen ist die Kenntnis des ungeheuren Leidens, das die Mafia-Clans schaffen, Bestandteil des kollektiven Bewusstseins, zum anderen hat Italien andere historische Vorprägungen.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs tut sich Deutschland mit Kollektivstraftaten schwer (obgleich auch nicht so sehr, wenn es um linksradikale Terror-Kriminalität geht). Gleiches gilt für den Einzug kriminellen Vermögens. Was in Italien als Bestandteil eines stark präventiv wirkenden Gesetzeswerks gesehen wird, ist in Deutschland Teil eines Katalogs von Strafen des Staates, und die Beschlagnahme von Privateigentum ist in Deutschland gleich in doppelter Hinsicht problematisch, aufgrund des Vorgehens im Nationalsozialismus sowie in der DDR.

Diese Fixierung auf die Deliktebene spielt den Mafia-Organisationen mehrfach in die Karten. Denn ihre Straftaten sind aus verschiedenen Gründen schwer nachzuweisen. Der Handel mit Kokain läuft stark konspirativ und auch die Wirkung, die einige Konsumenten entfalten können, mag in manchen Gegenden ein Faktor sein. Mafia-Ermittlungen sind sehr aufwändig, man braucht teure Übersetzer und viel Personal, und aufgrund der deutschen Gesetze kommt oft nichts dabei herum. Zugleich reicht das Instrumentarium der Ermittler nicht aus, um zum Beispiel Kapitalströme in angemessener Zeit kontrollieren zu können. Auch ist die Zahl der Polizisten für schwierige Aufgaben zu niedrig.

5. Das Böse zu bekämpfen, ist Aufgabe aller Teile einer Gesellschaft. Fällt ein Teil dabei aus, gerät das Unterfangen ins Stocken.

Das ist nicht mein Problem, das geht mich nichts an. Mafiamorde betreffen doch nur Mafiosi. Die Investition kriminellen Kapitals in Deutschland tut doch niemandem weh. Was stört mich Geldwäsche? So denken wohl viele, und genau diese reduzierte Sichtweise ist es, die den Mafia-Organisationen am besten in die Hände spielt.

Abgesehen davon, dass es viel zu wenig Wissen gibt über die Auswirkungen von Geldwäsche (beispielsweise ist ein Zusammenhang von steigenden Mieten und Geldwäscheinvestitionen im Immobiliensektor naheliegend), ist unstrittig, dass die Aktivitäten der Organisierten Kriminalität uns alle betreffen. Das mahnende Beispiel ist Norditalien: Dort sagte man sich vor Jahren, die Mafia sei ein Problem des Südens. Inzwischen sind manche Gewerbezeige so mafiaverseucht, dass man die Kriminellen nicht mehr aus der Wirtschaft bekommt. Das hat erwiesenermaßen Auswirkungen auf die Produktivität. Und die Zahl der Gemeinderäte, die wegen Mafia-Infiltrationen aufgelöst wurden, ist in Norditalien höher als in Süditalien.

Besonders alarmierend für uns: In Deutschland gibt es 60 Locale der ’ndrangheta, eine Art Ortsverein, und damit mehr als in Norditalien. Diese Zahl nannte der Staatsanwalt Nicola Gratteri, einer der absoluten Experten für die ’ndrangheta in Deutschland und der Mann, der mit seinen Ermittlungen jetzt den jüngsten Schlag auslöste. Jedes Locale hat mindestens 49 Mitglieder, macht also fast 3000 Mitglieder der ’ndrangheta. Dazu kommen noch die anderen Mafia-Organisationen.

Vor allem das sizilianische Beispiel zeigt, dass alle Teile einer Gesellschaft sich gemeinsam gegen die Organisierte Kriminalität stellen müssen, um etwas zu bewirken. Dort wurde die Cosa Nostra erheblich geschwächt, weil sie den Rückhalt in der Gesellschaft verloren hat. Es genügt nicht, wenn die Polizei für das Thema sensibilisiert ist, die Staatsanwaltschaften müssen mitziehen. Die Staatsanwaltschaften wiederum brauchen Gesetze, die anwendbar sind gegen die Organisierte Kriminalität. Bürger müssen die Möglichkeit haben, Verdächtiges melden zu können, ernst genommen werden und ein offenes Ohr finden. Löblich ist hier die Initiative Insieme si può des LKA Baden-Württemberg. Und Unternehmer müssen manche Profitmöglichkeit auslassen. In der Schweiz wird an Schulen informiert über die Gefahren, die von der Mafia ausgehen. In Stuttgart gibt es ein ähnliches Pilotprojekt, Gelebte Zivilcourage, das Schule machen sollte. Warum nicht die italienische Antimafia-Bewegung als regulären Teil des Lehrplans verankern? Ansätze, etwas gegen Organisierte Kriminalität zu tun, gibt es viele. Los geht’s!

Kategorie: Blog, Lieblingstexte Stichworte: 'ndrangheta, Clan, Deutschland, erpressung, farao, festnahme, Mario L., operation, schutzgeld, stige

Mehr und mehr Mafiosi in Deutschland – das Versagen in Zahlen

14. August 2017 von S M

Vor zehn Jahren kam es im Nachgang zu dem Sechsfach-Mord von Duisburg zu einer Bestandsaufnahme der Mafia-Kriminalität in Deutschland. Die damals gesammelten Informationen, etwa ein Sachstandsbericht zu allen Angehörigen der ’ndrangheta in Deutschland, sind noch heute Verschlusssache. Bisher war nur bekannt, dass der ’ndrangheta-Bericht des BKA vom Jahr 2008 weitergeführt wurde und heute rund hundert Seiten mehr umfasst als die Ursprungsversion. Alarmiert von den Ergebnissen der Antimafia-Konferenz von Mafia? Nein, Danke! hat die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um mehr über die italienische Mafia in Deutschland zu erfahren. Die Antwort der Bundesregierung  ist in zweifacher Weise schockierend: Zum einen zeigt sie, wie wenig über das Treiben der Clans in Deutschland bekannt ist. Vor allem aber zeigt sie mit den gegebenen Zahlen das dramatische Versagen der Politik im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität auf.

Kurz zusammengefasst: In den vergangenen Zahlen wuchs die Zahl der Mafia-Angehörigen in Deutschland in eklatantem Maß. [Weiterlesen…]

Kategorie: Blog Stichworte: 'ndrangheta, Deutschland, Gesetze, Mafia

Ganz Baden-Württemberg? Nein, nicht ganz…

10. Mai 2017 von S M

Gestern habe ich ein Seminar für Kolleginnen und Kollegen gegeben, die mehr über Investigative Recherche erfahren und lernen wollen. Veranstalter war die Journalistische Berufsbildung JBB des Verlegerverbandes in Baden-Württemberg mit dem wackeren Bernie Haupt, dazu eingeladen hatte mich die Initiative ProRecherche und Wolfgang Messner, einer der Gründer der Initiative. Bei der Vorbereitung zu dem Seminar habe ich Akten durchgesehen, teils aus Neugier, wo die Mafia in Baden-Württemberg schon überall Spuren hinterlassen hat, teils mit dem Wissen, dass sie im Ländle quasi flächendeckend vertreten ist. Natürlich sind mir die Festnahmen in Singen und überhaupt im Bodenseeraum in Erinnerung, schließlich habe ich sie damals in Deutschland bekannt gemacht. Stuttgart sowieso. Metzingen, Mannheim, klar. Aber als ich die Liste dann fertig hatte, war ich doch überrascht. Warum? Darum:

Backnang, Bad Kissingen, Bad Säckingen, Bad Urach, Bühl
Denkendorf, Dettingen, Donaueschingen
Ebersbach-Weiler, Edingen-Neckarshausen, Eislingen, Engen, Esslingen
Fellbach, Forchheim, Freiberg, Freiburg, Friolzheim
Gailingen am Hochrhein, Grenzach-Wylen
Hassmersheim, Heidelberg, Heidenheim, Heilbronn-Frankenbach, Hohentengen, Holzgerlingen
Karlsruhe, Konstanz, Korb, Korntal-Münchingen, Küssaberg-Reckingen, Kupferzell
Lörrach, Ludwigsburg
Mannheim, Metzingen, Müllheim, Münchingen, Münsingen, Murrhardt
Neckarbischofsheim, Nußloch
Offenburg, Oftersheim
Pforzheim
Radolfzell, Rastatt, Ravensburg, Reutlingen, Rielasingen-Worblingen, Rudersberg
Schramberg, Sigmaringen, Singen, Steinen-Hägelberg, St. Georgen, Stuttgart
Tübingen
Uhingen, Ulm
Villingen-Schwenningen
Waiblingen, Waldshut-Tiengen
Zimmern

…und sicher sind das noch längst nicht alle Orte, in denen entweder ein Mafioso gewohnt hat, aktiv war oder festgenommen worden ist.

Kategorie: Blog Stichworte: Baden-Württemberg, Clan, Deutschland, Ländle, Locale, Mafia, Musterländle

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Meine Referenzen

Ich arbeite für viele große deutsche, schweizerische und österreichische Medien. Zu meinen Kunden gehören Der Spiegel, Stern, Geo, Neue Zürcher Zeitung, Das Magazin (CH), Reportagen, Dummy, Blätter für Internationale Politik, Beef und viele weitere mehr, darunter liebevoll gemachte Spartenprodukte wie das Dummy-Heft, der Branchendienst Kress Pro oder das Kaffeemagazin crema. Als TV-Autor bin ich für Report München, den Bayerischen Rundfunk und Arte tätig. Zuletzt zeigte die ARD eine Ausgabe von "Die Story" mit meiner Mitwirkung.

Meine Vortragstätigkeit

Als Referent werde ich aufgrund meiner profunden Kenntnisse der italienischen Mafia regelmäßig gebucht – von deutsch-italienischen Vereinen bis hin zu Wirtschaftsverbänden, die ihre Mitglieder für die Gefahren durch die Organisierte Kriminalität sensibilisieren möchten. Ich biete meinen Kunden allgemeine Informationsvorträge, aber auch speziell auf sie zugeschnittene Präsentationen, unterstützt von Film- und Tonaufnahmen aus meinem persönlichen Archiv. Zudem biete ich Politik und Unternehmen Fachberatung an.

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