SANDRO MATTIOLI

Reporter, Autor und Referent

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Kalabrische Verhältnisse in der deutschen Provinz

28. März 2018 von S M

Als in der Nacht vom 8. zum 9. Januar die Türen in Hessen und Baden-Württemberg den Rammböcken der Polizei nachgaben und krachend splitterten, als elf mutmaßliche Mafiosi aus dem Schlaf gerissen wurden, als zeitgleich Mario L. in Kalabrien verstand, warum er in eine Straßenkontrolle geraten war und so lange auf dem Polizeirevier festgehalten wurde, ohne zu erfahren warum, als die Polizei 159 weitere Mafia-Verdächtige eingesammelt und festgenommen hatte, da nahm eine Großoperation ihren Lauf, der ein erwartbares Schicksal beschieden sein dürfte.

Zunächst finden solche Massenfestnahmen große Resonanz in den Medien. Alle sprechen vom wichtigsten Schlag gegen die ’ndrangheta seit XX Jahren und man glaubt, völlig unerwartet, schlagartig, überraschend sei die Mafia in Deutschland entdeckt worden. Natürlich findet sich auch die übliche Berichterstattung, die bar jeden Hintergrundwissens Dinge in die Welt hinausposaunt und nicht zwischen Clans und Organisation unterscheiden kann. Geschenkt. Es werden dann die üblichen Fragen gestellt: Was macht die Mafia in Deutschland? Wo sind die Mafiosi in Deutschland ansässig? Ist das gefährlich? Was bedeutet dieser Schlag?

Es sind wichtige Fragen, zweifelsohne. Aber es ist leider nur ein kleiner Teil der Fragen, die beantwortet werden müssten. Und es sind Fragen, die zeigen, wie wenig nachhaltig das Vorgehen gegen die Mafia außerhalb Italiens und damit auch in Deutschland ist.

Normalerweise hält diese Beachtung eine, vielleicht zwei Wochen an, dann versinkt das Thema Mafia wieder in der Nichtbeachtung. Ohne, dass Strukturen ausgeleuchtet würden. Ohne, dass Namen genannt würden. Ohne, dass langfristig die deutsche Politik- und Wirtschaftsordnung gefährdende Schwächen im Strafverfolgungsregime in der Bundesrepublik benannt würden. Ohne, dass vorhandene Verflechtungen zwischen Mafia und Politik oder zwischen Mafia und Wirtschaft dargestellt würden. Dann geht alles weiter wie zuvor. Bis zum nächsten „Schlag gegen die Mafia“.

Insofern ist jede Maxi-Operation immer auch etwas frustrierend für Journalisten wie mich, die sich mit dem Thema seit Langem befassen: man hofft immer, dass Deutschland nun doch erwachen möge, doch man hofft vergebens. Deutschland verfällt immer und immer wieder in den Dämmer und die Mafia kann weiter munter hierzulande investieren. Zugleich wird ein Gutteil der Festgenommenen wieder freigelassen, weil man ihnen doch nichts nachweisen kann oder weil die deutsche Justiz den Italienern einen Strich durch die Rechnung macht. Oder oder oder. Justizinstitutionen können extrem widerspenstig sein, wenn es um die deutsch-italienische Kooperation geht.

(Wie sehr das Thema Mafia unterschätzt wird, zeigt sich übrigens auch in dem unwürdigen Angebot einer großen überregionalen Zeitung, die eine Exklusivgeschichte von mir unter Bedingungen annehmen wollte: der Name des lokalen Korrespondenten müsse ebenfalls über der Geschichte stehen und man bezahle 250 Euro. Thema der Recherche: wie eine deutsche Staatsanwaltschaft systematisch Mafia-Ermittlungen hintertreibt und Ermittlungen unterlässt, obwohl ein gravierender Vorwurf gegen einen mutmaßlichen Mafioso, basierend auf einer qualifizierten Quelle, im Raum stand. Klar, dass es dann gefährlich wird, nehme ich auch noch gerne gratis in Kauf.)

Für den Stern war ich nun gemeinsam mit dem lieben Kollegen Norbert Höfler unterwegs, um das Wirken des Farao-Clans in Deutschland nachzuzeichnen, also der Gruppierung, die am 8. Januar durch eine von Italien aus gegen Widerstände vorangetriebene Polizeioperation geschwächt worden ist. Heute, am 28.3., erscheint das Heft mit unserer Reportage. Um ehrlich zu sein, als wir uns auf einen Zuschnitt der Geschichte einigten, war ich nicht ganz zufrieden. Ich hielt es für nicht allzu spannend, sich entlang den Orten zu bewegen, die wir aus den italienischen Ermittlungsunterlagen kannten. Ich lag kräftig daneben. Denn dieses Setting verschaffte mir Einsichten, die ich so nicht nur nicht erwartet hätte. Nein, sie haben mich geradezu schockiert.

Ich war für Recherchen im Mafia-Milieu schon an vielen Orten unterwegs. In Kalabrien, Sizilien und Neapel natürlich, aber auch im Allgäu, in Stuttgart, Ludwigshafen, Pforzheim und in Frankfurt etwa. Ich war aber noch nie in Melsungen, Borken, Fritzlar, Waldorfhäslach oder Kerstenhausen. Vor allem die Verhältnisse in der hessischen Provinz waren erschreckend: die Verhältnisse dort erinnerten mich sehr an tiefstes Kalabrien.

Dass Deutsche in blinder Zuneigung zum sympathischen Dolce-Vita-Italiener gerne auch mal die Mafia-Verdächtigkeit einiger ausblenden, war mir natürlich bekannt. Was insofern dennoch bitter ist, wie es eines der strukturellen Merkmale in Deutschland ist, die der Mafia das Leben leicht macht. Aber was ich nicht erwartet hätte, ist dass die Mafia inzwischen in manchen Gegenden eine Kontrolle über das Territorium erlangt hat, die ich so nur von Kalabrien kenne. Da werden Eindringlinge von außen wie eben wir Journalisten sofort unter Beobachtung genommen. Da wird ganz entspannt mit freundlichem Ton gedroht – nicht nur uns gegenüber, auch gegenüber anderen Kollegen und Kolleginnen fielen dieselben Worte. Da werden deutsche Unternehmer mit dem Tod bedroht. Da tut die Polizei im ländlichen Raum nichts oder bekommt nichts mit, was im Endeffekt genauso schlimm ist. Wohlgemerkt handelt es sich bei den Mafia-Verdächtigen nicht um Zugereiste, die erst seit Kurzem vor Ort sind. Nein, es sind Geschäftsleute, die bereits vor vielen Jahren auffällig wurden in unterschiedlichen kriminellen Kontexten, die schon vom BKA als Mafiaverdächtige in Berichten geführt wurden, Leute, die nichts zu befürchten hätten, wenn nicht italienische Ermittler deutsche Sicherheitskräfte zum Jagen tragen würden. Da gerät die Polizei nach Festnahmen in Misskredit, weil sie dem ach so netten Gastwirt nachstellt. Der Gipfel der Ignoranz war, dass eine Frau eine (von den Polizeimaßnahmen nicht betroffene) Wirtin beschuldigte, auf dem Rücken der Konkurrenz Werbung für sich zu machen. Was war geschehen? Bei der betroffenen Wirtin waren Anfragen angegangen, ob sie etwas mit den Mafia-Festnahmen zu tun hatten. Daraufhin distanzierte sich die italienische Wirtin auf ihrer Facebook-Seite von der Mafia. Prompt wurde ihr dies zum Nachteil ausgelegt, der Mafia-Gastwirt dagegen in Schutz genommen. Ich weiß, es klingt dramatisch, aber wenn die Gefährlichkeit der Mafia nicht erkannt wird und mutmaßlich Kriminelle von ehrlichen Bürgern verteidigt werden, dann geht es meiner Meinung nach um die Grundfesten unseres demokratischen Zusammenlebens.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Waiblinger Kreiszeitung lobend zu erwähnen, die als doch eher kleineres Medium derzeit in einer mehrteiligen Serie über die ’ndrangheta vor Ort aufklärt.

Ich weiß, dass auch dieser Blogeintrag nichts bringen wird. Aber wenn wir dann in zehn, zwanzig Jahren norditalienische Verhältnisse haben, wo man auch lange glaubte, die Mafia sei ein Problem Süditaliens und wo heute Gemeinderäte wegen Mafia-Infiltrationen aufgelöst werden müssen und manche Geschäftsbereiche nicht mehr von kriminellen Vertretern zu reinigen sind, wenn es also auch in Deutschland so weit gekommen sein wird – und es zeichnet sich ab, das dass passieren kann – dann werde ich wenigstens in den Spiegel sehen können.

Dies ist zwar ein schwacher Trost, aber irgendwie muss man sich ja motivieren.

Kategorie: Blog Stichworte: 'ndrangheta, farao, festnahme, Mafia, operation, stige, Styx

Warum wir die Mafia unterschätzen

22. Januar 2018 von S M

Das Böse wohnt in der Nachbarschaft? Der jüngste Antimafia-Einsatz war spektakulär und hat gezeigt, wie massiv sie hierzulande vertreten ist. Gerade in Baden-Württemberg. Dennoch hält sie kaum jemand für wirklich gefährlich. Warum eigentlich? Fünf Thesen dazu, die ich in der Kontext:Wochenzeitung  veröffentlicht habe:

1. Das Böse ist anderswo, aber nicht in unserer Nachbarschaft.

Sicher hätten sich die Sportler des TV Häslach in Walddorfhäslach im Jahr 2015 nicht träumen lassen, dass der neue Wirt des Vereinsheims ein Mafioso ist. Genauso verhält es sich bei einem anderen Gastronomen im Raum Stuttgart, der eine Zeit lang sogar einen Link zu einer Art Hymne der ’ndrangheta auf seiner Seite hatte. Auch Angela Merkel, die gewiss jeder Nähe zur Mafia unverdächtig ist, hat in Mitteldeutschland ein Lieblingsrestaurant, vor dem sie der Staatsschutz bereits gewarnt hat, dort doch besser nicht zu speisen.

Auch ich persönlich befinde mich in einer schwierigen Situation: Ich mag italienisches Essen sehr gerne. Zugleich lese ich in geheimen Ermittlungsunterlagen, dass der jetzt verhaftete Mario Lavorato „146 Restaurants hat“. Jener Mario also, der sich angeblich gut mit Günther Oettinger verstand. Gerne hätte ich eine Liste mit diesen Lokalen, die gibt es aber nicht. Auf der anderen Seite bin ich Vorsitzender des Vereins mafianeindanke in Berlin, der vor zehn Jahren entstanden ist, und zwar aus einer Gruppe von knapp 50 italienischen Gastwirten, die sich von den italienischen Mafia-Organisationen distanzieren wollten. Wir leisten Aufklärungsarbeit, recherchieren, veröffentlichen einen monatlichen Newsletter, und Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig es ist, Mittel dafür zu bekommen – weil eben alle denken, die Mafia ist ein Problem, das sie nichts angeht.

Mit dem Hintergrundwissen, was ich habe, sehe ich allerdings viele Vorgänge und erfahre viele Details, die mich sorgenvoll stimmen. Leider kann man aus rechtlichen Gründen über vieles nicht sprechen und schreiben. Das deutsche Recht stellt nämlich unter Strafe, Menschen als Mafia-Verdächtige zu bezeichnen – das wäre eine Diffamierung. Zugleich ist es nach deutschem Recht irrelevant, ob jemand der Mafia angehört oder nicht. Dies bedeutet, dass eine Verdachtsberichterstattung über die Mafia de facto nicht möglich ist. Dabei sind es in anderen Feldern oft Verdachtsberichterstattungen, die Ermittlungen auslösen.

Sie sehen, die Katze beißt sich in den Schwanz: Wenn nicht berichtet wird, ist die Mafia tatsächlich anderswo. Wenigstens weiß man jetzt, dank der Staatsanwaltschaft in Catanzaro, dass sie auch in Walddorfhäslach, im Rems-Murr-Kreis, im Ortenaukreis und im Landkreis Reutlingen ist. Zusammen mit vorhergehenden Festnahmen und Ermittlungen (Hechingen, Ludwigsburg, Metzingen, Pforzheim, Singen, Baden-Baden, Rastatt, Rielasingen-Worblingen, Tübingen, Stuttgart, Konstanz, Waiblingen, Backnang …) können wir sagen, dass sie in Baden-Württemberg quasi flächendeckend vertreten ist.

2. Das Böse ist anders als wir, im Umkehrschluss: Wir müssen es doch irgendwie erkennen können.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit liest man nach jeder Festnahmewelle Berichte in den Lokalteilen der Zeitungen über die Mafia, und immer werden darin Nachbarn (Arbeitskollegen, Parteikollegen, Vereinsfreunde etc.) zitiert, die sagen, sie hätten sich nie vorstellen können, dass XY ein Mitglied der Mafia ist. Die Clans haben gelernt, dass absolute Unauffälligkeit am besten für sie und ihre Geschäfte ist. Sprich, für den Otto Normalverbraucher ist es quasi unmöglich, eine Mafia-Zugehörigkeit zu erkennen. Ich selbst habe ehemals hochrangige Mafiosi kennengelernt, die Kronzeugen geworden sind. Es waren zuvorkommende, nette, angenehme Menschen. Zum Teil wussten nicht einmal ihre engsten Verwandten, mit wem sie es zu tun haben.

Anders verhält es sich bei Personen, die für Mafiosi wichtig sind – seien es Unternehmer, die ihnen bei ihren Geschäften behilflich sein können, Menschen aus der Politik, zu denen der Kontakt von den Clans immer gesucht wird, oder auch Abnehmer von Kokain. Diese Leute haben durchaus die Möglichkeit zu durchschauen, mit wem sie es zu tun haben. Das Problem ist: Ist es den Mafiosi erstmal gelungen, eine „Freundschaft“ aufzubauen, interessiert die Betroffenen der Hintergrund ihres „Italieners“ nicht mehr. Und manche lassen sich auch gerne zu einer Reise nach Italien einladen.

3. Wir kennen das Böse aus Filmen, und es ist ganz anders als unsere Umwelt.

Die Mafia profitiert wesentlich davon, dass wir quasi festzementierte Vorstellungen von ihr haben. Die Paten-Filmreihe ist zwar schon lange her, aber sie wirkt immer noch nach: Männer im schwarzen Anzug, die Sonnenbrille, Pistole, feste Rangordnung, strenge Riten … Diese Sicht war damals schon undifferenziert, denn sie ließ die anderen Mafia-Organisationen (Camorra, ‚Ndrangheta, Sacra Corona Unita) außen vor und rückte die sizilianische Cosa Nostra in den Mittelpunkt. Vor allem aber hat sich die heutige Mafia davon schon lange gelöst. Zum Teil setzt sie auf Projektteams, die einen Plan umsetzen und sich dann wieder auflösen. Es gibt zudem Topmafiosi, die die Rituale der Clans wie die Taufe und Versammlungen für Kokolores halten. Die Clans befinden sich in einem steten Wandel, das macht sie so stark.

Mit den Klischees aus Film und Fernsehen haben reale Mafiosi nur wenig gemein.
Organisatorisch: Um weitere Morde wie 2007 in Duisburg zu verhindern, hat man neue Strukturen geschaffen, die auch funktionierten, wie eine Auseinandersetzung zweier Clans aus dem schweizerischen Frauenfeld und dem baden-württembergischen Singen zeigt, die friedlich in Kalabrien gelöst wurde.

Technisch: Lange verwendeten die Mafiosi Geräte, die sie für noch abhörsicher hielten, zum Beispiel Blackberry-Geräte. Jetzt ließen sie eigens eine Verschlüsselungs-App programmieren.

Wirtschaftlich: Die Clans haben ein feines Gespür, wie sich die Milliarden, vor allem aus dem Drogenhandel, waschen lassen, und wie man das Geld dann am besten investiert. Dazu gehören auch neue Wirtschaftszweige wie zum Beispiel die Erneuerbaren Energien. Auch Gelder aus Stuttgart wurden in mafiöse Photovoltaik-Anlagen in Italien investiert. Die Gelder stammten aus dem Umfeld von Mafia-Verdächtigen, wie Ermittlungen in Italien und Deutschland ergeben haben.

Methodisch: Vor zehn Jahren wurde Schutzgeld in Deutschland noch mittels Brief und persönlichem Besuch erpresst. In der Zwischenzeit müssen Gastwirte überteuerte Produkte kaufen. Im Fall des Farao-Clans, der jetzt im Fokus der Ermittlungen stand, waren das Lebensmittel (Wein, Mozzarella, Teigprodukte).

4. Das Böse ist vor allem das, was wir als böse erkennen.

Bertolt Brecht schrieb in seiner Dreigroschenoper den Satz: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Dieser Satz verdeutlicht auf perfekte Art und Weise das Problem der Mafia-Wahrnehmung. Denn er zeigt, dass die Definition des Bösen kein absoluter Prozess ist, sondern vielen Faktoren, auch gesellschaftlichen, unterliegt. In Italien sind das andere als in Deutschland. Dort reicht es, der Mafia zugehörig zu sein, um bestraft zu werden. Denn zum einen ist die Kenntnis des ungeheuren Leidens, das die Mafia-Clans schaffen, Bestandteil des kollektiven Bewusstseins, zum anderen hat Italien andere historische Vorprägungen.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs tut sich Deutschland mit Kollektivstraftaten schwer (obgleich auch nicht so sehr, wenn es um linksradikale Terror-Kriminalität geht). Gleiches gilt für den Einzug kriminellen Vermögens. Was in Italien als Bestandteil eines stark präventiv wirkenden Gesetzeswerks gesehen wird, ist in Deutschland Teil eines Katalogs von Strafen des Staates, und die Beschlagnahme von Privateigentum ist in Deutschland gleich in doppelter Hinsicht problematisch, aufgrund des Vorgehens im Nationalsozialismus sowie in der DDR.

Diese Fixierung auf die Deliktebene spielt den Mafia-Organisationen mehrfach in die Karten. Denn ihre Straftaten sind aus verschiedenen Gründen schwer nachzuweisen. Der Handel mit Kokain läuft stark konspirativ und auch die Wirkung, die einige Konsumenten entfalten können, mag in manchen Gegenden ein Faktor sein. Mafia-Ermittlungen sind sehr aufwändig, man braucht teure Übersetzer und viel Personal, und aufgrund der deutschen Gesetze kommt oft nichts dabei herum. Zugleich reicht das Instrumentarium der Ermittler nicht aus, um zum Beispiel Kapitalströme in angemessener Zeit kontrollieren zu können. Auch ist die Zahl der Polizisten für schwierige Aufgaben zu niedrig.

5. Das Böse zu bekämpfen, ist Aufgabe aller Teile einer Gesellschaft. Fällt ein Teil dabei aus, gerät das Unterfangen ins Stocken.

Das ist nicht mein Problem, das geht mich nichts an. Mafiamorde betreffen doch nur Mafiosi. Die Investition kriminellen Kapitals in Deutschland tut doch niemandem weh. Was stört mich Geldwäsche? So denken wohl viele, und genau diese reduzierte Sichtweise ist es, die den Mafia-Organisationen am besten in die Hände spielt.

Abgesehen davon, dass es viel zu wenig Wissen gibt über die Auswirkungen von Geldwäsche (beispielsweise ist ein Zusammenhang von steigenden Mieten und Geldwäscheinvestitionen im Immobiliensektor naheliegend), ist unstrittig, dass die Aktivitäten der Organisierten Kriminalität uns alle betreffen. Das mahnende Beispiel ist Norditalien: Dort sagte man sich vor Jahren, die Mafia sei ein Problem des Südens. Inzwischen sind manche Gewerbezeige so mafiaverseucht, dass man die Kriminellen nicht mehr aus der Wirtschaft bekommt. Das hat erwiesenermaßen Auswirkungen auf die Produktivität. Und die Zahl der Gemeinderäte, die wegen Mafia-Infiltrationen aufgelöst wurden, ist in Norditalien höher als in Süditalien.

Besonders alarmierend für uns: In Deutschland gibt es 60 Locale der ’ndrangheta, eine Art Ortsverein, und damit mehr als in Norditalien. Diese Zahl nannte der Staatsanwalt Nicola Gratteri, einer der absoluten Experten für die ’ndrangheta in Deutschland und der Mann, der mit seinen Ermittlungen jetzt den jüngsten Schlag auslöste. Jedes Locale hat mindestens 49 Mitglieder, macht also fast 3000 Mitglieder der ’ndrangheta. Dazu kommen noch die anderen Mafia-Organisationen.

Vor allem das sizilianische Beispiel zeigt, dass alle Teile einer Gesellschaft sich gemeinsam gegen die Organisierte Kriminalität stellen müssen, um etwas zu bewirken. Dort wurde die Cosa Nostra erheblich geschwächt, weil sie den Rückhalt in der Gesellschaft verloren hat. Es genügt nicht, wenn die Polizei für das Thema sensibilisiert ist, die Staatsanwaltschaften müssen mitziehen. Die Staatsanwaltschaften wiederum brauchen Gesetze, die anwendbar sind gegen die Organisierte Kriminalität. Bürger müssen die Möglichkeit haben, Verdächtiges melden zu können, ernst genommen werden und ein offenes Ohr finden. Löblich ist hier die Initiative Insieme si può des LKA Baden-Württemberg. Und Unternehmer müssen manche Profitmöglichkeit auslassen. In der Schweiz wird an Schulen informiert über die Gefahren, die von der Mafia ausgehen. In Stuttgart gibt es ein ähnliches Pilotprojekt, Gelebte Zivilcourage, das Schule machen sollte. Warum nicht die italienische Antimafia-Bewegung als regulären Teil des Lehrplans verankern? Ansätze, etwas gegen Organisierte Kriminalität zu tun, gibt es viele. Los geht’s!

Kategorie: Blog, Lieblingstexte Stichworte: 'ndrangheta, Clan, Deutschland, erpressung, farao, festnahme, Mario L., operation, schutzgeld, stige

Drei Mal Mafia: Sonntag Tatort, Montag Die Story, Dienstag massive Polizeioperation!

9. Januar 2018 von S M

Soeben, vor ein, zwei Stunden, ist es zu einem massiven Schlag gegen die italienische Mafia gekommen, wie man ihn noch nie gesehen hat – mit weit über 150 Festnahmen in einer Operation, darunter einige auch in Deutschland, 13 genau. Die Operation richtete sich gegen den Farao-Clan, der seit Langem in Deutschland präsent ist. Der geneigte Leser mag darin eine Klimax erkennen, denn zählt man die Haftbefehle gegen die Mafia zusammen, kommt man selten auf die heute Nacht ergangenen 175. Und auch die rund 300 Festnahmen der Operation Crimine im Jahr 2011 setzen sich aus zwei Verfahren zusammen.

Es ist aber auch eine Klimax für mich, der Abschluss von drei verrückten Tagen!

Zuerst sendet die ARD am Sonntag einen Tatort, der wohl auf eine Anregung meines Vereins mafianeindanke zurückgeht (ich bin dessen Vorsitzender, so genau lässt sich aber nicht mehr klären, wie unsere Anregung auf fruchtbaren Boden gefallen ist, jedenfalls hat am Ende der Drehbuchautor Patrick Brunken einen gelungenen Film geschrieben und ich darf mich nun Berater des Tatorts nennen und war auch kurz darin zu sehen). In dem Tatort geht es um die Giftmüll-Geschäfte der Mafia, ein Thema, zu dem ich seit vielen Jahren recherchiere, eine Recherche, die auch mit dem Erscheinen meines Buchs „Die Müllmafia“ nicht endete. Und es geht um einen Kronzeugen, Patrick Brunken wurde von meiner Geschichte über Luigi Bonaventura inspiriert.

Gestern Abend lief dann die Reportage „Müll, Mafia und das große Schweigen“, eine Dokumentation von Christian Gramstadt unter anderem auch über meine Arbeit, im Rahmen der Reihe „Die Story“. Für diese Doku haben wir auch einige Staatsanwälte interviewt, deren Arbeit ich sehr schätze. Einer von ihnen ist Nicola Gratteri, der von den Kalabresen (außer den mafiösen) geliebt wird und beinahe den Status eines Stars hat (was auch gut so ist!). Ich konnte das selbst erleben, als ich zum Trame Festival in Lamezia Terme eingeladen war, ein Festival nur über Mafia- und Antimafiabücher, eine tolle, von einem ehrenamtlichen Team organisierte Veranstaltung.

Und heute hat dieser Staatsanwalt, Nicola Gratteri, zu einem quasi beispiellosen Schlag gegen die ’ndrangheta ausgeholt und 169 Mafiosi in Kalabrien und Deutschland festnehmen lassen, darunter auch ranghohe Gangster mit engen Bezügen zu Deutschland. Die genauen Details muss ich erst noch recherchieren, daher drücke ich mich hier noch vage aus. Zu gegebener Zeit also dazu mehr. Unter den Festgenommenen ist auch der Stuttgarter Mafia-Verdächtige Mario L., ein Mann, der früher enge Kontakte in die baden-württembergische Landespolitik unterhielt, der inzwischen aber in neuer Funktion tätig ist.

Eines steht aber jetzt schon fest: solche Wochen dürfte es ruhig häufiger geben, selbst wenn ich mir dann bald ein neues Thema suchen müsste…

Kategorie: Artikel, Blog, Italien, Mafia Stichworte: 'ndrangheta, Alb, Baden-Württemberg, Chitarra, Clan, Drogen, farao, festnahme, Filz, Geldwäsche, Giftmüll, Grande Aracri, Honoratioren, intersport, Kokain, Mafia, pizzaconnection, Remstal, Schickeria, Süddeutschland

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Ich arbeite für viele große deutsche, schweizerische und österreichische Medien: für Magazine schreibe ich Reportagen und bin Partner für Recherchen. Als Autor zeichne ich für TV-Beiträge verantwortlich, außerdem übernehme ich Auftragsrecherchen. Auch als Interview-Partner werde ich regelmäßig von deutschen Fernsehsendern und Radiostationen angefragt. Auch im Bereich von Fiction bin ich als Consultant für TV- und Plattformproduktionen aktiv.

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Als Referent werde ich aufgrund meiner profunden Kenntnisse der italienischen Mafia regelmäßig gebucht – von deutsch-italienischen Vereinen bis hin zu Wirtschaftsverbänden, die ihre Mitglieder für die Gefahren durch die Organisierte Kriminalität sensibilisieren möchten. Ich biete meinen Kunden allgemeine Informationsvorträge, aber auch speziell auf sie zugeschnittene Präsentationen, unterstützt von Film- und Tonaufnahmen aus meinem persönlichen Archiv. Zudem biete ich Politik und Unternehmen Fachberatung an.

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