SANDRO MATTIOLI

Reporter, Autor und Referent

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Die Mafia bei mir zuhause

29. Oktober 2022 von S M

Seit mehr als zwei Jahren war dieser Vortrag geplant. In meinem Heimatort Obereisesheim und dem Nachbarort Untereisesheim gibt es einmal jährlich das so genannte Männervesper. Eingeladen sind, wie der Titel schon sagt, Männer aus den beiden Orten, es gibt Hausmacher Kost und dazu einen Vortrag zu ganz verschiedenen Themen. Für den Herbst 2020 war mein Vortrag geplant, dann kam Corona. In diesem Jahr wird es nun aber klappen, hoffentlich: am 17. November werde ich im Evangelischen Gemeindehaus in Untereisesheim über die italienische Mafia in Baden-Württemberg sprechen.

Das Thema verfolge ich inzwischen seit rund 15 Jahren. Ich habe 2009 beobachtet, wie der dann 2018 festgenommene Mafioso Mario L. aus Stuttgart Gäste für seine Ferienanlage in Kalabrien am Flughafen Bari abgeholt hat. Ich habe 2012 als erster über die Festnahmen im Bodensee-Raum berichtet, ein Thema, was damals wenig Beachtung erfuhr. Inzwischen ist das anders, wenn es zu Festnahmen in Deutschland kommt, dann klingelt mein Telefon in einem fort, das Interesse der Medien ist deutlich gewachsen.

Was allerdings weniger bekannt ist: Auch die Zahl der Mafiosi in Deutschland wächst beständig an. In Zusammenarbeit mit der Bundestagsfraktion der Grünen hat mein Verein mafianeindanke mit Kleinen Anfragen an die Bundesregierung dafür gesorgt, hier mehr Transparenz zu schaffen: Auf zuletzt 770 bekannte Mitglieder der italienischen Mafia-Organisationen und eine vermutete Dunkelziffer von 800-1000 Personen sind die Zahlen gestiegen. Ich persönlich stehe solchen Zahlen skeptisch gegenüber. Es gibt ja keine öffentliche Mitgliederliste der Mafia und zudem agieren italienische Antimafia-Staatsanwälte mit sehr viel höheren Zahlen.

Aber die Tendenz bestätigt sich mir auch so: die Aktivität der Mafia-Organisationen in Deutschland nimmt zu. Das ist gefährlich, zumal die Clans sich beileibe nicht nur in illegalen Geschäften wie Waffen- und Drogenhandel betätigen, sondern ihr schmutziges Geld in alle möglichen Geschäftszweige investieren.
Was mich aber besonders mit Sorge erfüllt ist die Tatsache, dass der Heilbronner Raum kein weißer Fleck auf der Landkarte ist. Schon vor Jahrzehnten gab es einzelne Treffer.

Inzwischen sind Mafiosi im Unterland verhaftet worden und selbst nach Neckarsulm, meine Heimatstadt, sind Bezüge erkennbar. Insofern ist ein Vortrag genau dort ein sehr wichtiger Termin für mich, denn gerade in meiner Heimat beschäftigen sich die Menschen wenig mit dem Thema Mafia, auch wenn die Lokalzeitung Heilbronner Stimme zu den Festnahmen 2021 und 2022 sehr gute Arbeit geleistet und recherchiert hat.

Ich hoffe, dass ich mit meinem Vortrag dazu beitragen kann, dass das Thema weiter in den Fokus rückt und unsere Gesellschaft vor Mafia-Einflüssen künftig besser geschützt ist. Es ist eine Herkulesaufgabe, aber irgendwann muss man ja damit anfangen.

PS: Das Bild hat meine Mutter aufgenommen und ich wünschte mir, mein Vater, ein stets aufrichtiger Mann, könnte meinen Vortrag noch miterleben.

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Schwere Kritik an Behörden

28. Januar 2022 von S M

Ich war als Studiogast in der Sendung Planet Wissen und habe dort baden-württembergische Behörden schwer kritisiert. Im Folgenden daher auch hier der Text, der auf der Seite von mafianeindanke erschienen ist:

Der Vorsitzende des Berliner Vereins mafianeindanke, der Journalist Sandro Mattioli, hat in der Sendung Planet Wissen des SWR am 28.1.2022 schwerwiegende Vorwürfe gegen baden-württembergische Behörden erhoben. Mattioli sagt in der Sendung auf eine Frage zu Ermittlungen gegen den Gastwirt Mario L.:

„Es gab Versäumnisse, die eigentlich zu einem Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg führen müssten:
Man hat probiert, Mario L. aus dem Kreis der Verdächtigen rauszuhalten,
man hat dem StA aus Italien die Tür vor der Nase zugeschlagen
man hat die Unterlagen [aus Italien] in den Justizbehörden nicht bearbeitet
und man hat schließlich noch einen sehr verdienten Polizeibeamten, der viel Druck gemacht hat, aus dem Amt entfernt.
Das Bild von ‚Pizzerien‘ und ‚Tarnung‘ und ‚versteckt‘ ist deswegen nicht angemessen, was diese Situation in Baden-Württemberg anbelangt. Es ist eher so, dass hier alles unter dem Licht der Sonne passiert, aber man aus Gründen, die mir nicht erklärlich sind, nichts tut.“

Der Verein mafianeindanke möchte dazu gerne ergänzende Informationen hier anbieten:

Baden-Württemberg:
Baden-Württemberg ist das Land mit der höchsten Dichte an Mafiosi. Nach offiziellen Zahlen lebten 2021 mindestens 181 Mitglieder italienischer Mafia-Organisationen im Ländle, ein neuer Höchststand. Viele sind bestens integriert, leben schon seit Jahrzehnten in Deutschland. Vor allem in Stuttgart hat die ‘ndrangheta weitreichende Strukturen aufgebaut und ist engmaschig mit der italienischen Community wie auch mit Wirtschaft, Politik, Kultur und Sport vernetzt. Aber auch an vielen anderen Orten etablieren sich neue Mafia-Strukturen und verfestigen sich bestehende. Obwohl die italienische Mafia zahlenmäßig so stark ist, gibt es im Landeskriminalamt in Stuttgart lediglich zwei Stellen, die sich mit Verfahren mit Mafia-Bezug befassen. Erfolge im Kampf gegen die Mafia, vor allem in der Metropolregion Stuttgart, sind meist das Ergebnis von Ermittlungen in Italien und nicht Ergebnis eigener Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart. 

Mario L. und das Ermittlungsverfahren Stige:
Dies war auch im Fall des in der Sendung erwähnten Mario L. der Fall. Der Gastwirt war vor allem in Stuttgart aktiv. Dennoch sind die in dem Wortbeitrag angesprochenen Ermittlungen nicht in Stuttgart geführt worden, sondern in Hessen. Die hessisch-italienischen Ermittlungen führten 2018 zur Verhaftung von L. in Italien und schließlich zu einer Anklage gegen Mario L.. Diese hatte eine Verurteilung im Jahr 2019 zu knapp elf Jahren Haft zur Folge.
Der Gastwirt stand bereits seit Anfang der Neunziger Jahre im Fokus der Polizei in Stuttgart. Ein deutscher Mafia-Kronzeuge benannte ihn damals als Mitglied der ’ndrangheta. Die Aussagen dieses Kronzeugen konnten in Bezug auf andere Personen verifiziert werden, der Kronzeuge galt Ermittlern als äußerst glaubwürdig. Dennoch kam es in all den Jahren nie zu einem erfolgreichen Abschluss von Ermittlungen gegen Mario L., abgesehen von einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung.

Das Verfahren, das zur Verurteilung  von L. führte, wird in Italien als Operation Stige bezeichnet. Dieses Verfahren war und ist eines der wichtigsten Antimafia-Ermittlungsverfahren mit internationalem Bezug der vergangenen zehn Jahre. Es richtete sich gegen den Clan Farao, der vor allem in Baden-Württemberg, im Großraum Stuttgart, und in Hessen ansässig, und in und um Stuttgart bereits mehrmals polizeilich in Erscheinung getreten ist. Aufgrund der zweifelsohne auf polizeilicher Seite vorhandenen Vorkenntnisse überrascht es umso mehr, dass das Verfahren in Hessen geführt wurde.

Zahlreiche Ungereimtheiten:
Recherchen in Italien zeigen eine Vielzahl von Ungereimtheiten, die kein gutes Licht vor allem auf die Stuttgarter Staatsanwaltschaft werfen. Mehrere Punkte seien hier genannt:


– Im Rahmen der Einleitung dieser Ermittlungen machten sich Vertreter der Staatsanwaltschaft Stuttgart nach italienischen Angaben stark dafür, Mario L. aus dem Kreis der Verdächtigen herauszuhalten. Dies überrascht angesichts der dann vom Gericht verhängten, relativ hohen Freiheitsstrafe von zehn Jahren und acht Monaten.

– Das aus Italien Ende November 2016 abgesandte Rechtshilfeersuchen blieb lange durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart unbearbeitet und wurde erst nach vielen Monaten beantwortet.

– Ein italienischer Staatsanwalt, der eine Beschleunigung dieses bedeutenden Verfahrens bewirken wollte, wurde von der Staatsanwaltschaft Stuttgart abgewiesen. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft stellt die Zusammenarbeit anders dar: In der Antwort auf eine Presseanfrage schreibt sie, die Zusammenarbeit „gestaltete sich gut“.

– Das Ansinnen der italienischen Staatsanwaltschaft, die Identität einer Kontaktperson eines Haupttäters im Verfahren Stige abzuklären, wurde abgewiesen. Dieser Haupttäter ist als Mörder in Italien rechtskräftig verurteilt und hat eine sehr lange Vorstrafenliste, der Mann ist inzwischen wegen der Stige-Ermittlungen zu rund 20 Jahren Haft verurteilt worden. Italienische Akten legen nahe, dass es sich bei der Anlaufstelle dieses Haupttäters in Stuttgart um einen Gastronomen handelt, der bestens ins gesellschaftliche Leben integriert ist und in der Vergangenheit in einer Reihe von Ermittlungsverfahren mit Mafia-Bezug aufgeschienen ist und auch in Austausch mit dem inzwischen ebenfalls verurteilten Mario L. stand. Was bei Mario L. scheiterte, nämlich ihn aus dem Kreis der Verdächtigen herauszuhalten, gelang bei diesem Mann offenbar: gegen ihn wurde tatsächlich nicht ermittelt, trotz der direkten Kontakte zu mehreren Hauptbeschuldigten in dem Ermittlungsverfahren.

– Der erwähnte Polizeibeamte, ein Hauptkommissar, kündete in einem Pressegespräch Anfang Februar 2018 mit dem Stern an, dass die Ermittlungen fortgeführt werden und es zu Beschlagnahmen von Mafia-Vermögen kommen werde. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zitierte ihn, er rechne mit einem halben Dutzend notwendigen Folgeverfahren und Finanzermittlungen. Die tatsächliche Entwicklung war eine andere. Obwohl Mario L. für italienische Antimafia-Ermittler eine wichtige Rolle auch für das Finanzwesen der kriminellen Organisation hatte, blieb sein Vermögen und auch das der Mafia-Organisation ’ndrangheta unangetastet. Die italienischen Staatsanwälte hatten ein Rechtshilfeersuchen zu Finanzermittlungen nach Deutschland geschickt, auch die geltende Rechtslage in Deutschland wäre einer Beschlagnahme nicht entgegengestanden.  Dazu kam es jedoch nicht – bis heute nicht. Auf eine Anfrage hierzu erteilt das baden-württembergische Justizministerium die Auskunft, dass eine statistische Erfassung dort nicht erfolge und verweist auf das Innenministerium. Doch auch dort liegen nach Auskunft keine Angaben zu Beschlagnahmen vor, weil Informationen zu Beschlagnahmen bei der Polizei nicht gespeichert würden.

Der Polizeibeamte – ein Mann, der von italienischen Verfahrensbeteiligten als äußerst kompetent eingeschätzt wurde, über jahrelange Erfahrung und ein weitreichendes Netzwerk an Kontakten zu Behörden in Italien verfügte und dessen Engagement und Courage vielfach von Staatsanwälten und Polizeikollegen gelobt wurde – wurde seiner Aufgabe entbunden und auf eine andere Stelle versetzt. Er ist nun nicht mehr mit Mafia-Organisationen befasst.

——

Mafianeindanke hat in der Vergangenheit über einen weiteren dramatischen Fall berichtet, bei dem das Verhalten der Staatsanwaltschaft Stuttgart mittelbar zu einem Todesfall geführt hat.

Sie halten diese Arbeit für wichtig? Dann unterstützen Sie die Arbeit von mafianeindanke bitte mit einer Spende, vielen Dank. Auch über neue Mitglieder freuen wir uns.

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Operation Platinum und die Mafia in Baden-Württemberg

18. Mai 2021 von S M

Mafia-Durchsuchungen in Überlingen am Bodensee

Am vergangenen Mittwoch rückte die Polizei in Spanien, Rumänien, Italien und Deutschland aus, um 30 italienische Mafiosi zu verhaften und vor allem geschäftlich genutzte Räume zu durchsuchen. Allein in Deutschland wurden 48 Wohn- und Geschäftsräume durchsucht und eine Person festgenommen. Was nach einer der (glücklicherweise) üblichen Polizeiaktionen in Europa klingt, ist bei näherem Hinsehen interessanter, als man denkt, vor allem was die Präsenzen der Mafia in Baden-Württemberg anbelangt. Noch halten sich die Ermittlungsbehörden in Deutschland mit näheren Informationen zurück. Doch die Pressekonferenz, die nach dem Schlag am vergangenen Mittwoch stattfand, gab überraschend tiefe Einblicke.

Mafia-Ermittlungen in Italien führten die Ermittler*innen demzufolge zu einem Treffen von Mafiosi auf dem Münchner Oktoberfest, und von dort bald auch in den Bodensee-Raum, zu einem Restaurant in bester Lage, direkt am Wasser mit Seeblick: das Paganini in Überlingen. Italiens oberster Antimafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho sagt das klar und deutlich: „Die Männer der ’ndrangheta haben sich in Touristenorten niedergelassen, in Überlingen und Baden-Baden. An diesen Orten haben sie wirtschaftliche Unternehmungen begründet, insbesondere Restaurants, die „Paganini“ genannt wurden. Außerdem führten sie Import-Export-Aktivitäten durch von Kraftfahrzeugen und waren im Lebensmittelhandel aktiv.“

Federico Cafiero de Raho arbeitet seit Jahrzehnten zur Italienischen Organisierten Kriminalität. Zunächst als Antimafia-Staatsanwalt in Kampanien, dann in Reggio Calabria. Seit 2017 ist er Italiens oberster Mafia-Ermittler. Sein Wort hat also Gewicht. De Raho richtet auf der Pressekonferenz eine deutliche Mahnung an Deutschland: „Die ’ndrangheta befleckt die Wirtschaft in den Ländern wo es ihr gelingt, sich festzusetzen. Als modus operandi, wie sie sich in den Gebieten integriert, dient wieder einmal das Restaurant, die Bar. Die Lokale ermöglichen es ihr, sich zu sozialisieren. Sie sind die Basis, um Kontakt mit Leuten aus der Gegend aufzunehmen.“ De Raho wünscht sich, dass die Gefahr durch die Mafia in Deutschland und Europa ernst genommen wird.

Der Konstanzer Leitende Oberstaatsanwalt Dr. Hans-Jörg Roth beleuchtete das Tun der Mafiosi in Baden-Württemberg näher. Zunächst ging es bei den Ermittlungen um den Handel mit Kokain im Bereich von mehreren hundert Kilo, das aus den Niederlanden importiert und nach Italien gebracht wurde. Diese Deals wurden von einem Mann organisiert, der im Bodenseeraum ansässig war und jetzt in Italien verhaftet worden ist. Bald stieß das deutsche Ermittlerteam aber auf ein kriminelles Businessmodell, das Polizei und Steuerfahndung noch lange beschäftigen dürfte: Steuerhinterziehung in großem Stil. Und zwar habe die kriminelle Organisation Lebensmittel aus Italien importiert und entweder direkt oder über Zwischenhändler an tausende italienische Restaurants in Deutschland geliefert, so Oberstaatsanwalt Roth. Dabei wurden die anfallenden Steuern nicht gezahlt und die anfallenden Profite nach Italien transferiert. Stand heute schätzten die Behörden den entstandenen Schaden für den deutschen Fiskus auf zwei Millionen Euro. Roth betonte, dass es sich bei der Steuerhinterziehung um ein systematisches Businessmodell der Mafia handle, das dem Clan sichere Einkünfte gewährleiste. 

Schon zuvor hatten die Turiner Oberstaatsanwältin Anna Maria Loreto darauf hingewiesen, dass auch in Deutschland Gelder aus dem Drogenhandel investiert worden sind. „Die Ermittlungen haben eine weit verbreitete ’ndrangheta gezeigt, die sich Gewaltakten enthält und der es darum geht, sich in der Wirtschaft breitzumachen und Gelder aus kriminellen Aktivitäten zu investieren.“ Diese Investments stützten die mafiöse Macht und schädigten die gesunde Wirtschaft.

Italien hat daraus den Schluss für sich gezogen, möglichst viel des mit kriminellen Aktivitäten erzielten Gewinns einzuziehen. Jedes Jahr werden kriminelle Vermögen und Werte in Milliardenhöhe vom Staat eingezogen. In Deutschland wurde 2017 zwar die Gesetzeslage dazu geändert, dennoch passiert das viel zu selten. Es reicht dazu nicht aus, Schwerpunktstaatsanwaltschaften aufzubauen. Aufwändige Struktur- und Finanzermittlungen müssen mit den nötigen Finanzmitteln ermöglicht werden, die dafür gebrauchten Fachkräfte eingestellt und alle Stellen, die mit der Vermögensabschöpfung  befasst sind, aufgestockt werden. Spannend wird daher, was den europaweiten Ermittlungen nun folgen wird.

Es ist inzwischen schon fast eine gesamte Legislaturperiode her, dass die angehende grün-schwarze Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag die Marschroute der Sicherheitspolitik festlegte. In dem 2016 unterzeichneten Dokument heißt es: „Wir werden besonders sozial schädliche Kriminalität besonders im Bereich Bandendelikte und organisierter Kriminalität durch intensivierte Vermögensabschöpfung verstärkt bekämpfen.“ Außerdem heißt es: „Wir prüfen eine Vereinfachung der Regularien zur Vermögensabschöpfung.“ Die damals zukünftige Landesregierung weitet in dem Papier den Fokus und verspricht eine „konsequente Anti-Geldwäsche-Strategie auf Landesebene“, um den „Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg attraktiver und fairer [zu] gestalten.“

Fallen die Mahnungen der italienischen Antimafia-Ermittler im Ländle auf fruchtbaren Boden? Werden die genannten Restaurants nun beschlagnahmt? Tatsächlich hat Baden-Württemberg eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft eingerichtet, in Karlsruhe nämlich. Spektakuläre Erfolge indes waren noch nicht zu vernehmen. Dabei deuten die Aussagen der italienischen Ermittler zu der jetzt erfolgten Operation ja durchaus darauf hin, dass es bei Kriminellen im Ländle reichlich zu holen gibt.

Die Instrumente dafür sind eigentlich da, nicht nur für diese ’ndrangheta-Zelle. Sie müssen nur zur Anwendung kommen. Im Fall dieser Operation war vor allem die sehr gute Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg entscheidend. Immer wieder ist dafür auch der individuelle Einsatz einzelner Kräfte ausschlaggebend, solange Antimafia-Ermittlungen keine Priorität seitens der Politik eingeräumt wird. Für die Operation Platinum hat ein deutscher Ermittler des LKA hat zwischen Deutschland und Italien vermittelt und das Ermittlungsverfahren maßgeblich auf den Weg gebracht. Daraufhin kam eine Gemeinsame Ermittlungsgruppe zustande. Dieses recht neue europäische Instrument der Verbrechensbekämpfung erlaubt, dass Ermittler*innen aus mehreren Ländern in einem gemeinsamen Team zusammenarbeiten und die Ergebnisse der Maßnahmen von den Strafverfolgungsbehörden in den entsprechenden Ländern uneingeschränkt verwendet werden können. Eurojust hat die Aktionen koordiniert. Es wurden von deutschen und italienischen Ermittlern gemeinsam Kronzeugen vernommen, die wichtige Informationen zu den Mafia-Aktivitäten in Deutschland geben konnten. Es ist also trotz aller Bekenntnisse seitens der Politik gerade bei der Bekämpfung der Mafia immer wieder persönliches Engagement vonnöten, das Engagement von Staatsanwält*innen, die vor komplizierten, aufwändigen und langwierigen Ermittlungen nicht zurückschrecken, und das Engagement erfahrener Polizeikräfte. Der Leitende Oberstaatsanwalt Roth hat sich nach Abschluss der Ermittlungen daher eigens hingesetzt, um einen Brief an den neuen Präsidenten des Landeskriminalamts in Stuttgart zu verfassen. In ihm dankt er für die Unterstützung des LKA bei den Ermittlungen.

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Ein Mafia-Kronzeuge für Deutschland

18. April 2021 von S M

Bei einer Konferenz des Vereins mafianeindanke im Sommer 2017 in Berlin schüttelten Peter Henzler, Vizepräsident beim BKA, und der damalige Nationale Italienische Antimafiastaatsanwalt Franco Roberti sich die Hände. Man wolle künftig bei Ermittlungen mehr auf die Hilfe von italienischen Mafia-Kronzeugen setzen, sagte Henzler dabei. Das passiert leider so gut wie nie, bis heute – obwohl die rechtlichen Möglichkeiten bestehen, Mafia-Aussteiger in Italien gerichtssicher zu vernehmen, sodass ihre Aussagen in hiesigen Prozesse verwertet werden können.

Italienische Medien haben nun berichtet, dass Nicolino Grance Aracri die Seiten gewechselt hat und Kronzeuge geworden ist. Der Mann, den sie als Super-Boss apostrophieren, hat viel zu berichten, gerade auch über die ‘ndrangheta in Deutschland. Seit einem Monat schon steht er den Ermittlern Rede und Antwort. Wohl noch nie hat ein derart hochrangiges Mitglied der ‘ndrangheta beschlossen auszupacken. Italien könnte angesichts seines weitreichenden Wissens ein Erdbeben bevorstehen, da Grande Aracri auch bestens über Verwicklungen in Politik, Wirtschaft und Justiz Bescheid wissen dürfte.

Doch auch für die deutschen Strafverfolgungsbehörden ist die von Grande Aracri geäußerte Bereitschaft ein Glücksfall – sie müssen die Gelegenheit nur nutzen. Nicolino Grande Aracri kennt Deutschland bestens, er hat sogar hier gelebt. Mit Sicherheit kann er äußerst Erhellendes zu den hiesigen ‘ndrangheta-Strukturen und Niederlassungen beitragen – sofern die deutschen Strafverfolgungsbehörden Interesse an seinem Wissen haben und versuchen, dieses für ihre Zwecke zu nutzen.

Wer ist Nicolino Grande Aracri?

Nicolino Grande Aracri, im Jargon „Der Professor“ oder „Hände aus Gummi“ genannt, ist der Boss des gleichnamigen Clans, der zu einem der wichtigsten Clans der ‘ndrangheta überhaupt gehört.  Bereits seit den 1980er Jahren ist Nicolino Grande Aracri eine große Nummer. Sein Clan verdiente viel Geld mit dem Drogenhandel in Norditalien, ist aber auch mit Erpressungen aufgefallen und mit Investments in legalen Geschäftsbereichen, beispielsweise im Bausektor. Die Wichtigkeit seines Clans zeigt sich auch an der langen Liste seiner Verbündeten. Unter anderem gehören dazu die Arena und die Nicosia aus Isola di Capo Rizzuto, die Pelle aus San Luca und der Ferrazzo-Clan aus Mesoraca. Auch der in Deutschland aktive Dragone-Clan ist mit den Grande Aracri befreundet. Der Clan Mancuso, der im vergangenen Jahr von der Operation Rinascita Scott stark geschwächt worden war, ist ebenfalls eng mit den Grande Aracri verbunden.

Inzwischen gibt es auch aus den Reihen der ‘ndrangheta mehr und mehr Männer, die sich entscheiden, die Seiten zu wechseln. Dass Bosse sich von ihrem Clan lossagen, ist aber nach wie vor selten. Und dass ein Boss vom Kaliber Nicolino Grande Aracris auspackt, erst recht.

Der Clan Grande Aracri verfügt über zahlreiche Deutschlandbezüge, unter anderem nach Augsburg, Stuttgart und Münster. (Die Grande Aracri sind übrigens nicht mit den gleichfalls verbündeten Aracri zu verwechseln, die ebenfalls in Deutschland verbreitet sind: es handelt sich um zwei unterschiedliche Familien). In Münster war Nicolino Grande Aracri Inhaber eines Unternehmens, das Lebensmittel im- und exportierte, und hatte dort auch eine Meldeadresse. Sein Bruder Ernesto, der ihn als Boss vertritt, war in Augsburg gemeldet. Das liegt zwar schon einige Zeit zurück, doch die ‘ndrangheta verfügt über eine sehr gute Informationspolitik. Demzufolge ist Nicolino Grande Aracri mit Sicherheit auf dem Stand, was Aktivitäten und Präsenzen in Deutschland angeht.
Nicolino Grande Aracri war mehrmals inhaftiert.

Die Struktur der ‘ndrangheta

Der Kronzeuge Angelo Cortese sagte 1999 aus, dass Nicolino Grande Aracri einen sehr hohen Dienstgrad innerhalb der ‘ndrangheta habe: den so genannten crimine internazionale. Das bedeutet, dass Nicolino Grande Aracri die Struktur der ‘ndrangheta bestens kennt: denn die Organisation funktioniert so, dass ihre Mitglieder nur über das Bescheid wissen, was auf ihrer Ebene und darunter passiert, nicht aber die Abläufe auf den Ebenen über sich kennen.
Angelo Cortese ist übrigens eines der wenigen Beispiele von Kronzeugen, die von deutschen Staatsanwaltschaften vernommen worden sind. Allerdings handelte es sich dabei um eine maximal kurze Vernehmung in Minuten-, nicht Stundenlänge und schon gar nicht mit tagelangen Vernehmungen, wie dies eigentlich vonnöten wäre). Cortese war die ehemals rechte Hand von Nicolino Grande Aracri und wurde von diesem in den Clan eingeführt, kennt ihn also bestens.

Wie ich bereits auf der Seite von mafianeindanke berichtet hatte , erfolgte in Italien ein Schlag gegen die ‘ndrangheta aus Cutro, also vor allem gegen die Grande Aracri, der als Operation Aemilia betitelt wurde. Die Ermittlungen verweisen immer wieder auf Clanmitglieder im bayerischen Augsburg, die auch in der deutschen Gesamt-‘ndrangheta-Struktur eine wichtige Funktion erfüllen.  Wäre dies nicht ein geeigneter Aufhänger, Nicolino Grande Aracri im Rahmen eines deutschen Ermittlungsverfahrens zu vernehmen?

PS:

Das LKA Nordrhein-Westfalen hat Medienberichten zufolge inzwischen angekündigt, Nicolino Grande Aracri befragen zu wollen. Zunächst hatte die WAZ berichtet und in ihrem Artikel auf mafianeindanke Bezug genommen. Dem Bericht zufolge war der oben wiedergegebene Artikel auf der mafianeindanke-Seite auch im LKA gelesen worden und zum Anlass genommen worden, über eine Befragung Grande Aracris nachzudenken. Weitere Medien griffen eine Agenturmeldung der Deutschen Presse-Agentur zum selben Thema auf, die allerdings keinen Verweis auf mafianeindanke enthielt.

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Wie die Mafia in Deutschland von Covid profitieren will

28. Februar 2021 von S M

Diesen Text habe ich für mafianeindanke verfasst. Das Thema ist wichtig, daher wollte ich ihn auch hier veröffentlichen.

Es ist kaum bekannt in Deutschland, dass Augsburg für die ‘ndrangheta eine gewichtige Rolle spielt. Ein Blick in Corona-Zeiten nach Bayern zeigt nun auch, dass die Clans aus Italien strategisch genauso wie in ihrer Heimat agieren: Auch hierzulande bieten mutmaßliche Mafiosi Gastwirten, die wegen der Pandemie in Schwierigkeiten geraten sind, Kredite an. Seit langem warnen Ermittler*innen in Italien und mafianeindanke in Deutschland vor dieser Gefahr. Die Alarmglocken sollten schrillen.

Dass die Mafia in Augsburg seit Langem heimisch ist, ist den Sicherheitsbehörden bekannt. Analysen des BKA über die ‘ndrangheta in Deutschland, die die Behörde nach dem Duisburger Sechsfach-Mord erstellt hat, listeten schon 2008 mehrere Familien in der schwäbischen Stadt auf. Einige der erwähnten Personen sind in der Gastronomie tätig. Auch in der jüngeren Geschichte finden sich zahlreiche Belege: Ein Boss des Clans Farao wurde laut Ermittlungsakten zur Operation Stige auch in Augsburg lokalisiert. Die Aktion gegen die ‘ndrangheta führte im Januar 2018 zur Verhaftung von rund 170 Mitgliedern und Unterstützern der ‘ndrangheta, die Ermittler legten dabei einen der Schwerpunkte auf Deutschland.

Ein weiterer massiver Schlag gegen die ‘ndrangheta, die italienische Operation Aemilia, und deren gerichtliche Aufarbeitung wiesen erneut nach Augsburg – und auf mehrere Personen, die dort leben. In den Akten wird beispielsweise berichtet, wie eine hochrangige Mafia-Abordnung aus Italien in einem Kleinbus zur Hochzeit des Sohnes eines Mannes anreiste. Kalabrisches Süßgebäck sollten die Männer mitbringen. Über den Vater des Bräutigams schreiben italienische Ermittler, er sei eine wichtige Person der Gruppe aus Cutro, die sich in Augsburg angesiedelt hat (Cutro ist ein Ort im Süden Kalabriens) und fungiere als Verbindungsglied der deutschen Mafia-Gruppe mit Italien. Der Mann stehe in Verbindung mit dem Leitungsgremium der ‘ndrangheta in Deutschland, ist zu vernehmen, der so genannten Camera di Controllo. Da die Person in Augsburg in der Szene bekannt ist, ist es uns aus rechtlichen Gründen nicht möglich, sie genauer zu beschreiben. Ihr Name und weitere Details sind der Redaktion des Antimafia-Newsletters aber natürlich bekannt.

Die Familie dieses Mannes betreibt ein Restaurant. Er selbst verfolgt eine andere Arbeit, deren Honorierung im eher niedrigen Bereich angesiedelt ist. Reich dürfte er damit kaum werden. Quellen berichten, dass er dennoch mehrere Wohnungen in Augsburg erworben hat und auch Restaurants vermittelt, wie im Falle eines festgenommenen und nach Italien ausgelieferten Mannes. Aus Italien ist auch bekannt, dass er ein landwirtschaftliches Grundstück besitzt. In Augsburg verkauft der Mann Oliven, Olivenöl und andere Produkte an Gastwirte in der Region.

Gesichert ist, dass er Gastwirten schon seit längerer Zeit auch Kredite anbietet. Wie all dies mit seinem Einkommen möglich ist, ist mehr als fraglich. Die Vermutung liegt nahe, dass das Clan-Mitglied nicht selbst erwirtschaftetes Vermögen verleiht, sondern Mafia-Geld. Nun, seit der Corona-Pandemie, macht er verstärkt seine Runden und bietet „seine Hilfe“ an. Er spricht Gastwirte an, verweist auf nur zögerliche gezahlte Hilfsleistungen in der Corona-Pandemie vonseiten des deutschen Staates. Auch wenn Banken keine Kredite gewähren würden, stünde er bereit, allerdings zu einem höheren Zinssatz.

Dieses Vorgehen ist eindeutig illegal, außer, der Mann besitzt eine schriftliche Erlaubnis der BaFin. Davon ist nicht auszugehen. Für eine Strafverfolgung müssten allerdings Kreditzahlungen belegt werden können. Ob aber Kreditnehmer die Zahlungen bestätigen, sei dahingestellt. Denn die Gruppe der Italiener in Augsburg ist überschaubar, der Mafia-Hintergrund des Geldgebers vermutlich den allermeisten bekannt.

In Italien waren Antimafia-Ermittler seit langem davor, dass die Mafia-Clans die Notlage von in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Unternehmen für sich nützen. Eine dort bekannte Masche der Kriminellen ist, die betroffenen Unternehmen mit Kapitalspritzen zu unterstützen. Können diese Gelder dann nicht mehr zurückgezahlt werden, wechselt das Unternehmen den Eigentümer. Von außen ist das kaum zu erkennen, denn sowohl der Name der Unternehmen wie auch die beschäftigten Personen bleiben die gleichen. Lediglich der wirtschaftlich Berechtigte wechselt, also die Person, die von den Geschäftserlösen profitiert. Den Clans bietet das dann die Möglichkeit, diese Unternehmen für ihre Zwecke zu nutzen, etwa für die Geld-„Wäsche“.

In Deutschland ist ein solches Vorgehen bisher nicht bekannt geworden. mafianeindanke hat nun Kenntnis davon erhalten, dass auch in Deutschland die Mafia versucht, aus der Corona-Pandemie Profit zu schlagen. Wir konnten die Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Was in Augsburg Praxis ist, mag auch anderswo vorkommen, die Dunkelziffer ist wahrscheinlich hoch.

Gerade für Deutschland ist zu befürchten, dass die italienische Organisierte Kriminalität diese dank der Covid-Pandemie sich bietenden Chancen sich nicht entgehen lässt. Denn das Bewusstsein für mafiöse Investments ist hierzulande nur gering ausgeprägt. Entsprechende Kontrollmechanismen sind daher kaum vorhanden. In Italien können Präfekt*innen sogar die Prüfung der Rechnungslegung und Geldflüsse von Unternehmen anordnen, wenn mafiöse Umtriebe zu vermuten sind, um nur ein Beispiel zu nennen.

Die Gefahr in Deutschland abzuwenden, ist auf die Schnelle nicht einfach. Wichtig wäre es, alle staatlichen Stellen für diese spezielle Situation zu sensibilisieren. Auf lange Sicht sollten auch für Deutschland entsprechende Prüfmöglichkeiten geschaffen werden, wenn der Verdacht vorliegt, dass Akteur*innen der Organisierten Kriminalität in geschäftliche Veränderungen involviert sind.

Foto von Maksim Goncharenok von Pexels. Vielen Dank!

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Gratteri ist nicht allein

8. Februar 2021 von S M

Am Ende, nachdem er uns eine Stunde lang in seinem Büro ausführlich unsere Fragen im Interview beantwortet hat, begleitet uns der Staatsanwalt Nicola Gratteri zum Aufzug. „Dann müsst ihr nicht laufen und die ganzen Sachen die Treppe runtertragen“, sagt er und will uns schon verabschieden. Gemeinsam mit zwei wunderbaren Kollegen drehe ich eine Reportage über die ’ndrangheta für Arte. Wir waren sehr froh, dass der Antimafia-Staatsanwalt sich die Zeit für uns nahm, wo doch ein Maxi-Prozess in Lamezia Terme, eine Dreiviertelstunde entfernt, seine Abteilung in Beschlag nimmt. Gratteri fällt dann noch etwas ein. „Wartet einen Moment“, sagt er und verschwindet. Bald kehrt er zurück. „Ich habe noch was für Euch“, sagt er und streckt jedem von uns dreien einen Kugelschreiber hin. „Gratteri non è solo“, steht darauf, „Gratteri ist nicht allein“.

Bei unserer Fahrt in den folgenden Tagen quer durch Kalabrien wird man uns oft klar machen, wie sehr der Antimafia-Ermittler wertgeschätzt wird. Er ist eine Symbolfigur, einer, dem man vertraut, und der ein breites Kreuz hat. Der aber auch vor nichts zurückschreckt und die Mafia und ihre Unterstützer auskehrt, egal, wo sie sitzen, in der Wirtschaft, in der Politik, in der Justiz und auch die untreuen Kollegen in den Sicherheitsorganen. Der bereits erwähnte Prozess mit weit über 300 Angeklagten belegt das. Einer der Angeklagten ist ein Finanzpolizist, der 1969 im schwäbischen Leonberg geboren worden ist. Er arbeitet bei der Guardia di Finanza, führte wichtige Vernehmungen mit Kronzeugen durch und gab die Ergebnisse über Rechtsanwälte direkt an die Köpfe der ’ndrangheta-Clans in der Region weiter. Die Antimafia-Staatsanwaltschaft in Salerno, Kampanien, führt Ermittlungen gegen weitere Personen. Gratteri ist mit dem Aufräumen also noch nicht fertig. Auf der Anklagebank sitzen wieder auch Politiker, die der Anklage zufolge nicht dem Gemeinwohl gedient hatten, sondern der Mafia. Obwohl das Ausputzen wichtig ist, macht man sich damit nicht nur Freunde. Aber Gratteri ist wirklich nicht allein. Er hat die Bevölkerung hinter sich, und er hat Kolleginnen und Kollegen, die wie er Kalabrien, Italien, Europa und die Welt von der ’ndrangheta bereinigen wollen.

Ob dieser Kampf zu gewinnen ist, weiß niemand. Dafür, dass er geführt werden muss, wirbt der Staatsanwalt aber überzeugend, zumindest in Italien. Bei meinem letzten Besuch bei ihm hat er meiner Kollegin Margherita Bettoni und mir stolz einen Plan gezeigt für einen riesigen Gerichtssaal in Lamezia Terme, der auch unter Corona-Bedingungen einen Maxi-Prozess gegen die ’ndrangheta ermöglicht. Mit mehreren Zugängen, 150 zeitgleich möglichen Live-Verbindungen für Vernehmungen von Inhaftierten in Gefängnissen und Kronzeugen, die von ganz Italien zugeschaltet werden können. Mit Presseplätzen natürlich. In Rekordzeit von fünf Monaten wurde das Gebäude für das von ihm initiierte Projekt hergerichtet. Täglich von Montag bis Freitag tagt jetzt das Gericht in der Aula Bunker. Das Gebäude heißt so, weil sich auf dem Gelände, einem ehemaligen Industriegebiet, nebenan ein Bunker befindet.

Gratteri wollte, dass den Mafiosi in ihrer Heimat Kalabrien der Prozess gemacht wird. Direkt dort, wo sie, wie sich uns später bei unserer Reise zeigen sollte, die Bevölkerung misshandeln. Direkt dort, wo die Clans seit über 150 Jahren meinen, die Gegend für sich beanspruchen zu können. Wo Milliarden aus dem Drogenhandel, anderen illegalen und legalen Geschäften landen, und doch die Häuser verfallen.

In Italien hört man Gratteri zu. Seine Bücher, die er zusammen mit dem Wissenschaftler Antonio Nicasio schreibt, sind Bestseller. Gratteri ist in Talkshows zu Gast und seine Arbeit wird in den Medien ausführlich gewürdigt (wenn nicht gerade eine Splitterpartei dankbar eine Schwäche des italienischen Wahlsystems nutzt und die Regierung sprengt, wie am ersten Tag des Prozesses Rinascita Scott). Nach dreißig Jahren Ermittlungen gegen die ’ndrangheta gehört er zu den Menschen, die die Organisation wie kaum jemand anders kennen. Und daher warnt er unermüdlich vor den Gefahren der Organisation.

In Italien kennt man die Mafia-Clans, das Blut, die Morde, die Bomben, die Freunde in der Politik, dort findet er einen fruchtbaren Boden. Im Ausland verfangen seine Appelle dagegen ungehört. Aber Gratteri gibt nicht auf.

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Ich arbeite für viele große deutsche, schweizerische und österreichische Medien: für Magazine schreibe ich Reportagen und bin Partner für Recherchen. Als Autor zeichne ich für TV-Beiträge verantwortlich, außerdem übernehme ich Auftragsrecherchen. Auch als Interview-Partner werde ich regelmäßig von deutschen Fernsehsendern und Radiostationen angefragt. Auch im Bereich von Fiction bin ich als Consultant für TV- und Plattformproduktionen aktiv.

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