SANDRO MATTIOLI

Reporter, Autor und Referent

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Ein vermeidbarer Tod

7. Oktober 2017 von S M

Das Städtchen Hechingen am Fuß der Schwäbischen Alb war bisher weniger als Ort schwerer Kriminalität bekannt. Zwei Schüsse und ein Gerichtsverfahren haben die Idylle nun aber jäh durchschnitten. Ein 23 Jahre alter Mann wurde dabei ins Herz getroffen und war sofort tot. Der Hintergrund: Internationaler Drogenhandel.

Der nun zu Ende gegangene Prozess zeigt, dass Italiener hier Drogenhandel im großen Stil, aber zum Teil auch auf dilettantische Art betreiben. Derart dilettantisch, dass es einem jungen Mann zum Verhängnis wurde, der nur am Rande mit dem Geschehen zu tun hatte. Der junge Mann wurde nämlich am 1.Dezember 2016 aus einem fahrenden Auto heraus erschossen: wegen einem Kilo Marihuana und dem nicht beglichenen Verkaufspreis, 5000 Euro. Der Prozess zeigt aber auch, dass sich die deutschen Strafverfolgungs- und Justizbehörden mit dem Thema Mafia schwer tun und dass die internationale Dimension des Drogenhandels leider ausgeblendet bleibt.

Gewöhnlich wird vor allem der Kokainhandel mit der italienischen Mafia assoziiert, doch auch Marihuana ist eine Ware, die von der italienischen Organisierten Kriminalität gehandelt wird. Allerdings nicht prioritär, aus zweierlei Gründen: zum einen bringt Marihuana nicht so hohe finanzielle Erträge wie Kokain mit seiner weit größeren Gewinnspanne. Zum anderen ist das Entdeckungsrisiko ungleich größer, aufgrund der weniger zuverlässigen Konsumentenschaft. Dennoch lassen sich auch von diesem Hechinger Fall Verbindungen in mafiöse Strukturen finden, man muss dazu aber bis nach Italien gehen.

Bei den polizeilichen Ermittlungen spielte es zwar sehr wohl eine Rolle, ob es einen Mafia-Hintergrund gibt. Da es für den Prozess in Deutschland aber weitgehend unbedeutend ist, ob die Angeklagten einen Mafia-Hintergrund haben, ist dies im Hechinger Gericht nicht geschehen. Die Zugehörigkeit zur Mafia war in Deutschland bis vor Kurzem nicht strafbar und auch jetzt, nach einer Gesetzesänderung, wird sie wohl nur in Einzelfällen als Anklagepunkt herangezogen werden. In Italien dagegen dient sie als Grundlage für Verurteilungen und kann sich zudem strafverschärfend auswirken.

Im nun in Hechingen verhandelten Prozess dagegen wäre diese Frage von immenser Bedeutung gewesen. Denn die Staatsanwaltschaft von Catania hat vor einigen Jahren im Rahmen der Operation Prato Verde einen Drogenhändlerring beobachtet. Dieser war vor allem in Sizilien operativ und unterhielt dort eindeutige Mafia-Kontakte. Ein Mitglied hielt sich auch in Deutschland auf. Der Mann war bereits in Italien festgenommen worden, musste aber aus formalrechtlichen Gründen wieder aus der U-Haft entlassen werden. Er siedelte dann nach Deutschland über, und auch dort war ihm das Glück lange hold: Ein Haftbefehl gegen ihn, den die Staatsanwaltschaft in Catania wegen Drogenhandels anstrengte, wurde von den deutschen Behörden vor etwas mehr als zwei Jahren nicht anerkannt. Eine Tatsache, die den italienischen Staatsanwalt noch Monate später zornig werden ließ. Er arbeite regelmäßig mit vielen Staatsanwaltschaften in Deutschland zusammen, aber so etwas habe er noch nie erlebt, schimpfte er am Telefon. Seine Ermittler hätten den Drogenhändlerring monatelang abgehört, dennoch seien die Ergebnisse bei den deutschen Behörden nicht für voll genommen worden.

Dieser Mann war der Drogenlieferant der zwei Nachwuchs-Dealer in Hechingen. Sie hatten den Mann, den Nicht-Festgenommenen also, unter dem Namen „Catania“  im Handy abgespeichert. Ein italienischer Ermittler berichtet im Gespräch, dass die deutsche Behörde sich daran störte, dass in den von ihnen belauschten Verkaufsgesprächen und -chats von „zweieinhalb Reifen“ die Rede sei. Diese Chiffre, die für sich genommen keinen Sinn ergibt, wurde von den Deutschen nicht als Code für Drogenlieferungen anerkannt, der gesamte Kontext der Kommunikation ignoriert.  Man muss hier bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft fast schon von einem gewollten Wegsehen ausgehen, so offensichtlich ist der Wille, die verwendeten Chiffre nicht zu verstehen. Dieses Ignorieren hatte zur Folge, dass der Betreffende in seiner neuen Heimat nicht nur ungestört walten konnte, sondern sogar wusste, dass die Polizei nichts gegen ihn unternehmen würde: sie hatte ihn ja auch in Deutschland nach seiner Festnahme wieder laufen gelassen.

Erst nach dem Hechinger Mord musste „Catania“ doch in Untersuchungshaft, gemeinsam mit eben diesen zwei Kunden, den jungen Männern. Denn „Catania“ war es, der den Nachwuchs-Dealern mindestens ein Kilo Marihuana verkaufte, das dann vom Käufer nicht bezahlt wurde. „Catania“ war es, bei dem die beiden jungen Männer Schulden hatte. „Catania“ war es, der – natürlich – auf der Zahlung der Schuld beharrte.

Die baden-württembergischen Behörden, die den Haftbefehl gegen den Mann damals nicht anerkannten, sollten sich nun ein paar Fragen stellen. Denn hätte der jetzt Inhaftierte den beiden jungen Drogendealer-Anfängern kein Marihuana verkaufen können, weil er bereits festgenommen gewesen wäre, hätte der Käufer keine Schulden bei Catania gehabt. Dann hätten die unprofessionellen Drogendealer auch nicht in Hechingen herumgeschossen, hätten nicht den Freund des Drogenkäufers getroffen und der 23 Jahre alte Mann würde heute noch leben. Aber die baden-württembergischen Behörden haben den Haftbefehl aus Italien eben nicht anerkannt.

Die Strafen wurden am Mittwoch, 18. Oktober, verkündet. Die beiden jungen Drogendealer wurden wegen gemeinschaftlichen Mordes zu Haftstrafen verurteilt: der 22-Jährige zu lebenslänglich, sein 21 Jahre alter Kompagnon im rahmen des Jugendrechts zu neun Jahren. „Catania“ bekommt drei Jahre und neun Monate wegen Drogenhandels. Die Verteidigung will Revision einlegen.

Kategorie: Blog, Mafia Stichworte: Catania, Drogen, Hechingen, Mafia, Marihuana, Prozess, Umut

Mehr und mehr Mafiosi in Deutschland – das Versagen in Zahlen

14. August 2017 von S M

Vor zehn Jahren kam es im Nachgang zu dem Sechsfach-Mord von Duisburg zu einer Bestandsaufnahme der Mafia-Kriminalität in Deutschland. Die damals gesammelten Informationen, etwa ein Sachstandsbericht zu allen Angehörigen der ’ndrangheta in Deutschland, sind noch heute Verschlusssache. Bisher war nur bekannt, dass der ’ndrangheta-Bericht des BKA vom Jahr 2008 weitergeführt wurde und heute rund hundert Seiten mehr umfasst als die Ursprungsversion. Alarmiert von den Ergebnissen der Antimafia-Konferenz von Mafia? Nein, Danke! hat die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um mehr über die italienische Mafia in Deutschland zu erfahren. Die Antwort der Bundesregierung  ist in zweifacher Weise schockierend: Zum einen zeigt sie, wie wenig über das Treiben der Clans in Deutschland bekannt ist. Vor allem aber zeigt sie mit den gegebenen Zahlen das dramatische Versagen der Politik im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität auf.

Kurz zusammengefasst: In den vergangenen Zahlen wuchs die Zahl der Mafia-Angehörigen in Deutschland in eklatantem Maß. [Weiterlesen…]

Kategorie: Blog Stichworte: 'ndrangheta, Deutschland, Gesetze, Mafia

Leider erst im Januar…

13. Juni 2017 von S M

…wird der Tatort gezeigt, für den ich als Berater tätig war. Am Wochenende war der Film allerdings schon in einer Preview beim Sommerfestival des SWR in Mainz zu sehen. Da ich nicht hingehen konnte, hat ihn mir der Drehbuchschreiber Patrick Brunken dankenswerterweise vorher in einer Privatvorführung gezeigt, daraus auch das Bild. ich finde, Patrick hat eine wunderbare, sehr realitätsnahe Vorlage geschrieben, Roland Suso Richter daraus einen spannenden Thriller gedreht. Ich freue mich, an der Produktion beteiligt gewesen zu sein und auch dass die Hauptfigur meinen (Vor-)Namen trägt.
Tatort

Kategorie: Blog Stichworte: Ausstieg, Berater, Kopper, letzter Fall, Ludwigshafen, Mafia, Odenthal, Sandro, Tatort

Ganz Baden-Württemberg? Nein, nicht ganz…

10. Mai 2017 von S M

Gestern habe ich ein Seminar für Kolleginnen und Kollegen gegeben, die mehr über Investigative Recherche erfahren und lernen wollen. Veranstalter war die Journalistische Berufsbildung JBB des Verlegerverbandes in Baden-Württemberg mit dem wackeren Bernie Haupt, dazu eingeladen hatte mich die Initiative ProRecherche und Wolfgang Messner, einer der Gründer der Initiative. Bei der Vorbereitung zu dem Seminar habe ich Akten durchgesehen, teils aus Neugier, wo die Mafia in Baden-Württemberg schon überall Spuren hinterlassen hat, teils mit dem Wissen, dass sie im Ländle quasi flächendeckend vertreten ist. Natürlich sind mir die Festnahmen in Singen und überhaupt im Bodenseeraum in Erinnerung, schließlich habe ich sie damals in Deutschland bekannt gemacht. Stuttgart sowieso. Metzingen, Mannheim, klar. Aber als ich die Liste dann fertig hatte, war ich doch überrascht. Warum? Darum:

Backnang, Bad Kissingen, Bad Säckingen, Bad Urach, Bühl
Denkendorf, Dettingen, Donaueschingen
Ebersbach-Weiler, Edingen-Neckarshausen, Eislingen, Engen, Esslingen
Fellbach, Forchheim, Freiberg, Freiburg, Friolzheim
Gailingen am Hochrhein, Grenzach-Wylen
Hassmersheim, Heidelberg, Heidenheim, Heilbronn-Frankenbach, Hohentengen, Holzgerlingen
Karlsruhe, Konstanz, Korb, Korntal-Münchingen, Küssaberg-Reckingen, Kupferzell
Lörrach, Ludwigsburg
Mannheim, Metzingen, Müllheim, Münchingen, Münsingen, Murrhardt
Neckarbischofsheim, Nußloch
Offenburg, Oftersheim
Pforzheim
Radolfzell, Rastatt, Ravensburg, Reutlingen, Rielasingen-Worblingen, Rudersberg
Schramberg, Sigmaringen, Singen, Steinen-Hägelberg, St. Georgen, Stuttgart
Tübingen
Uhingen, Ulm
Villingen-Schwenningen
Waiblingen, Waldshut-Tiengen
Zimmern

…und sicher sind das noch längst nicht alle Orte, in denen entweder ein Mafioso gewohnt hat, aktiv war oder festgenommen worden ist.

Kategorie: Blog Stichworte: Baden-Württemberg, Clan, Deutschland, Ländle, Locale, Mafia, Musterländle

Mafiaparadies Deutschland

29. September 2016 von S M

Blätter für internationale Politik, 01.07.2016

Jüngst erzählte der Generalstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato, in einem Vortrag von seinem ersten Arbeitstag in der Staatsanwaltschaft. Ein erfahrener Kollege habe ihn damals, im Jahr 1991, zu einer Stadtrundfahrt in seinem Wagen eingeladen, erinnerte sich Scarpinato. Er erwartete, die Sehenswürdigkeiten seiner neuen Wirkungsstätte Palermo vorgeführt zu bekommen. Doch der Kollege steuerte als erstes eine unauffällige Straße an, stoppte den Wagen und sagte: „Hier starb am 3. April 1982 der Carabinieri-General Carlo Alberto Dalla Chiesa, zusammen mit seiner Frau und seinem Leibwächter.“ Als nächstes hielten sie an der Stelle, wo der sizilianische Regionalpräsident ermordet worden war. Und sie fuhren weiter, von einer Straße zur anderen, von Mordschauplatz zu Mordschauplatz, von einem Tatort zum nächsten, einen ganzen Tag lang. Überall hatte die Mafia unschuldige Menschen hingerichtet: Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Politiker, die sich den Verbrechern in den Weg gestellt hatten. In den folgenden Jahrzehnten kamen noch viele Orte hinzu, die man besuchen könnte. Viele hundert Tote hat die Mafia in Italien heute auf dem Gewissen.

In Deutschland gibt es glücklicherweise nicht so viele Tatorte wie in Sizilien und im übrigen Italien, und sie sind weniger bekannt. So begrüßenswert das ist, führt es doch auch in die Irre, und das in mehrfacher Hinsicht [Weiterlesen…]

Kategorie: Artikel, Italien, Mafia Stichworte: 'ndrangheta, beschlagnahme, Cosa Nostra, Einzug, Geldwäsche, Kriminalität, legale Wirtschaft, Mafia, Palermo, Schattenwirtschaft, Sizilien

Das Grau in den Blick nehmen

5. November 2015 von S M

Heute ist mein Kommentar zur Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Mitglieder der Mafia Capitale im Neuen Deutschland erschienen:

Heute beginnt in Rom das Hauptverfahren in einem bemerkenswerten Gerichtsprozess: 46 Mitglieder und Unterstützer der »Mafia Capitale« müssen sich dafür verantworten, dass sie mit Bestechungsgeldern öffentliche Aufträge erlangt haben: angefangen bei der Betreuung von Senioren und Flüchtlingen bis hin zu Bauaufträgen. Der Name der Bande ist insofern irreführend, wie die römischen Kriminellen nur losen Kontakt mit angestammten Mafiaorganisationen hatten. Sie sind eher als unabhängige Gruppe mit rechtsradikalen Führern zu sehen.

Dieses Verfahren zeigt, dass es keineswegs nur die angestammten Clans sind, die in einer parasitär bis symbiotischen Beziehung mit ihrem Heimatland leben – parasitär, indem sie mit ihrem Schmiergeld korrekt arbeitende Unternehmen verdrängen, symbiotisch, weil die Politiker, die die Kriminellen begünstigen, mitprofitieren. Im Gegenteil: Es gibt in Italien neben ausländischen Gruppierungen der organisierten Kriminalität eben auch einheimische Gruppen. Sie kopieren die klassische Mafia, gehören aber nicht zu ihr.

Solche Strukturen wachsen, wo es keinen Kontrolldruck gibt. [Weiterlesen…]

Kategorie: Blog Stichworte: 'ndrangheta, Experte, Grauzone, Kommentar, Legalität, Mafia, Mafia Capitale, Mattioli, Neues Deutschland, Renzi, Report, Reporter, Sandro

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Meine Referenzen

Ich arbeite für viele große deutsche, schweizerische und österreichische Medien. Zu meinen Kunden gehören Der Spiegel, Stern, Geo, Neue Zürcher Zeitung, Das Magazin (CH), Reportagen, Dummy, Blätter für Internationale Politik, Beef und viele weitere mehr, darunter liebevoll gemachte Spartenprodukte wie das Dummy-Heft, der Branchendienst Kress Pro oder das Kaffeemagazin crema. Als TV-Autor bin ich für Report München, den Bayerischen Rundfunk und Arte tätig. Zuletzt zeigte die ARD eine Ausgabe von "Die Story" mit meiner Mitwirkung.

Meine Vortragstätigkeit

Als Referent werde ich aufgrund meiner profunden Kenntnisse der italienischen Mafia regelmäßig gebucht – von deutsch-italienischen Vereinen bis hin zu Wirtschaftsverbänden, die ihre Mitglieder für die Gefahren durch die Organisierte Kriminalität sensibilisieren möchten. Ich biete meinen Kunden allgemeine Informationsvorträge, aber auch speziell auf sie zugeschnittene Präsentationen, unterstützt von Film- und Tonaufnahmen aus meinem persönlichen Archiv. Zudem biete ich Politik und Unternehmen Fachberatung an.

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