Die wunderbare Kollegin Amalia De Simone aus Italien reist für die italienische Zeitung Corriere della Sera durch Europa, immer auf der Spur der italienischen Mafia. Drei Teile widmet ihre Redaktion der ’ndrangheta in Deutschland, immerhin das wichtigste Land für die Verbrecherorganisation. Dafür hat sie auch meine sehr gut informierte Journalisten-Kollegin Margherita Bettoni interviewt, die tolle Giulia Norberti von meinem Verein mafianeindanke, den ehemaligen Leiter der Anti-OK-Abteilung des LKA Berlin, Bernd Finger, und den italienischen Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri, und auch meine Wenigkeit. Alle Interviewpartner mahnen, dass die italienischen Clans in Deutschland ideale Bedingungen finden und eine Gefahr für unser Land sind. Doch wo ist die deutsche Politik, die für Transparenz im Finanzwesen kämpft? Die die Löcher in der Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung schließt? Die sich zum Vorkämpfer gegen Organisierte Kriminalität macht? Die nicht zuschaut, wie tonnenweise Kokain auf den Markt geschwemmt wird, sondern den Dealern die Profite wieder abnimmt? Wo sind die Medien, die das interessiert? Absurderweise wird in Italien mehr über die Mafia in Deutschland berichtet als hierzulande.
Hier die englische Version von Amalia De Simones Feature, Teil 1:
Ohne viel Blut geht es für die Bild nicht
Der Staatsanwalt Giuseppe Lombardo aus Reggio Calabria wird heute auf der Titelseite der Bild gefeiert als „härtester Mafiajäger der Welt“. Ich hatte ihn gemeinsam mit Christian Gramstadt für meine Doku für Arte und die ARD, Die Story, interviewt. Als mein Verein mafianeindanke Lombardo später, im Juli vergangenen Jahres, zu einer Antimafia-Konferenz zu Gast hatte, lernten wir ihn erneut als sehr reflektierten, bestens informierten, ruhigen und intellektuellen, sehr angenehmen Gesprächspartner kennen. Aber klar, das macht sich als Titelzeile nicht so gut. Mich persönlich ärgert es extrem, wenn bei der Beschäftigung mit der Mafia der Aspekt der Bedrohungslage so in den Vordergrund gerückt wird. Einfach weil es nicht der Realität entspricht. Ja, es ist gefährlich, sich mit der Mafia zu beschäftigen. Aber noch gefährlicher ist es, wenn sich niemand mit ihr befasst. Es ist trotzdem gut, dass die Bild sich für das Thema Mafia interessiert, selbst wenn sie den ersten Artikel der Serie mit blutigen Bildern en masse garniert. Und selbst wenn sie das mit blödsinnigen reißerischen Sätzen tut wie: „Die Mafiosi haben nichts übrig für Giuseppe Lombardo. Außer einer Kugel. Oder einer Bombe.“
Ich würde mir wünschen, dass sensationsgeile Medien wie die Bild lieber in den Fokus rücken, was in Deutschland in Bezug auf die Mafia los ist, dass Teile der Gesellschaft und Wirtschaft bereits infiltriert sind, dass auch die Sicherheitskräfte nicht sicher vor Mafiakontakten sind und dass Deutschland Investitionsziel Nr.1 für die ’ndrangheta ist. Das sollte in der Zeitung stehen! Ich erwarte von einem Medium wie der Bild, aber auch den anderen großen Medien, dass sie ihrer Aufgabe nachkommen und hierzu recherchieren. und nicht immer dieses Uuh, die Mafia ist gefährlich für die Leute, die sich mit ihr beschäftigen. Also, Bild: Los geht’s! Immerhin geben sie dem von mir sehr geschätzten Giuseppe Lombardo morgen erneut Raum, um über die Mafia in Deutschland zu sprechen.
Als Hintergrund: Giuseppe Lombardo ist mehrfach wegen seiner exzellenten Arbeit bedroht worden. Allerdings vermeidet die ’ndrangheta inzwischen Morde an bedeutenden Persönlichkeiten im Normalfall, weil es ihre Geschäfte stört. Der letzte Mord an einem Staatsanwalt war der an Antonino Scopelliti im Jahr 1991. Die Tat war wohl gemeinsam von Cosa Nostra und ’ndrangheta organisiert und begangen worden, da Scopelliti mit großem Erfolg gegen hochrangige Mafiosi ermittelt hatte.
Und noch ein Nachtrag: Ein Vorschlag von mir, über die Berichterstattung zur Mafia in Deutschland zu reflektieren, wurde vom Netzwerk Recherche, der Vereinigung investigativer Journalisten in Deutschland, aufgegriffen. Beim Jahrestreffen Ende Juni in Hamburg werden die freie Autorin Margherita Bettoni, Axel Hemmerling oder Ludwig Kendzia vom MDR, Giulio Rubino vom italienischen Projekt Irpi und ich darüber diskutieren.
Kalabrische Verhältnisse in der deutschen Provinz
Als in der Nacht vom 8. zum 9. Januar die Türen in Hessen und Baden-Württemberg den Rammböcken der Polizei nachgaben und krachend splitterten, als elf mutmaßliche Mafiosi aus dem Schlaf gerissen wurden, als zeitgleich Mario L. in Kalabrien verstand, warum er in eine Straßenkontrolle geraten war und so lange auf dem Polizeirevier festgehalten wurde, ohne zu erfahren warum, als die Polizei 159 weitere Mafia-Verdächtige eingesammelt und festgenommen hatte, da nahm eine Großoperation ihren Lauf, der ein erwartbares Schicksal beschieden sein dürfte.
Zunächst finden solche Massenfestnahmen große Resonanz in den Medien. Alle sprechen vom wichtigsten Schlag gegen die ’ndrangheta seit XX Jahren und man glaubt, völlig unerwartet, schlagartig, überraschend sei die Mafia in Deutschland entdeckt worden. Natürlich findet sich auch die übliche Berichterstattung, die bar jeden Hintergrundwissens Dinge in die Welt hinausposaunt und nicht zwischen Clans und Organisation unterscheiden kann. Geschenkt. Es werden dann die üblichen Fragen gestellt: Was macht die Mafia in Deutschland? Wo sind die Mafiosi in Deutschland ansässig? Ist das gefährlich? Was bedeutet dieser Schlag?
Es sind wichtige Fragen, zweifelsohne. Aber es ist leider nur ein kleiner Teil der Fragen, die beantwortet werden müssten. Und es sind Fragen, die zeigen, wie wenig nachhaltig das Vorgehen gegen die Mafia außerhalb Italiens und damit auch in Deutschland ist.
Normalerweise hält diese Beachtung eine, vielleicht zwei Wochen an, dann versinkt das Thema Mafia wieder in der Nichtbeachtung. Ohne, dass Strukturen ausgeleuchtet würden. Ohne, dass Namen genannt würden. Ohne, dass langfristig die deutsche Politik- und Wirtschaftsordnung gefährdende Schwächen im Strafverfolgungsregime in der Bundesrepublik benannt würden. Ohne, dass vorhandene Verflechtungen zwischen Mafia und Politik oder zwischen Mafia und Wirtschaft dargestellt würden. Dann geht alles weiter wie zuvor. Bis zum nächsten „Schlag gegen die Mafia“.
Insofern ist jede Maxi-Operation immer auch etwas frustrierend für Journalisten wie mich, die sich mit dem Thema seit Langem befassen: man hofft immer, dass Deutschland nun doch erwachen möge, doch man hofft vergebens. Deutschland verfällt immer und immer wieder in den Dämmer und die Mafia kann weiter munter hierzulande investieren. Zugleich wird ein Gutteil der Festgenommenen wieder freigelassen, weil man ihnen doch nichts nachweisen kann oder weil die deutsche Justiz den Italienern einen Strich durch die Rechnung macht. Oder oder oder. Justizinstitutionen können extrem widerspenstig sein, wenn es um die deutsch-italienische Kooperation geht.
(Wie sehr das Thema Mafia unterschätzt wird, zeigt sich übrigens auch in dem unwürdigen Angebot einer großen überregionalen Zeitung, die eine Exklusivgeschichte von mir unter Bedingungen annehmen wollte: der Name des lokalen Korrespondenten müsse ebenfalls über der Geschichte stehen und man bezahle 250 Euro. Thema der Recherche: wie eine deutsche Staatsanwaltschaft systematisch Mafia-Ermittlungen hintertreibt und Ermittlungen unterlässt, obwohl ein gravierender Vorwurf gegen einen mutmaßlichen Mafioso, basierend auf einer qualifizierten Quelle, im Raum stand. Klar, dass es dann gefährlich wird, nehme ich auch noch gerne gratis in Kauf.)
Für den Stern war ich nun gemeinsam mit dem lieben Kollegen Norbert Höfler unterwegs, um das Wirken des Farao-Clans in Deutschland nachzuzeichnen, also der Gruppierung, die am 8. Januar durch eine von Italien aus gegen Widerstände vorangetriebene Polizeioperation geschwächt worden ist. Heute, am 28.3., erscheint das Heft mit unserer Reportage. Um ehrlich zu sein, als wir uns auf einen Zuschnitt der Geschichte einigten, war ich nicht ganz zufrieden. Ich hielt es für nicht allzu spannend, sich entlang den Orten zu bewegen, die wir aus den italienischen Ermittlungsunterlagen kannten. Ich lag kräftig daneben. Denn dieses Setting verschaffte mir Einsichten, die ich so nicht nur nicht erwartet hätte. Nein, sie haben mich geradezu schockiert.
Ich war für Recherchen im Mafia-Milieu schon an vielen Orten unterwegs. In Kalabrien, Sizilien und Neapel natürlich, aber auch im Allgäu, in Stuttgart, Ludwigshafen, Pforzheim und in Frankfurt etwa. Ich war aber noch nie in Melsungen, Borken, Fritzlar, Waldorfhäslach oder Kerstenhausen. Vor allem die Verhältnisse in der hessischen Provinz waren erschreckend: die Verhältnisse dort erinnerten mich sehr an tiefstes Kalabrien.
Dass Deutsche in blinder Zuneigung zum sympathischen Dolce-Vita-Italiener gerne auch mal die Mafia-Verdächtigkeit einiger ausblenden, war mir natürlich bekannt. Was insofern dennoch bitter ist, wie es eines der strukturellen Merkmale in Deutschland ist, die der Mafia das Leben leicht macht. Aber was ich nicht erwartet hätte, ist dass die Mafia inzwischen in manchen Gegenden eine Kontrolle über das Territorium erlangt hat, die ich so nur von Kalabrien kenne. Da werden Eindringlinge von außen wie eben wir Journalisten sofort unter Beobachtung genommen. Da wird ganz entspannt mit freundlichem Ton gedroht – nicht nur uns gegenüber, auch gegenüber anderen Kollegen und Kolleginnen fielen dieselben Worte. Da werden deutsche Unternehmer mit dem Tod bedroht. Da tut die Polizei im ländlichen Raum nichts oder bekommt nichts mit, was im Endeffekt genauso schlimm ist. Wohlgemerkt handelt es sich bei den Mafia-Verdächtigen nicht um Zugereiste, die erst seit Kurzem vor Ort sind. Nein, es sind Geschäftsleute, die bereits vor vielen Jahren auffällig wurden in unterschiedlichen kriminellen Kontexten, die schon vom BKA als Mafiaverdächtige in Berichten geführt wurden, Leute, die nichts zu befürchten hätten, wenn nicht italienische Ermittler deutsche Sicherheitskräfte zum Jagen tragen würden. Da gerät die Polizei nach Festnahmen in Misskredit, weil sie dem ach so netten Gastwirt nachstellt. Der Gipfel der Ignoranz war, dass eine Frau eine (von den Polizeimaßnahmen nicht betroffene) Wirtin beschuldigte, auf dem Rücken der Konkurrenz Werbung für sich zu machen. Was war geschehen? Bei der betroffenen Wirtin waren Anfragen angegangen, ob sie etwas mit den Mafia-Festnahmen zu tun hatten. Daraufhin distanzierte sich die italienische Wirtin auf ihrer Facebook-Seite von der Mafia. Prompt wurde ihr dies zum Nachteil ausgelegt, der Mafia-Gastwirt dagegen in Schutz genommen. Ich weiß, es klingt dramatisch, aber wenn die Gefährlichkeit der Mafia nicht erkannt wird und mutmaßlich Kriminelle von ehrlichen Bürgern verteidigt werden, dann geht es meiner Meinung nach um die Grundfesten unseres demokratischen Zusammenlebens.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Waiblinger Kreiszeitung lobend zu erwähnen, die als doch eher kleineres Medium derzeit in einer mehrteiligen Serie über die ’ndrangheta vor Ort aufklärt.
Ich weiß, dass auch dieser Blogeintrag nichts bringen wird. Aber wenn wir dann in zehn, zwanzig Jahren norditalienische Verhältnisse haben, wo man auch lange glaubte, die Mafia sei ein Problem Süditaliens und wo heute Gemeinderäte wegen Mafia-Infiltrationen aufgelöst werden müssen und manche Geschäftsbereiche nicht mehr von kriminellen Vertretern zu reinigen sind, wenn es also auch in Deutschland so weit gekommen sein wird – und es zeichnet sich ab, das dass passieren kann – dann werde ich wenigstens in den Spiegel sehen können.
Dies ist zwar ein schwacher Trost, aber irgendwie muss man sich ja motivieren.
Drei Italiener im Mordfall Kuciak festgenommen
Slowakische Medien berichten, dass drei Italiener im Zusammenhang mit dem Mord an Jan Kuciak festgenommen worden sind. Dabei handelt es sich um zwei Söhne des Bosses des Vadalá-Clans, Giovanni Vadalà. Sie sind den Angaben zufolge verbündet mit dem Clan Nucera aus Condofuri bei Reggio Calabria. Dieser Clan ist in der Schweiz ebenfalls mit Einschüchterungen von Journalisten auffällig geworden. In Italien sind zwischen 2006 und 2014 mehr als 2000 Journalisten von der Mafia bedroht worden. Im Ausland gibt es darüber bisher wenig Erhebungen. Es sind aber auch dort, auch in Deutschland, Bedrohungen durch Mafiosi bekannt. Ich würde soweit gehen und sagen, dass Sätze wie „Wer Fehler macht, bezahlt!“ zum Standardrepertoire von mafianahen Kreisen gehören. Das Problem ist: Einschüchterungen sind strafrechtlich schwer zu fassen, erst recht, wenn sie in indirekter Form ausgesprochen werden wie das Mafiosi gerne tun, etwa in dem beschriebenen Satz, oder verpackt als „freundliche Empfehlung“ wie „Passen Sie gut auf sich auf!“.
Wer italienisch spricht und sich en Detail für den Mafia-Hintergrund der jetzt Verhafteten interessiert, dem sei dieser Artikel von Lucio Musolino empfohlen, der wie immer gut unterrichtet ist.
Früher Zitronen, heute schlechte Pizza: Die Mafia in Sizilien
Wer erfahren möchte, wie die Cosa Nostra auf Sizilien entstanden ist:
Drei Mal Mafia: Sonntag Tatort, Montag Die Story, Dienstag massive Polizeioperation!
Soeben, vor ein, zwei Stunden, ist es zu einem massiven Schlag gegen die italienische Mafia gekommen, wie man ihn noch nie gesehen hat – mit weit über 150 Festnahmen in einer Operation, darunter einige auch in Deutschland, 13 genau. Die Operation richtete sich gegen den Farao-Clan, der seit Langem in Deutschland präsent ist. Der geneigte Leser mag darin eine Klimax erkennen, denn zählt man die Haftbefehle gegen die Mafia zusammen, kommt man selten auf die heute Nacht ergangenen 175. Und auch die rund 300 Festnahmen der Operation Crimine im Jahr 2011 setzen sich aus zwei Verfahren zusammen.
Es ist aber auch eine Klimax für mich, der Abschluss von drei verrückten Tagen!
Zuerst sendet die ARD am Sonntag einen Tatort, der wohl auf eine Anregung meines Vereins mafianeindanke zurückgeht (ich bin dessen Vorsitzender, so genau lässt sich aber nicht mehr klären, wie unsere Anregung auf fruchtbaren Boden gefallen ist, jedenfalls hat am Ende der Drehbuchautor Patrick Brunken einen gelungenen Film geschrieben und ich darf mich nun Berater des Tatorts nennen und war auch kurz darin zu sehen). In dem Tatort geht es um die Giftmüll-Geschäfte der Mafia, ein Thema, zu dem ich seit vielen Jahren recherchiere, eine Recherche, die auch mit dem Erscheinen meines Buchs „Die Müllmafia“ nicht endete. Und es geht um einen Kronzeugen, Patrick Brunken wurde von meiner Geschichte über Luigi Bonaventura inspiriert.
Gestern Abend lief dann die Reportage „Müll, Mafia und das große Schweigen“, eine Dokumentation von Christian Gramstadt unter anderem auch über meine Arbeit, im Rahmen der Reihe „Die Story“. Für diese Doku haben wir auch einige Staatsanwälte interviewt, deren Arbeit ich sehr schätze. Einer von ihnen ist Nicola Gratteri, der von den Kalabresen (außer den mafiösen) geliebt wird und beinahe den Status eines Stars hat (was auch gut so ist!). Ich konnte das selbst erleben, als ich zum Trame Festival in Lamezia Terme eingeladen war, ein Festival nur über Mafia- und Antimafiabücher, eine tolle, von einem ehrenamtlichen Team organisierte Veranstaltung.
Und heute hat dieser Staatsanwalt, Nicola Gratteri, zu einem quasi beispiellosen Schlag gegen die ’ndrangheta ausgeholt und 169 Mafiosi in Kalabrien und Deutschland festnehmen lassen, darunter auch ranghohe Gangster mit engen Bezügen zu Deutschland. Die genauen Details muss ich erst noch recherchieren, daher drücke ich mich hier noch vage aus. Zu gegebener Zeit also dazu mehr. Unter den Festgenommenen ist auch der Stuttgarter Mafia-Verdächtige Mario L., ein Mann, der früher enge Kontakte in die baden-württembergische Landespolitik unterhielt, der inzwischen aber in neuer Funktion tätig ist.
Eines steht aber jetzt schon fest: solche Wochen dürfte es ruhig häufiger geben, selbst wenn ich mir dann bald ein neues Thema suchen müsste…