„Wir leben Haare“ – so diese Werbung für einen Frisiersalon in Potsdam. Vielleicht sollten die Inhaber den Kopf zum Denken benutzen und nicht zum Haare züchten. Oder was sonst meint: Wir leben Haare?
In Gedenken an Roberto Mancini
„Irgendjemand sagte, das sei Berufsrisiko, worauf ich antwortete, das Risiko eines Polizisten ist, in eine Schießerei zu geraten, aber nicht diese Art von Tumor“ – das sagte der Polizist Roberto Mancini vor wenigen Monaten im Interview mit mir. Obwohl seine Energie nur für rund dreißig Minuten Gespräch genügte, seine Ärzte ihm davon abrieten und er viel Ruhe brauchte, wollte er dieses Interview unbedingt geben. Jetzt ist er tot.
Brutale Stille
In dieser Geschichte fehlt viel. Es fehlen Namen, es fehlen Leben, es fehlen Schuldige, und es fehlen Gräber. Vor allem aber fehlt es an einem: an Menschlichkeit. Eine Reise nach Sant’Anna, wo die deutsche Waffen-SS im August 1944 fast ein ganzes Dorf auslöschte.
Sant’Anna, 6. Dezember 2012, Kontext:Wochenzeitung
Auf die kleine Piazza vor der Kirche scheint die Sonne. Das Eis schmilzt unter dem Licht ihrer Strahlen, auch wenn diese im Spätherbst kaum wärmende Kraft haben. Der Blick reicht dank der klaren Luft weit, bis tief ins Tal hinunter fällt er. Erst nach einer Weile spürt man, dass hier die Stille herrscht. Eine unangenehm frostige Stille. Sie ist nicht Ruhe und nicht Entspannung. Sie ist vielmehr verstummte Gespräche, der Mangel jener Geräusche, die das Leben hervorbringt. Es ist menschengemachte Stille, und sie währt in Sant’Anna di Stazzema schon lange: seit damals, seit 1944, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Brutale Stille, wenn man so mag.
Unter dem Eis der Piazza ist Gras zu erkennen. Breite Steinplatten bilden einen Weg zu der Kirche, deren Tür trotz der Kälte weit geöffnet steht. Kerzen leuchten im Inneren. Der Bau ist aus groben Steinen gebaut, im Inneren aber von einiger Eleganz. Dunkle Holzbänke stehen jetzt wieder in ihr. Dort, wo heute das Gras wächst, war vor 68 Jahren kein Halm mehr. [Weiterlesen…]