Am 24.10.2017 um 20:15 zeigte Arte eine Doku von Christian Gramstadt und mir, die mit meinem Buch „Die Müll-Mafia“ ihren Ausgang nahm. Wochenlang waren wir in Italien, Frankreich, Deutschland, vor allem aber in Kalabrien, auf der Spur von toxischem und radioaktivem Müll unterwegs. Wir führten Dutzende Interviews mit Insidern, sichteten neue Dokumente und fanden auch neue Spuren nach Deutschland.
Im Anschluss an die Sendung war ich für ein Studiogespräch zu Gast. Eine besondere Freude ist es mir, dass unser Film am 12. Dezember 2017 in einem Kino in Reggio Calabria zum Gedenken an Natale De Grazia gezeigt worden ist. Jemand hat die Doku auch auf youtube eingestellt, die deutsche Version hier und die französische hier.
Ein vermeidbarer Tod
Das Städtchen Hechingen am Fuß der Schwäbischen Alb war bisher weniger als Ort schwerer Kriminalität bekannt. Zwei Schüsse und ein Gerichtsverfahren haben die Idylle nun aber jäh durchschnitten. Ein 23 Jahre alter Mann wurde dabei ins Herz getroffen und war sofort tot. Der Hintergrund: Internationaler Drogenhandel.
Der nun zu Ende gegangene Prozess zeigt, dass Italiener hier Drogenhandel im großen Stil, aber zum Teil auch auf dilettantische Art betreiben. Derart dilettantisch, dass es einem jungen Mann zum Verhängnis wurde, der nur am Rande mit dem Geschehen zu tun hatte. Der junge Mann wurde nämlich am 1.Dezember 2016 aus einem fahrenden Auto heraus erschossen: wegen einem Kilo Marihuana und dem nicht beglichenen Verkaufspreis, 5000 Euro. Der Prozess zeigt aber auch, dass sich die deutschen Strafverfolgungs- und Justizbehörden mit dem Thema Mafia schwer tun und dass die internationale Dimension des Drogenhandels leider ausgeblendet bleibt.
Gewöhnlich wird vor allem der Kokainhandel mit der italienischen Mafia assoziiert, doch auch Marihuana ist eine Ware, die von der italienischen Organisierten Kriminalität gehandelt wird. Allerdings nicht prioritär, aus zweierlei Gründen: zum einen bringt Marihuana nicht so hohe finanzielle Erträge wie Kokain mit seiner weit größeren Gewinnspanne. Zum anderen ist das Entdeckungsrisiko ungleich größer, aufgrund der weniger zuverlässigen Konsumentenschaft. Dennoch lassen sich auch von diesem Hechinger Fall Verbindungen in mafiöse Strukturen finden, man muss dazu aber bis nach Italien gehen.
Bei den polizeilichen Ermittlungen spielte es zwar sehr wohl eine Rolle, ob es einen Mafia-Hintergrund gibt. Da es für den Prozess in Deutschland aber weitgehend unbedeutend ist, ob die Angeklagten einen Mafia-Hintergrund haben, ist dies im Hechinger Gericht nicht geschehen. Die Zugehörigkeit zur Mafia war in Deutschland bis vor Kurzem nicht strafbar und auch jetzt, nach einer Gesetzesänderung, wird sie wohl nur in Einzelfällen als Anklagepunkt herangezogen werden. In Italien dagegen dient sie als Grundlage für Verurteilungen und kann sich zudem strafverschärfend auswirken.
Im nun in Hechingen verhandelten Prozess dagegen wäre diese Frage von immenser Bedeutung gewesen. Denn die Staatsanwaltschaft von Catania hat vor einigen Jahren im Rahmen der Operation Prato Verde einen Drogenhändlerring beobachtet. Dieser war vor allem in Sizilien operativ und unterhielt dort eindeutige Mafia-Kontakte. Ein Mitglied hielt sich auch in Deutschland auf. Der Mann war bereits in Italien festgenommen worden, musste aber aus formalrechtlichen Gründen wieder aus der U-Haft entlassen werden. Er siedelte dann nach Deutschland über, und auch dort war ihm das Glück lange hold: Ein Haftbefehl gegen ihn, den die Staatsanwaltschaft in Catania wegen Drogenhandels anstrengte, wurde von den deutschen Behörden vor etwas mehr als zwei Jahren nicht anerkannt. Eine Tatsache, die den italienischen Staatsanwalt noch Monate später zornig werden ließ. Er arbeite regelmäßig mit vielen Staatsanwaltschaften in Deutschland zusammen, aber so etwas habe er noch nie erlebt, schimpfte er am Telefon. Seine Ermittler hätten den Drogenhändlerring monatelang abgehört, dennoch seien die Ergebnisse bei den deutschen Behörden nicht für voll genommen worden.
Dieser Mann war der Drogenlieferant der zwei Nachwuchs-Dealer in Hechingen. Sie hatten den Mann, den Nicht-Festgenommenen also, unter dem Namen „Catania“ im Handy abgespeichert. Ein italienischer Ermittler berichtet im Gespräch, dass die deutsche Behörde sich daran störte, dass in den von ihnen belauschten Verkaufsgesprächen und -chats von „zweieinhalb Reifen“ die Rede sei. Diese Chiffre, die für sich genommen keinen Sinn ergibt, wurde von den Deutschen nicht als Code für Drogenlieferungen anerkannt, der gesamte Kontext der Kommunikation ignoriert. Man muss hier bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft fast schon von einem gewollten Wegsehen ausgehen, so offensichtlich ist der Wille, die verwendeten Chiffre nicht zu verstehen. Dieses Ignorieren hatte zur Folge, dass der Betreffende in seiner neuen Heimat nicht nur ungestört walten konnte, sondern sogar wusste, dass die Polizei nichts gegen ihn unternehmen würde: sie hatte ihn ja auch in Deutschland nach seiner Festnahme wieder laufen gelassen.
Erst nach dem Hechinger Mord musste „Catania“ doch in Untersuchungshaft, gemeinsam mit eben diesen zwei Kunden, den jungen Männern. Denn „Catania“ war es, der den Nachwuchs-Dealern mindestens ein Kilo Marihuana verkaufte, das dann vom Käufer nicht bezahlt wurde. „Catania“ war es, bei dem die beiden jungen Männer Schulden hatte. „Catania“ war es, der – natürlich – auf der Zahlung der Schuld beharrte.
Die baden-württembergischen Behörden, die den Haftbefehl gegen den Mann damals nicht anerkannten, sollten sich nun ein paar Fragen stellen. Denn hätte der jetzt Inhaftierte den beiden jungen Drogendealer-Anfängern kein Marihuana verkaufen können, weil er bereits festgenommen gewesen wäre, hätte der Käufer keine Schulden bei Catania gehabt. Dann hätten die unprofessionellen Drogendealer auch nicht in Hechingen herumgeschossen, hätten nicht den Freund des Drogenkäufers getroffen und der 23 Jahre alte Mann würde heute noch leben. Aber die baden-württembergischen Behörden haben den Haftbefehl aus Italien eben nicht anerkannt.
Die Strafen wurden am Mittwoch, 18. Oktober, verkündet. Die beiden jungen Drogendealer wurden wegen gemeinschaftlichen Mordes zu Haftstrafen verurteilt: der 22-Jährige zu lebenslänglich, sein 21 Jahre alter Kompagnon im rahmen des Jugendrechts zu neun Jahren. „Catania“ bekommt drei Jahre und neun Monate wegen Drogenhandels. Die Verteidigung will Revision einlegen.
Mafiaparadies Deutschland
Blätter für internationale Politik, 01.07.2016
Jüngst erzählte der Generalstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato, in einem Vortrag von seinem ersten Arbeitstag in der Staatsanwaltschaft. Ein erfahrener Kollege habe ihn damals, im Jahr 1991, zu einer Stadtrundfahrt in seinem Wagen eingeladen, erinnerte sich Scarpinato. Er erwartete, die Sehenswürdigkeiten seiner neuen Wirkungsstätte Palermo vorgeführt zu bekommen. Doch der Kollege steuerte als erstes eine unauffällige Straße an, stoppte den Wagen und sagte: „Hier starb am 3. April 1982 der Carabinieri-General Carlo Alberto Dalla Chiesa, zusammen mit seiner Frau und seinem Leibwächter.“ Als nächstes hielten sie an der Stelle, wo der sizilianische Regionalpräsident ermordet worden war. Und sie fuhren weiter, von einer Straße zur anderen, von Mordschauplatz zu Mordschauplatz, von einem Tatort zum nächsten, einen ganzen Tag lang. Überall hatte die Mafia unschuldige Menschen hingerichtet: Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Politiker, die sich den Verbrechern in den Weg gestellt hatten. In den folgenden Jahrzehnten kamen noch viele Orte hinzu, die man besuchen könnte. Viele hundert Tote hat die Mafia in Italien heute auf dem Gewissen.
In Deutschland gibt es glücklicherweise nicht so viele Tatorte wie in Sizilien und im übrigen Italien, und sie sind weniger bekannt. So begrüßenswert das ist, führt es doch auch in die Irre, und das in mehrfacher Hinsicht [Weiterlesen…]
Mafioso außer Dienst
Du musst wissen, welcher Knopf der richtige ist. Es ist eine typische italienische Klingelanlage: mattsilberne, runde Knöpfe, auf den Schildern daneben sind Namen eingraviert. «Bonaventura» brauchst du gar nicht erst zu suchen. Doch neben einem Knopf klebt ein handbeschriebener Zettel mit einem anderen Namen, seinem Tarnnamen. Es wirkt, als würde jemand hier nur für ein paar Wochen leben, vorübergehend. Der Zettel hängt jedoch seit Monaten. Diesen Knopf drückst du.
Irgendwo in Süditalien, Juni 2013, Reportagen
Ein Summen, ein kurzes Knattern, die Tür fällt hinter dir krachend ins Schloss, und du bist in einem Hauseingang: auf festem Marmor, die Wände sind ebenfalls marmorgefliest, bis ganz nach oben, die Decke ist freundlich gestrichen. Die Tür zum Aufzug stemmt sich wie jede Aufzugstür zunächst gegen das Aufziehen, dann kommt sie dir mit Schwung entgegen. Du drückst ein weiteres Mal auf einen Knopf, diesmal einen schwarzen, fährst einige Stockwerke nach oben und stehst vor einer Tür, einer normalen italienischen Wohnungstür in einem normalen italienischen Wohnhaus; sie scheint aus Holz zu sein, ist aber aus Metall. Diese hier ist sogar eines jener Modelle, die beim Schließen mehrere Riegel in den massiven Türrahmen treiben, weil in Italien doch so viel gestohlen wird. Vor Schüssen aber schützt sie nicht. [Weiterlesen…]
Es war einmal in Kalabrien
Der staatlichen HSH Nordbank droht der nächste Skandal. Das Institut hat einen Windpark im Süden Italiens finanziert, den die Behörden beschlagnahmt haben. Der Verdacht: ein Geldwäsche-Projekt der Mafia. Es geht um rund 200 Millionen Euro.
Isola di Capo Rizzuto/ Hamburg, Oktober 2012, Stern
Das Verkehrsschild sollte einmal vor kreuzenden Kühen warnen. Inzwischen ist es von Patronenkugeln durchsiebt, und es kündet so von ganz anderen Gefahren: Hier regiert die Gewalt. Es steht an einer löchrigen Straße mitten in Kalabrien. Sie verbindet das Örtchen Isola di Capo Rizzuto mit der Provinzhauptstadt Crotone. Das graue Asphaltband schlängelt sich zwischen 48 Windrädern hindurch. Hier, tief im Süden von Italien, ist in den vergangenen fünf Jahren einer der größten Windparks des Landes entstanden.
Wenn man die 96-Megawatt-Anlage besichtigt oder gar fotografiert, dann kommt ein grauer Volvo-Kombi angefahren. Ein Mann, grauhaarig, das Hemd leger aufgeknöpft, lässt die Scheibe runter, beugt sich herüber. Er wartet darauf, dass man ihn ansieht. „Tun Sie sich nicht weh“, sagt er dann. Es sind fürsorgliche Worte, doch sie klingen wie eine Drohung. Hinsehen ist hier nicht erwünscht. [Weiterlesen…]
Dreckige Geschäfte
In Heilbronn nahm der Absturz des schwerreichen italienischen Vorzeigeunternehmers Giuseppe Grossi seinen Lauf. Der Abfallmagnat erfreute sich bester Kontakte zu Politik und Wirtschaft, jetzt sitzt er als krimineller Steuerhinterzieher in Haft. Hundert Millionen Euro soll er mit der Hilfe von deutschen Unternehmern auf die Seite geschafft haben. Ein winziges, aber wichtiges Detail brachte das Finanzamt Heilbronn auf die Spur dieser Machenschaften.
Heilbronn, September 2011, Kontext:Wochenzeitung
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