SANDRO MATTIOLI

  • Germafia
  • Buchen
  • Kontakt / Impressum

Tränen und Thriller – die Summer School zum Thema Mafia und Frauen in Mailand vermittelt neues Wissen

20. September 2019 von S M

Es kann passieren, dass du der Schilderung einer Staatsanwältin zuhörst, wie sie versucht, eine Kronzeugin auf dem Weg ins Verderben zu stoppen und das Fahrzeug scheinbar jede Straßenbarriere unbemerkt passiert, und alles, was sie zur Verfügung hatte, war ein GPS-Signal. Kein Autotyp, keine Abhörmaßnahmen, nur ein Punkt auf dem Bildschirm.

Es kann passieren, dass du dich fragst, warum es besser ist, Frauen in Mafia-Clans nicht als Opfer zu sehen, sondern eher Faktoren zu berücksichtigen, die sie besonders vulnerabil machen, denn aus dem Opferstatus erwächst Schwäche, die Verwundbarkeit aber kann eine Ressource sein, die Stärke hervorbringt.

Es kommt ebenso vor, dass dich – und fast alle anderen des Kurses, der Professor und die zwei Professorinnen eingeschlossen – ein Theaterstück zu Tränen rührt und du die Macht der Worte spürst. Und es kann vorkommen, dass dir nach einer Woche und insgesamt 40 Stunden Unterricht der höchste italienische Antimafia-Staatsanwalt höchstpersönlich dein Diplom überreicht. Die Summer School an der Universität Mailand zu wechselnden Themen der Organisierten Kriminalität ist ohne Zweifel etwas Besonderes. An ihr teilzunehmen, wenn man italienisch spricht, ist ein großes Privileg.

Kommt man aber aus Deutschland, lässt sie einen auch etwas traurig zurück. Darüber, dass es eine solche Veranstaltung, die sich gleichermaßen an ein Fach- wie Massenpublikum richtet, in Deutschland nicht gibt. Und natürlich die alte und immer noch dringliche Leier, dass das Thema Organisierte Kriminalität und Mafia in Italien in der Breite eine Beachtung und Unterstützung erfährt, die man in Deutschland vergebens sucht. Zum neunten Mal organisierte die Staatliche Universität in Mailand das Blockseminar. Dieses Jahr war das Thema Mafia und Frauen. Es ist eine Kooperationsveranstaltung mit der italienischen Antimafia-Organisation Libera. Vonseiten der Uni gestaltenten die drei Professor*innen Nando dalla Chiesa, Monica Massari und Imbretta Ingrascí das Programm. Sie alle forschen zu Mafia und Organisierter Kriminalität – was allein schon zeigt, wie weit voraus Italien Deutschland in dieser Hinsicht ist. Eine der Organisatorinnen ist auch Sarah Mazzenzana, eine ehemalige Freiwilligendienstleistende von mafianeindanke. Die in diesem Jahr rund 40 festen Teilnehmer*innen setzen sich aus Polizist*innen, Staatsanwälten, Studierenden, Lehrer*innen, Pensionären und interessierten Bürger*innen zusammen. Die weitestangereiste Teilnehmerin kam eigens aus Washington.  

Es fällt schwer, eine Woche, die so reich an Eindrücken und Einsichten ist, zusammenzufassen. Ein   zulässiger Schluss ist sicher, dass der männliche Blick auf Frauen in Strukturen der Organisierten Kriminalität allzu lange Zeit eine umfassende Sicht des Phänomens quasi unmöglich machte. Auf breiter Ebene herrscht immer noch die medial geschaffene Verblendung von Clans als reiner Männergesellschaften vor. De facto haben Frauen in allen wichtigen Organisationen in Italien (‘ndrangheta, Cosa Nostra, Camorra und die kleineren Gruppen) bedeutende Rollen inne.

Die neapolitanische Camorra, die sich als fortschrittlichste Organisation versteht, kennt weibliche Bosse. Sogar das Beispiel einer Transfrau, die eine Gruppe führte, ist belegt. Auch verschiedene Vernehmungen mit weiblichen (Kron-)Zeugen zeigten, dass die Bedeutung von Frauen weit größer ist als nur Kinder zu erziehen und die (Un)werte der Mafia weiterzugeben. Richtig ist aber auch, dass es innerhalb der kalabrischen ’ndrangheta den Clans wichtig ist, Frauen möglichst stark unter Kontrolle zu halten, gerade weil ihre Funktion für die Clans so wichtig ist – selbst wenn sie formal nicht Mitglied werden dürfen und damit keine offizielle Funktion einnehmen. Als etwa bekannt geworden war, dass Giusy Pesce zur Kronzeugin wurde und die Seiten wechselte, feierte der gegnerische Clan Bellocco ein fest und spottete darüber, dass die Pesce ihre Frauen offensichtlich nicht unter Kontrolle halten können.

Häufig übernehmen Clanfrauen auch Dienstleistungsfunktionen als Rechtsanwältinnen oder Finanzverwalterinnen und Buchführerinnen. Es hilft, die ’ndrangheta nicht als einen monolithischen Block zu verstehen, sondern als Netzwerk verschiedener Clans, die keineswegs alle die gleichen Regeln und Verfahrensmuster pflegen.

In der Summer School kam aber nicht nur den Frauen in der Mafia große Bedeutung zu, sondern auch denen, die sie bekämpfen. Einige waren persönlich anwesend, etwa die Staatsanwältinnen Alessandra Cerreti und Alessandra Dolce. Zu hören, wie sie mit wichtigen Kronzeuginnen arbeiten, war spannend, erschütternd, aufschlussreich. Ihre Erzählungen glichen einem Thriller – nur mit allein weiblichen Hauptrollen. Auch Aussteigerinnen kamen zu Wort. Beispielsweise berichtete der Theaterregisseur Mimmo Sorrentino davon, wie seine Stücke entstehen. Er arbeitet in Hochsicherheitsgefängnissen mit inhaftierten Mafiafrauen. Er öffnet sie für ihre eigene Geschichte, indem er sie bittet, die Geschichte von Mithäftlingen wiederzugeben. Erst dieser Trick ermöglicht die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben. Wie beeindruckend das geht, berichteten zwei Frauen, die in seinen Stücken mitgespielt haben. Eine der Schauspielerinnen erzählte, wie sie sich in einen jungen Mann verliebte, einen hochrangigen Mafioso aus einer bekannten Familie. Es sind auch Zeugnisse wie diese, die das Wissen über Organisierte Kriminalität nicht nur vertiefen, sondern auch anschaulich werden lassen.

Überraschend war die Unterstützung der Summer School durch höchste Autoritäten. Giuseppe Sala, der Bürgermeister von Mailand kam zur Eröffnung und kündigte an, dass die Kommune die zehnte Ausgabe der Summer School im kommenden Jahr unterstützen werde. Italiens höchster Antimafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho persönlich übergab neben vielen anderen bedeutenden Personen am Ende Zeugnisse.

Kategorie: Blog, Italien, Mafia

Neuartige Mafia-Ermittlungen bieten immer auch neue Ansätze für die Verteidigung

15. November 2018 von S M

Es ist schon ein paar Tage her, dass ich in Konstanz war und über das dort laufende Gerichtsverfahren gegen neun Mitglieder einer Drogenhändlerbande berichtet habe. Wer den Text nachlesen mag, findet ihn hier verlinkt. Der Besuch war hochinteressant: Nicht nur berichtete der Ermittlungsführer über die Arbeit, die ihm 1500 Überstunden eingebrockt hat. Nein, man konnte auch beobachten, wie die Anwälte der Hauptangeklagten nach Einhakpunkten suchen für mögliche Berufungsverfahren.

Wer wann wo in Italien auf Dienstreise war, wollten sie recht detailliert wissen. In dem Ermittlungsverfahren hatten die beiden Staatsanwälte den direkten Austausch unter den Polizistinnen und Polizisten  erlaubt. Die Rechtsanwälte suchen daher nun nach formalen Fehlern, die das Verfahren sprengen könnten. Bisher sind es allerdings nur die vielen Anträge seitens der Verteidiger, die das Verfahren sprengen, zumindest den Zeitplan. Das ist natürlich das gute Recht der Verteidiger, die ja für ihre Mandanten das optimal Ergebnis herausholen sollen. Trotzdem würde ich als Journalist mir natürlich wünschen, dass mehr zur Sache zur Erwähnung kommt im Gerichtsverfahren. Etwa die Frage, was das alles mit Mafia zu tun hat.

Diese Frage schwebt beständig über dem Verfahren. Ich persönlich habe den Eindruck, dass man es bei einem Teil der Angeklagten tatsächlich mit Mafiosi zu tun hat; die italienischen Kontakte sprechen dafür und auch, dass auch unter den Zuschauern schon eindeutige Mafiamitglieder gesichtet worden sind. Andere Angeklagte scheinen mir trotz recht „prominenter“ Nachnamen eher so reingerutscht. Ich jedenfalls bin gespannt, ob diese Frage noch vertieft wird. Bisher hat sie der  Vorsitzende Richter jedenfalls nicht behandeln wollen.

Kategorie: Blog, Italien, Mafia Stichworte: 'ndrangheta, Bande, Drogen, Gastwirt, Kilo, Konstanz, Mafia, Marihuana, Prozess, Schwarzwald, Schwenningen, Tuningen, Villingen

Drei Mal Mafia: Sonntag Tatort, Montag Die Story, Dienstag massive Polizeioperation!

9. Januar 2018 von S M

Soeben, vor ein, zwei Stunden, ist es zu einem massiven Schlag gegen die italienische Mafia gekommen, wie man ihn noch nie gesehen hat – mit weit über 150 Festnahmen in einer Operation, darunter einige auch in Deutschland, 13 genau. Die Operation richtete sich gegen den Farao-Clan, der seit Langem in Deutschland präsent ist. Der geneigte Leser mag darin eine Klimax erkennen, denn zählt man die Haftbefehle gegen die Mafia zusammen, kommt man selten auf die heute Nacht ergangenen 175. Und auch die rund 300 Festnahmen der Operation Crimine im Jahr 2011 setzen sich aus zwei Verfahren zusammen.

Es ist aber auch eine Klimax für mich, der Abschluss von drei verrückten Tagen!

Zuerst sendet die ARD am Sonntag einen Tatort, der wohl auf eine Anregung meines Vereins mafianeindanke zurückgeht (ich bin dessen Vorsitzender, so genau lässt sich aber nicht mehr klären, wie unsere Anregung auf fruchtbaren Boden gefallen ist, jedenfalls hat am Ende der Drehbuchautor Patrick Brunken einen gelungenen Film geschrieben und ich darf mich nun Berater des Tatorts nennen und war auch kurz darin zu sehen). In dem Tatort geht es um die Giftmüll-Geschäfte der Mafia, ein Thema, zu dem ich seit vielen Jahren recherchiere, eine Recherche, die auch mit dem Erscheinen meines Buchs „Die Müllmafia“ nicht endete. Und es geht um einen Kronzeugen, Patrick Brunken wurde von meiner Geschichte über Luigi Bonaventura inspiriert.

Gestern Abend lief dann die Reportage „Müll, Mafia und das große Schweigen“, eine Dokumentation von Christian Gramstadt unter anderem auch über meine Arbeit, im Rahmen der Reihe „Die Story“. Für diese Doku haben wir auch einige Staatsanwälte interviewt, deren Arbeit ich sehr schätze. Einer von ihnen ist Nicola Gratteri, der von den Kalabresen (außer den mafiösen) geliebt wird und beinahe den Status eines Stars hat (was auch gut so ist!). Ich konnte das selbst erleben, als ich zum Trame Festival in Lamezia Terme eingeladen war, ein Festival nur über Mafia- und Antimafiabücher, eine tolle, von einem ehrenamtlichen Team organisierte Veranstaltung.

Und heute hat dieser Staatsanwalt, Nicola Gratteri, zu einem quasi beispiellosen Schlag gegen die ’ndrangheta ausgeholt und 169 Mafiosi in Kalabrien und Deutschland festnehmen lassen, darunter auch ranghohe Gangster mit engen Bezügen zu Deutschland. Die genauen Details muss ich erst noch recherchieren, daher drücke ich mich hier noch vage aus. Zu gegebener Zeit also dazu mehr. Unter den Festgenommenen ist auch der Stuttgarter Mafia-Verdächtige Mario L., ein Mann, der früher enge Kontakte in die baden-württembergische Landespolitik unterhielt, der inzwischen aber in neuer Funktion tätig ist.

Eines steht aber jetzt schon fest: solche Wochen dürfte es ruhig häufiger geben, selbst wenn ich mir dann bald ein neues Thema suchen müsste…

Kategorie: Artikel, Blog, Italien, Mafia Stichworte: 'ndrangheta, Alb, Baden-Württemberg, Chitarra, Clan, Drogen, farao, festnahme, Filz, Geldwäsche, Giftmüll, Grande Aracri, Honoratioren, intersport, Kokain, Mafia, pizzaconnection, Remstal, Schickeria, Süddeutschland

Das Gift der Mafia

10. Oktober 2017 von S M

Am 24.10.2017 um 20:15 zeigte Arte eine Doku von Christian Gramstadt und mir, die mit meinem Buch „Die Müll-Mafia“ ihren Ausgang nahm. Wochenlang waren wir in Italien, Frankreich, Deutschland, vor allem aber in Kalabrien, auf der Spur von toxischem und radioaktivem Müll unterwegs. Wir führten Dutzende Interviews mit Insidern, sichteten neue Dokumente und fanden auch neue Spuren nach Deutschland.
Im Anschluss an die Sendung war ich für ein Studiogespräch zu Gast. Eine besondere Freude ist es mir, dass unser Film am 12. Dezember 2017 in einem Kino in Reggio Calabria zum Gedenken an Natale De Grazia gezeigt worden ist. Jemand hat die Doku auch auf youtube eingestellt, die deutsche Version hier und die französische hier.

Kategorie: Blog, Italien, Mafia

Die Gewissheit des Todes

27. Februar 2017 von S M

Die Luft flirrt in der Hitze über der großen Betonfläche vor der Halle, ein Kühllastwagen parkt an ihrem Rand. An seinem Heck leuchtet das Emblem des Roten Kreuzes. Hier sind sie drin. Ab und an bläst der Wind einen Fetzen Gestank herüber, vergleichbar dem von Kuhdung, nur süßer. Es ist der Geruch des Todes. Seit Kurzem werden hinter den Mauern dieser Halle massenweise Leichen gewaschen, geröntgt, begutachtet, die persönlichen Dinge und alles, was die Menschen bei sich trugen, erfasst und dokumentiert. Werden Tätowierungen, Narben und Knochenbrüche gesucht, Gebisse fotografiert und Kleidungsstücke und Schmuck aufgenommen. Gerichtsmediziner aus ganz Italien beteiligen sich an dem Projekt. Kühllastwagen wie dieser bringen die Toten.

Hier, umgeben von Zäunen und Mauern und im Schutz von hochbewaffneten Soldaten, auf einer Nato-Basis an der sizilianischen Ostküste nahe der kleinen Stadt Melilli, hier will Italien Europa aufrütteln. In einer Halle, die erdbraun ist wie die von der Sonne verbrannten Flächen drum herum, erdbraun wie die Verwaltungsgebäude nebenan, erdbraun wie die Tarnuniformen der Soldaten, die hier Dienst tun.

Der Weg zu dieser Halle ist mit Gittern abgegrenzt. Attenzione, area riservata, warnen daran angebrachte Schilder, sich nähern untersagt. In gleich vier Sprachen verbieten sie das Aufnehmen von Fotos. Kaum einmal schimmert das Blau des Meeres irgendwo zwischen den Gebäuden durch.

Es ist der Versuch, systematisch so genannte post-mortem-Daten zu sammeln, also Informationen, die helfen können, diese Toten zu identifizieren. [Weiterlesen…]

Kategorie: Italien, Lieblingstexte, Reportagen Stichworte: Flüchtlinge, gleiche Rechte, identifikation, Italien Sizilien, Migranten, Tote

Mafiaparadies Deutschland

29. September 2016 von S M

Blätter für internationale Politik, 01.07.2016

Jüngst erzählte der Generalstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato, in einem Vortrag von seinem ersten Arbeitstag in der Staatsanwaltschaft. Ein erfahrener Kollege habe ihn damals, im Jahr 1991, zu einer Stadtrundfahrt in seinem Wagen eingeladen, erinnerte sich Scarpinato. Er erwartete, die Sehenswürdigkeiten seiner neuen Wirkungsstätte Palermo vorgeführt zu bekommen. Doch der Kollege steuerte als erstes eine unauffällige Straße an, stoppte den Wagen und sagte: „Hier starb am 3. April 1982 der Carabinieri-General Carlo Alberto Dalla Chiesa, zusammen mit seiner Frau und seinem Leibwächter.“ Als nächstes hielten sie an der Stelle, wo der sizilianische Regionalpräsident ermordet worden war. Und sie fuhren weiter, von einer Straße zur anderen, von Mordschauplatz zu Mordschauplatz, von einem Tatort zum nächsten, einen ganzen Tag lang. Überall hatte die Mafia unschuldige Menschen hingerichtet: Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Politiker, die sich den Verbrechern in den Weg gestellt hatten. In den folgenden Jahrzehnten kamen noch viele Orte hinzu, die man besuchen könnte. Viele hundert Tote hat die Mafia in Italien heute auf dem Gewissen.

In Deutschland gibt es glücklicherweise nicht so viele Tatorte wie in Sizilien und im übrigen Italien, und sie sind weniger bekannt. So begrüßenswert das ist, führt es doch auch in die Irre, und das in mehrfacher Hinsicht [Weiterlesen…]

Kategorie: Artikel, Italien, Mafia Stichworte: 'ndrangheta, beschlagnahme, Cosa Nostra, Einzug, Geldwäsche, Kriminalität, legale Wirtschaft, Mafia, Palermo, Schattenwirtschaft, Sizilien

  • 1
  • 2
  • 3
  • Nächste Seite »

Copyright © 2025 · BLITZGEEK webdesign