SANDRO MATTIOLI

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Warum wir die Mafia unterschätzen

22. Januar 2018 von S M

Das Böse wohnt in der Nachbarschaft? Der jüngste Antimafia-Einsatz war spektakulär und hat gezeigt, wie massiv sie hierzulande vertreten ist. Gerade in Baden-Württemberg. Dennoch hält sie kaum jemand für wirklich gefährlich. Warum eigentlich? Fünf Thesen dazu, die ich in der Kontext:Wochenzeitung  veröffentlicht habe:

1. Das Böse ist anderswo, aber nicht in unserer Nachbarschaft.

Sicher hätten sich die Sportler des TV Häslach in Walddorfhäslach im Jahr 2015 nicht träumen lassen, dass der neue Wirt des Vereinsheims ein Mafioso ist. Genauso verhält es sich bei einem anderen Gastronomen im Raum Stuttgart, der eine Zeit lang sogar einen Link zu einer Art Hymne der ’ndrangheta auf seiner Seite hatte. Auch Angela Merkel, die gewiss jeder Nähe zur Mafia unverdächtig ist, hat in Mitteldeutschland ein Lieblingsrestaurant, vor dem sie der Staatsschutz bereits gewarnt hat, dort doch besser nicht zu speisen. [Weiterlesen…]

Kategorie: Blog, Lieblingstexte Stichworte: 'ndrangheta, Clan, Deutschland, erpressung, farao, festnahme, Mario L., operation, schutzgeld, stige

Auf der anderen Seite

18. März 2017 von S M

Als der Antimafia-Demonstrationszug im Hafen von Messina endlich in Gang kommt und sich zum Dom emporschiebt, steht ein Junge seltsam unbewegt am Straßenrand. Es ist der 21. März 2016. Schon lange wird an diesem Tag in Italien an die unschuldigen Opfer der Mafia erinnert, doch erst seit diesem Jahr ist er ein offizieller Gedenktag. 30 000 Menschen sind aus dem ganzen Land nach Sizilien gekommen. „Die Mafia ist ein Haufen Scheiße“, schreit eine Gruppe von Schülern mit Plakaten in der Hand. „Raus mit der Mafia aus dem Staat!“, eine andere. Auch der Bürgermeister der Stadt ist irgendwo im Pulk unterwegs und diskutiert mit Bürgern. Wie immer bei öffentlichen Anlässen trägt er ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Free Tibet“. Nonnen laufen mit und Punks, manche gedenken schweigend der Toten.

Der Junge aber, nennen wir ihn Calogero, zeigt keine Regung. Steif steht er auf dem Trottoir, zieht eine Zigarette nach der anderen aus der Schachtel. Wie ein Mann will er rauchen: nur die nötigsten Bewegungen machen, den Rücken durchgedrückt, das Haupt erhoben, die Augen verborgen hinter einer Pilotenbrille. Das Feuerzeug führt er cool zur Zigarette. Er fühlt sich sichtlich unwohl hier, aber das sagt er nicht: Calogero ist wortkarg. Etwas mit Mode will er einmal machen; was genau, behält er für sich. Mit Fremden zu sprechen ist er nicht gewohnt und vermeidet es. Ratsam wäre es ohnehin nicht: nicht, wenn es um private Dinge geht, und privat ist in seinem Heimatort so ziemlich alles. Und erst recht nicht, wenn man derlei Bekanntschaften pflegt, wie er es tut. Einmal schiebt der Junge die Sonnenbrille nach oben. Seine großen dunklen Augen würden Wärme ausstrahlen, wären die Gesichtszüge drum herum nicht eingefroren. Schnell fällt die Brille wieder. Er lächelt nicht, nicht hier.

Über Calogero darf nichts in diesem Text stehen, was ihn erkennbar machen würde. Er ist erst 16 Jahre alt, er hat die Zukunft noch vor sich. Wobei das nicht ganz so sicher ist. Denn Calogero kommt aus einem klassischen Mafia-Ort in Kalabrien; manch 16-Jähriger erlebt dort seinen dreißigsten Geburtstag nicht oder wenn, dann im Gefängnis. Einer der mächtigsten Clans der ’ndrangheta, der kalabrischen Mafia, hat in seiner Heimat das Sagen. Viele im Ort sind mit der Bande im Bund. Auch Calogero. [Weiterlesen…]

Kategorie: Lieblingstexte, Reportagen

Die Gewissheit des Todes

27. Februar 2017 von S M

Die Luft flirrt in der Hitze über der großen Betonfläche vor der Halle, ein Kühllastwagen parkt an ihrem Rand. An seinem Heck leuchtet das Emblem des Roten Kreuzes. Hier sind sie drin. Ab und an bläst der Wind einen Fetzen Gestank herüber, vergleichbar dem von Kuhdung, nur süßer. Es ist der Geruch des Todes. Seit Kurzem werden hinter den Mauern dieser Halle massenweise Leichen gewaschen, geröntgt, begutachtet, die persönlichen Dinge und alles, was die Menschen bei sich trugen, erfasst und dokumentiert. Werden Tätowierungen, Narben und Knochenbrüche gesucht, Gebisse fotografiert und Kleidungsstücke und Schmuck aufgenommen. Gerichtsmediziner aus ganz Italien beteiligen sich an dem Projekt. Kühllastwagen wie dieser bringen die Toten.

Hier, umgeben von Zäunen und Mauern und im Schutz von hochbewaffneten Soldaten, auf einer Nato-Basis an der sizilianischen Ostküste nahe der kleinen Stadt Melilli, hier will Italien Europa aufrütteln. In einer Halle, die erdbraun ist wie die von der Sonne verbrannten Flächen drum herum, erdbraun wie die Verwaltungsgebäude nebenan, erdbraun wie die Tarnuniformen der Soldaten, die hier Dienst tun.

Der Weg zu dieser Halle ist mit Gittern abgegrenzt. Attenzione, area riservata, warnen daran angebrachte Schilder, sich nähern untersagt. In gleich vier Sprachen verbieten sie das Aufnehmen von Fotos. Kaum einmal schimmert das Blau des Meeres irgendwo zwischen den Gebäuden durch.

Es ist der Versuch, systematisch so genannte post-mortem-Daten zu sammeln, also Informationen, die helfen können, diese Toten zu identifizieren. [Weiterlesen…]

Kategorie: Italien, Lieblingstexte, Reportagen Stichworte: Flüchtlinge, gleiche Rechte, identifikation, Italien Sizilien, Migranten, Tote

Liebe deinen Nächsten

27. November 2014 von S M

Die Fischerbar Scordapene in Pozzallo. (c) mauro D'Agati

In Pozzallo auf Sizilien gehen die Einheimischen zu den Beerdigungen der ertrunkenen Flüchtlinge. Der Bürgermeister gibt sogar sein bestes Leintuch, ein Hochzeitsgeschenk,  für die Toten.

Pozzallo, Sizilien, Oktober 2014, Das Magazin

Es sind anstrengende Tage derzeit. Im Rathaus von Pozzallo, einem Städtchen ganz im Süden von Sizilien, stehen die Leute Schlange, denn Luigi Ammatuno, ihr Bürgermeister, wird in der Nacht für zwei Wochen zu den nach New York ausgewanderten Mitbürgern fliegen. Ein Mann lässt im Zorn die Tür knallen; er warte seit drei Stunden, tobt er, seit acht Uhr am Morgen, und noch immer sei er nicht an der Reihe. In der Gemeinde herrscht zudem Streit über den Haushalt, ein dickes Minus steht im Buch. Und die Staatsanwaltschaft ermittelt sowohl gegen den vorhergehenden Bürgermeister wie auch gegen den aktuellen Chef der Stadtpolizei wegen Untreue, Betrug und anderer Delikte. Doch all das ist es nicht, was Virginia Giugno verfolgt. „Ich bin müde“, sagt sie leise, und stützt ihren Kopf mit beiden Händen auf die Lehne eines Stuhls im Sitzungssaal auf. „Ich halte diese Normalität einfach nicht mehr aus.“ [Weiterlesen…]

Kategorie: Artikel, Italien, Lieblingstexte, Reportagen Stichworte: Afrika, Erstaufnahmelager, ertrinken, Fischer, Flüchtlinge, Frontex, Grenze, Holzboot, Katastrophenschutz, Mare, Marine, Massengrab, Meer, Menschenschmuggel, Minderjährige, Mittelmeer, Netze, Nostrum, Nussschale, Palästinenser, Pozzallo, riskant, Schande, Schengen II, schmuggler, Schwimmweste, Sizilien, Syrien, tot, Überfahrt

Der Froschkönig

1. Juli 2013 von S M

Rexhep Arapi, ein Froschfänger in Albanien. Foto: Sandro Mattioli

Nein, nicht. Noch nicht. Andon Shakaj hält den Türgriff seines schweren Geländewagens in der Hand und macht keine Anstalten, die Tür zuzustoßen. Der V6-Motor rumort schon eine Weile nicht mehr, der Wagen ist im asphaltierten Hof des Fabrikgeländes zum Stehen gekommen, doch der kleine Mann daneben bewegt sich keinen Schritt. Eigentlich könnte er jetzt vorangehen, durch das Rolltor, könnte die versprochene Besichtigung der Froschschenkelfabrikation beginnen. Shakaj aber, dem hier alles gehört, hat einen anderen Plan. Hier, hinter beige gestrichenen Betonmauern mit wenigen Fenstern verborgen, wird eine Delikatesse hergestellt, eine Delikatesse, die in Italien und Frankreich die Gourmets glücklich macht. Doch Shakaj will seinen Stolz lieber nicht zeigen. Er will weg. „Steigen wir ein, ich möchte Euch wo hinbringen“, sagt er. Man widerspricht ihm nicht, keiner tut das.

Novoselë, Albanien  Juli 2013, Beef

Shakaj setzt den Fuß wieder auf das Trittbrett des Nissans und schwingt seinen kleinen Bauch in die Höhe. Der bullige Kasten soll wohl unterstreichen, wer hier der Chef ist, vielleicht seine sanftmütige Erscheinung übertünchen. Jedenfalls dreht Shakaj den Zündschlüssel im Schloss, der Motor röhrt, irgendetwas quietscht. [Weiterlesen…]

Kategorie: Artikel, Lieblingstexte Stichworte: Adria, Albanien, Armut, Ausland, Beef, Beschaffung, Devisen, Feinschmecker, Flucht, Froschschenkel, Gourmet, investigativ, Italien, Journalismus, Journalist, Jugoslawien, Mattioli, Paris, Reportage, Reporter, Restaurant, Risotto, Roma, Sandro, Sinti, Staatsunternehmen, Tito

Mafioso außer Dienst

3. Juni 2013 von S M

Du musst wissen, welcher Knopf der richtige ist. Es ist eine typische italienische Klingelanlage: mattsilberne, runde Knöpfe, auf den Schildern daneben sind Namen eingraviert. «Bonaventura» brauchst du gar nicht erst zu suchen. Doch neben einem Knopf klebt ein handbeschriebener Zettel mit einem anderen Namen, seinem Tarnnamen. Es wirkt, als würde jemand hier nur für ein paar Wochen leben, vorübergehend. Der Zettel hängt jedoch seit Monaten. Diesen Knopf drückst du.

Irgendwo in Süditalien, Juni 2013, Reportagen

Ein Summen, ein kurzes Knattern, die Tür fällt hinter dir krachend ins Schloss, und du bist in einem Hauseingang: auf festem Marmor, die Wände sind ebenfalls marmorgefliest, bis ganz nach oben, die Decke ist freundlich gestrichen. Die Tür zum Aufzug stemmt sich wie jede Aufzugstür zunächst gegen das Aufziehen, dann kommt sie dir mit Schwung entgegen. Du drückst ein weiteres Mal auf einen Knopf, diesmal einen schwarzen, fährst einige Stockwerke nach oben und stehst vor einer Tür, einer normalen italienischen Wohnungstür in einem normalen italienischen Wohnhaus; sie scheint aus Holz zu sein, ist aber aus Metall. Diese hier ist sogar eines jener Modelle, die beim Schließen mehrere Riegel in den massiven Türrahmen treiben, weil in Italien doch so viel gestohlen wird. Vor Schüssen aber schützt sie nicht. [Weiterlesen…]

Kategorie: Italien, Lieblingstexte, Mafia, Reportagen Stichworte: 'ndrangheta, Bande, Camorra, Clan, Cosa Nostra, geheim, Italien, Journalist, Kalabrien, Kronzeuge, Mafia, Mattioli, Mord, Omerta, Pentito, Reportagen, Reporter, Sandro, Sandro Mattioli, Sicherheit, Staatsanwalt, verfolgt

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