Dieser Tage kommt ein neues Buch in den Buchhandel, das ich gemeinsam mit Francesco Bianco geschrieben habe, einem Linguisten und Freund von mir. Wir haben dafür 150 Redewendungen gesammelt, die im Italienischen oft benutzt werden, ihre Entstehung beleuchtet und dazu passende Informationen über Italien danebengestellt.
Am Anfang dachte ich, dass die Arbeit an diesem Buch etwas dröge werden könnte. Doch ich war bald vom Gegenteil überzeugt, und wie. Schon bei der Vorbereitung der Auflistung von Redewendungen merkten Francesco und ich, wie viel von einer Kultur und Gesellschaft in der Sprache steckt. Es klingt blöd, aber stellenweise arbeiteten wir uns fast in einen Rausch – und der lag nicht am hervorragenden tschechischen Bier, das wir dazu konsumierten. Sondern daran, dass es richtig Spaß machte, Italien über seine Redewendungen zu beschreiben. Scendere in campo (Die (politische) Bühne betreten) als eine Wendung, die Silvio Berlusconi dem Land vermacht hat; Ogni scarrafone è bello a mamma sua ( Jedem gefällt, was seines ist) – der Titel eines Liedes von Pino Daniele, der zu einem geflügelten Wort geworden ist; Non dire »gatto«, se non ce l’hai nel sacco! (Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben) von Giovanni Trappatoni, einem Fußballtrainer, der nicht nur in Deutschland unvergessliche Ausdrücke geschaffen hat. Wir stießen auf viele Vorzüge Italiens und lasen aus der Sprache auch Nachteile heraus, etwa die geringe Rolle, die Frauen spielen. Selbst eine Fixierung auf Sexuelles wurde deutlich: der Teil mit Redewendungen in diesem Bereich ist einer der größten des Buchs. Wir hoffen, das Lesen macht genauso viel Spaß wie das Schreiben. Und auch, dass manch versteckte humoristische Einlage nicht unbemerkt bleibt…
Im Meer schwimmen
„Es gab eine Gegend, da haben wir festgestellt, dass es dort viel Fisch gibt“, berichtet einer. „Dann fuhren wir nochmal hin und sahen: Da sind die Toten. 16 Meilen von Pozzallo.“ Ein anderer Fischer sagt über ein reiches Fanggebiet am anderen Ende von Sizilien, vor der Westspitze der Insel: „Früher arbeiteten dort 40 Schiffe, man verdiente gutes Geld. Heute ist da keiner mehr, weil sich die Seemänner weigern. Bei jeder Ladung waren fünf, sechs Tote im Netz. Wenn die Leute erst ein, zwei Tage im Meer geschwommen wären, okay. Aber die treiben da schon seit einiger Zeit herum.“
Das ist die Normalität: Die Strömung nimmt die Leichen mit sich. Wo die Toten sind, ist berechenbar, ist bekannt.“
Heute in Das Magazin (der Link führt zum Download für das komplette Heft).
Alle gegen die Mafia
Vergangene Woche ist im Neuen Deutschland meine Kolumne zur bevorstehenden Ratspräsidentschaft von Italien erschienen:
Alle gegen die Mafia
„Sie haben sich verwundert die Augen gerieben, italienische Journalisten, die schon lange das Treiben der politischen Parteien in Italien und der verschiedenen, zuweilen durchaus kurzlebigen Regierungen beobachten: Im September 2013 gab die italienische Parlamentspräsidentin Laura Boldrini dem Ansinnen statt, bis dahin als streng geheim eingestufte Akten freizugeben.
Der Froschkönig
Nein, nicht. Noch nicht. Andon Shakaj hält den Türgriff seines schweren Geländewagens in der Hand und macht keine Anstalten, die Tür zuzustoßen. Der V6-Motor rumort schon eine Weile nicht mehr, der Wagen ist im asphaltierten Hof des Fabrikgeländes zum Stehen gekommen, doch der kleine Mann daneben bewegt sich keinen Schritt. Eigentlich könnte er jetzt vorangehen, durch das Rolltor, könnte die versprochene Besichtigung der Froschschenkelfabrikation beginnen. Shakaj aber, dem hier alles gehört, hat einen anderen Plan. Hier, hinter beige gestrichenen Betonmauern mit wenigen Fenstern verborgen, wird eine Delikatesse hergestellt, eine Delikatesse, die in Italien und Frankreich die Gourmets glücklich macht. Doch Shakaj will seinen Stolz lieber nicht zeigen. Er will weg. „Steigen wir ein, ich möchte Euch wo hinbringen“, sagt er. Man widerspricht ihm nicht, keiner tut das.
Novoselë, Albanien Juli 2013, Beef
Shakaj setzt den Fuß wieder auf das Trittbrett des Nissans und schwingt seinen kleinen Bauch in die Höhe. Der bullige Kasten soll wohl unterstreichen, wer hier der Chef ist, vielleicht seine sanftmütige Erscheinung übertünchen. Jedenfalls dreht Shakaj den Zündschlüssel im Schloss, der Motor röhrt, irgendetwas quietscht. [Weiterlesen…]
Mafioso außer Dienst
Du musst wissen, welcher Knopf der richtige ist. Es ist eine typische italienische Klingelanlage: mattsilberne, runde Knöpfe, auf den Schildern daneben sind Namen eingraviert. «Bonaventura» brauchst du gar nicht erst zu suchen. Doch neben einem Knopf klebt ein handbeschriebener Zettel mit einem anderen Namen, seinem Tarnnamen. Es wirkt, als würde jemand hier nur für ein paar Wochen leben, vorübergehend. Der Zettel hängt jedoch seit Monaten. Diesen Knopf drückst du.
Irgendwo in Süditalien, Juni 2013, Reportagen
Ein Summen, ein kurzes Knattern, die Tür fällt hinter dir krachend ins Schloss, und du bist in einem Hauseingang: auf festem Marmor, die Wände sind ebenfalls marmorgefliest, bis ganz nach oben, die Decke ist freundlich gestrichen. Die Tür zum Aufzug stemmt sich wie jede Aufzugstür zunächst gegen das Aufziehen, dann kommt sie dir mit Schwung entgegen. Du drückst ein weiteres Mal auf einen Knopf, diesmal einen schwarzen, fährst einige Stockwerke nach oben und stehst vor einer Tür, einer normalen italienischen Wohnungstür in einem normalen italienischen Wohnhaus; sie scheint aus Holz zu sein, ist aber aus Metall. Diese hier ist sogar eines jener Modelle, die beim Schließen mehrere Riegel in den massiven Türrahmen treiben, weil in Italien doch so viel gestohlen wird. Vor Schüssen aber schützt sie nicht. [Weiterlesen…]
Es war einmal in Kalabrien
Der staatlichen HSH Nordbank droht der nächste Skandal. Das Institut hat einen Windpark im Süden Italiens finanziert, den die Behörden beschlagnahmt haben. Der Verdacht: ein Geldwäsche-Projekt der Mafia. Es geht um rund 200 Millionen Euro.
Isola di Capo Rizzuto/ Hamburg, Oktober 2012, Stern
Das Verkehrsschild sollte einmal vor kreuzenden Kühen warnen. Inzwischen ist es von Patronenkugeln durchsiebt, und es kündet so von ganz anderen Gefahren: Hier regiert die Gewalt. Es steht an einer löchrigen Straße mitten in Kalabrien. Sie verbindet das Örtchen Isola di Capo Rizzuto mit der Provinzhauptstadt Crotone. Das graue Asphaltband schlängelt sich zwischen 48 Windrädern hindurch. Hier, tief im Süden von Italien, ist in den vergangenen fünf Jahren einer der größten Windparks des Landes entstanden.
Wenn man die 96-Megawatt-Anlage besichtigt oder gar fotografiert, dann kommt ein grauer Volvo-Kombi angefahren. Ein Mann, grauhaarig, das Hemd leger aufgeknöpft, lässt die Scheibe runter, beugt sich herüber. Er wartet darauf, dass man ihn ansieht. „Tun Sie sich nicht weh“, sagt er dann. Es sind fürsorgliche Worte, doch sie klingen wie eine Drohung. Hinsehen ist hier nicht erwünscht. [Weiterlesen…]