SANDRO MATTIOLI

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Das starke Geschlecht – Frauen in der Mafia

14. Juli 2018 von S M

Frauen sind schwach.
„Selbst die Frauen, die mit einem Mafioso verheiratet sind oder aus einer Mafiafamilie stammen, halten sich nicht mehr an das Schweigegelübde, werden sie erst einmal von höchsten Gefühlen erfasst“, sagt Antonio Calderone, einst ein Mafiaboss in Catania.
Frauen sind geschwätzig.
„Ich habe meiner Frau klar gemacht, dass sie mich nichts über meine Arbeit fragen darf“, sagt Antonio Saia, einst ein Mitglied des Clans der Catanesi. „Ich wollte sie als Frau nicht in meine Sachen einbeziehen. Wissen Sie, sie redet dann mit Freundinnen, und seinen Freundinnen vertraut man sich dann doch mal an.“
Frauen sind vor allem Mütter.
Und sie gehen in die Kirche, die Mafiosi wichtig ist.

So verkaufte das die Mafia und so wurde das auch geglaubt.

So mag es früher auch gewesen sein. Doch die Zeiten ändern sich, selbst im Männerland Italien, und die Emanzipation macht selbst vor der organisierten Kriminalität nicht halt. Welches Geschlecht wirklich schwach ist, da hat I.M.D. keine Zweifel. I.M.D. arbeitet seit mehr als zehn Jahren in einer Sondereinheit der Polizei von Palermo, die in Sizilien Jagd auf ranghohe Mafiosi macht – und dabei auch erfolgreich ist. Die Jäger von der „Catturandi“ haben Bernardo Provenzano festgenommen, Capo der Cosa Nostra auf Sizilien und einer der meistgesuchten Mafiosi Italiens, dazu Salvatore Lo Piccolo und seinen Sohn Sandro, zwei weitere kriminelle Schwergewichte, der eine ein Mörder, der andere ein Drogenhändler. I.M.D. war an beiden Operationen beteiligt und gibt aus Angst um sein Leben seinen Namen nicht preis. „Während all der Zeit, die ich jetzt als Jäger flüchtiger Mafiosi aktiv bin, ist es kein einziges Mal passiert, dass einer der Bosse keinen Kontakt mit den eigenen Frauen hatte, den Müttern, Schwestern, Frauen, Liebhaberinnen und Töchtern“, berichtet er.

Manchmal helfen die Liebeleien den Ermittlern, sie werden zur Spur, die zum Erfolg führt, berichtet I.M.D.: „Vito Vitale, Pino Guastella und andere haben wir dank ihren Freundinnen und Liebhaberinnen gefunden – obwohl die Frauen natürlich komplett in die Maßnahmen eingebunden waren, die ihre Partner vor ihrer Entdeckung schützen sollten.“ Neun Jahre lang war I.M.D.s Einheit etwa Bernardo Provenzano auf den Fersen, kreiste seine Aufenthaltorte immer weiter ein. Provenzano ließ seiner Geliebten Saveria Benedetta Palazzolo regelmäßig zärtliche Botschaften zukommen. Später heiratete er sie – wohlgemerkt, während er im Untergrund lebte! Ein katholischer Priester gab seinen Segen dazu, das Einwohnermeldeamt natürlich nicht, weshalb die Hochzeit nicht rechtskräftig ist. Palazzolo, die heute noch flüchtig ist, verwaltet seit der Festnahme vor drei Jahren dessen Reichtum. Frauen sind also in der Mafia keineswegs unbedeutend, so gering ist ihre Rolle heute nicht. Das von den mafiösen Organisationen aufgebaute Bild der schwachen Frau hat noch nie ganz gestimmt.

Sicher ist, dass die Familie die Keimzelle der Kriminalität ist. Hier werden die Werte vermittelt, hier werden Heiraten schon in Kinderjahren beschlossen, hier wird die Macht über einen Clan weitergegeben. Wie bei normalen italienischen Familien ist auch bei Mafiafamilien die Mamma der Mittelpunkt. Wie wichtig die Rolle der Mutter ist, zeigt sich auch darin, dass die Cosa Nostra sich gerne  Begriffen aus der Familienwelt bedient: „Mamma“ bezeichnet die Organisation als Ganzes, die einzelnen Clans werden auch „Familien“ genannt.

Doch es gab schon früher Frauen, die mehr als eine Mafia-Mamma waren. Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, im Jahr 1904, gab es in Palermo einen Gerichtsprozess, in dem sich mehrere Frauen sich für ihre Taten verantworten mussten. Die Richter damals stellten fest, dass die Angeklagten keineswegs nur unterstützend tätig waren, sondern sich selbst „an den kriminellen Aktivitäten der Mafia-Gruppe beteiligt hatten“.

An sich ist die Situation eindeutig: Es gibt einen klaren Aufnahmeritus für Mitglieder der Clans. Archaisch geht es dabei zu, eine ewige Blutsbrüderschaft wird mit einem Tropfen Blut begründet, ein Heiligenbildchen wird in der Hand des Aufzunehmenden angezündet, er wird es bis ans Ende seiner Tage bei sich tragen. Nur Männer werden Teil der Mafia, Frauen bleiben ausgeschlossen. Macht können sie trotzdem erlangen. Boss dürfen Frauen zwar formal nicht werden, zumindest nicht bei der Cosa Nostra auf Sizilien und der Sacra Corona Unita aus Apulien. Doch selbst das hielt einige Frauen nicht davon ab, dort die Macht zu erlangen.

Es gibt das Beispiel von Angela Russa, der sogenannten Heroin-Oma der sizilianischen Cosa Nostra. Sie baute einen mächtigen Familienbetrieb auf und handelte mit Drogen. Die Ware ließ sie vom italienischen Festland anliefern. „Ich habe keine Päckchen vom einen Teil Italiens zum anderen getragen“, sagt sie. Von ihrer Wohnung

„Ich habe von Beginn an kommandiert.“ Im Jahr 1982 hatte es sich auskommandiert. Russa wurde festgenommen, im stolzen Alter von 74 Jahren.

Mit vielen Morden hatte sich der Antonino Cintorino, ebenfalls ein Angehöriger der Cosa Nostra, einen Namen gemacht. Er befehligte den Clan in Calatabiano, der in Taormina und Umgebung aktiv war. 1993 verhaftete die Polizei quasi die gesamte Führungsriege, doch der Clan machte weiter, als sei nichts passiert. Als die Ermittler die Telefone von Cintorinos Frau Maria Filippa Messina abhörten, wussten sie warum: Sie hatte die Geschäfte übernommen. Messina besorgte Waffen und engagierte Killer, um einen rivalisierenden Clan zu eliminieren. Dann griffen die Ermittler zu, zwei Jahre nachdem sie die Macht an sich genommen hatte, landete auch sie im Gefängnis. 13 Jahre und vier Monate lautete das Urteil. Das wirklich Besondere daran war aber, dass zum ersten Mal überhaupt eine Frau zum „carcere duro“ verurteilt wurde, eine besondere Art der Isolationshaft für Mafia-Angehörige.

Lange waren die Mafia-Organisationen wie eine Black Box, von außen zu sehen waren nur die oft blutigen Taten. Mitte der Achtziger Jahre kam aber etwas Licht in das Innenleben der Mafia. Den Fahndern gelang es, den Druck auf die Organisation zu erhöhen, vor allem in Sizilien. Immer mehr Mafia-Angehörige beschlossen, sich gegen die Organisation zu stellen und mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Die 1991 geschaffene Kronzeugenregelung förderte diesen Prozess weiter.

Schließlich beschäftigten sich einige Forscherinnen mit der Thematik. „Ich habe mich in den Achtziger Jahren mit den Frauen im Süden befasst, so kam ich auch zum Thema ‚Frauen und die Mafia’“, sagt die Soziologin Renate Siebert. Sie ist eine gebürtige Deutsche, lebt aber seit fast vierzig Jahren in Italien und lehrt an der Universität della Calabria. „Ich habe mich damals nur auf Sekundärmaterialien gestützt, habe keine empirische Studie gemacht. Aber meine 1994 erschienene Arbeit war die erste, die das Thema so umfassend analysiert hat.“

„Wir bekamen damals Einblick in die Familien, die ja eher eine verschlossene Welt sind“, berichtet die Soziologin. Sie konnte damals die Aussagen von verhafteten Mafia-Chefs analysieren. „Es gab Fälle, in denen einige Mitglieder einer Familie mit der Justiz zusammenarbeiteten, andere weiterhin in der Mafia blieben, und Frauen waren zwischen beiden Polen hin- und hergerissen.“

Besonders dramatisch verlief aus diesem Grund das Leben von Vincenzina Marchese, die Tochter eines Mafioso war und dazu Frau des Bosses Leoluca Bagarella. Ihr Bruder Pino entschied sich dafür, als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft zu dienen. Vincenzina Marchese war selbst in kriminelle Aktivitäten involviert. Kurz vor ihrem Selbstmord war sie besessen von der Angst, überraschend von der Polizei gefasst zu werden.

Früher wurden Frauen oft nicht für ihre Taten verurteilt, da sie ja – gemäß dem von der Mafia selbst verbreiteten Bild – zu schwach seien, um an kriminellen Aktivitäten teilzunehmen. Staatsanwälte übernahmen dieses Bild und bewahrten es zudem – zu lange. Denn was in den Neunzigern aus der Not heraus startete, nämlich der Not, dass viele Männer inhaftiert wurden, hat sich zu einem Gutteil zur Normalität entwickelt: Heute sind Frauen im Dienst der Mafia keine Einzelfälle mehr, einem Bericht zufolge sind sie oft voll in das kriminellen Tun eingebunden. Häufig verwalten sie die Finanzen und schließen Geschäfte ab. Lediglich bei Delikten mit Waffen ist ihre Beteiligung auffällig geringer.

Der Oberste Gerichtshof in Italien sah sich vor diesem Hintergrund im Jahr 1999 genötigt, eine neue Sicht auf Mafiafrauen anzumahnen: „Dem Untersuchungsrichter ist die Aufgabe anvertraut, die innerfamiliäre Zusammenarbeit der Angeklagten zu bewerten und festzustellen, ob diese Ausdruck einer Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung ist und den Zielen dieser dient“, steht in einem Urteil geschrieben. Die Untersuchungsrichter sollen sich bei ihrer Arbeit an die konkreten Fakten halten – und nicht an überlieferte Vorstellungen.

Damit dürften auch die letzten Richter im Land verstanden haben, dass es das Heimchen am Mafiaherd so kaum mehr gibt. Die Zahlen von Verurteilungen sprechen eine deutliche Sprache: 1990 war nur eine Frau wegen des Mafiaparagraphen 416 bis verurteilt worden, zwei Jahre später später waren es schon zehn, 1994 gar 16 Frauen. Diese Zahl stieg weiter stark an: 1995 auf 89 verurteilte Frauen, und im Jahr 2000 waren es dann allein in Sizilien 43 Frauen. Diese Zuwachsraten übertreffen die der Männer bei Weitem.

Wie wichtig die Frauen der Bosse sind, bekommen Staatsanwälte immer wieder vor Augen geführt, wenn sie mit Gefangenen über die Kronzeugenregelung verhandeln. Die Mafiosi auf dem Stuhl vor ihnen wollen die Entscheidung meist erst mit ihrer Frau besprechen. So sagte der Mafia-Boss Antonio Calderone zu den Ermittlern: „Ich rede erst, wenn meine Frau da ist. Ich möchte vor ihr sprechen und ihr wie Ihnen etwas sagen, die ihr Männer des Gesetzes seid.“ Das Problem war nur: Seine Frau kam nicht.

Am Morgen um Acht hatten sich die Ermittler und der Boss in Rom getroffen. Calderone schwieg. Die Ermittler warteten. Zwölf Stunden später traf seine Frau dann endlich ein. Die Ermittler mussten Calderone versichern, sich um ihr Wohlergehen und das seiner drei Kinder zu kümmern. Dann redete Calderone. Und redete. Und redete.
Am Ende standen 160 Haftbefehle.

Kategorie: Artikel, Mafia Stichworte: 'ndrangheta, Entscheiderinnen, Frauen, Gender, I.M.D:, Mafia, Rolle

Geküsst und verraten?

13. Juni 2018 von S M

Ich erinnere mich noch, wie irritiert ich war nach unserem ersten Treffen. Es kommt in meinem Beruf als Reporter zwar immer wieder vor, dass man dem Bösen begegnet, zumal wenn man wie ich regelmäßig über die Mafia berichtet. Dieses Mal aber hatte ich einen leibhaftigen Mörder vor mir, einen Mann, der mehrere Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Einige Widersacher hatte
er selbst erschossen, andere erschießen lassen. Doch dieser Mann war mir sympathisch, sehr sogar, und das machte dieses Treffen erst wirklich eigenartig. Ich hatte geradezu Mitleid mit ihm, denn er hatte sein altes Leben als Mafoso aufgegeben, sein neues Leben als Kronzeuge aber glich einer Misere.


Ein Freund und Kollege aus Italien hatte mich kontaktiert, ein Kronzeuge der ’ndrangheta, also der kalabrischen Mafa, packe aus und rede auch über Deutschland; ich solle schnell kommen. So stand ich also Luigi Bonaventura gegenüber: Etwa so alt wie ich, etwas kleiner, weiche Gesichtszüge und mit einer völlig anderen Lebenserfahrung.


Als Kind schon hatte er schießen gelernt, beherrschte Maschinengewehre und Pistolen, früh beging er den ersten Mord, eine Prüfung. Schließlich war er Chef des mächtigsten ’ndrangheta­-Clans in Crotone geworden, einem der Hotspots der ’ndrangheta ganz im Süden von Kalabrien. Bonaventura hatte Blut gesehen und die Hirnmasse eines Kontrahenten von seinem Lederschuh gewischt. Ich war ein Reporter, stammte aus einer soliden Mittelklassefamilie in einem schwäbischen Dorf und tötete aus Tierliebe keine Mücken. Wir hätten gegensätzlicher nicht sein können.
Wir trafen uns mehrmals zu Gesprächen, nicht nur über die Mafa, sondern über alles Mögliche. Irgendwann begrüßten wir uns, wie in Italien üblich, mit Wangenküsschen. Hatte Bonaventura so vielleicht auch einmal einen Menschen dem Tode geweiht?

„In der Theorie“, sagt der Ex-­Mafioso, „müsste es auch den Todeskuss geben.“ Ist der Kuss eines Bosses, der den zu Tötenden markiert, also nicht nur eine fixe Idee von Spielfilmfabriken und Schriftstellerhirnen? Er selber habe jedoch noch nie dem Ritual eines Todeskusses beigewohnt oder gar einen solchen gegeben, berichtet Bonaventura.
Acht Jahre war er der Boss des mächtigsten Clans in Crotone gewesen, dann wurde er Kronzeuge. Bonaventura hatte eingesehen, dass er seine Familie ins Verderben reißen würde, mit all den Mafiamorden und den Kriegen zwischen den Clans. Dass seine Kinder nie frei sein würden und womöglich ohne ihren Vater aufwachsen müssten. Also stieg er aus. Seitdem hilft er vielen
Staatsanwaltschaften bei Ermittlungen, auch jetzt noch, da Italien ihn nicht mehr schützt; der Staat hat seinen Kronzeugenvertrag nicht verlängert. Nun, da es sein Land nicht mehr tut, muss Bonaventura seine Familie selbst in Sicherheit bringen.

Die Mafia hat sich längst vom archaischen Männerbund gewandelt zu global agierenden, bestens vernetzten Einheiten, sie ist teils in der Wirtschaft aktiv, teils politisch oder auch militärisch. Die Mafa tritt heute auch in Form smarter Investmentbanker und hochproftabler Makler von erneuerbaren Energien auf, ist bestens ausgebildet und perfekt in das Wirtschaftsleben integriert. Ihre archaischen Rituale aber haben jede Wandlung überdauert. 

Die Mafia­Organisationen haben sich seit ihrem Entstehen gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen rituellen Überbau aus unterschiedlichen kulturellen Sphären angeeignet. Es gibt ritualisierte Fechtkämpfe, wie man sie von deutschen Männerbünden kennt, Sitzungen, die einem Standardprotokoll folgen, das jedem Geheimorden zur Ehre gereichen würde. Und natürlich haben die Gruppen sich zahlreiche Praktiken einverleibt, die sie zuvor aus ihrem religiösen Kontext gelöst haben – die „Taufe“ ist eines der prominentesten Beispiele.


Auch der Kuss hat eine lange Tradition in der Mafia. Der einzelne Kuss auf die Wange dient als Begrü­ßungsgeste, und auch in den Zeremonien der Verbrecherbanden tauschen die harten Männer vermeintlich Zärtlichkeiten aus. Auch Bonaventura hat bei seiner „Taufe“, der Aufnahme in die ’ndrangheta, die Anwesenden geküsst, wie es die alten Regeln vorschreiben. Zunächst sprach der Capotavola, der Leiter der Zeremonie, die üblichen rituellen Worte. Dann gab er einen Tropfen Blut auf ein Heiligenbildchen, um den neuen Bund zu bestätigen, legte dieses Bild in Bonaventuras Hand und zündete es an. Zum Abschluss gab Bonaventura allen vier Anwesenden, den zwei rechts und links des Capotavola Sitzenden, je zwei Küsse auf die Wangen. Dem Capotavola
dagegen bezeugte er mit einem einzigen Kuss seine Ehrerbietung.


Ein besonders perfides Beispiel eines archaischen Rituals ist der Todeskuss, der böse Kuss. Allerdings scheint dieser Kuss eher Phantom und Ausgeburt der Fantasie denn Realität zu sein: Bei näherer Betrachtung findet sich kein Beleg für einen tatsächlich erfolgten Todeskuss in der Mafia. Wohingegen die Manifestationen in Film und Literatur wie etwa in
Der Pate Legion sind. Die
Variation eines Todeskusses sah man in der Geschichte der Ermordung von Nicola Lo Faro, einem 45­jährigen Anführer eines Clans in Catania, der ohne Rücksprache mit den Mächtigen im Clan ein Mitglied seiner Gruppe hatte töten lassen.

Polizisten hatten Lo Faro observiert und dabei gefilmt, wie er durch einen anderen Mafioso im Beisein von Kollegen umarmt wurde. Eine Woche später filmte eine Überwachungskamera den Mord an Lo Faro. Die Polizei konnte schnell ermitteln, was geschehen war und wer die Täter waren, auch wenn diese sich vermummt hatten: Die Umarmung hatte Lo Faro als zu Tötenden „markiert“, wie ein Gericht später feststellte. Es handelte sich in diesem Fall jedoch nicht um einen Kuss und schon gar nicht einen Kuss auf den Mund, wie der Mafiakuss literarisch
oft beschrieben wird.
Immerhin eine Todesdrohung lag im Kuss eines Mitglieds der Camorra: Der Mann hatte einen Gefolgsmann vor der Quästur in Neapel, inmitten einer Menschenmenge, auf den Mund geküsst. Um Liebe ging es dabei zweifellos nicht. „Halte die Lippen geschlossen, fange ja nicht an zu reden“, sollte dieser Kuss heißen, „sonst …“


Man könnte meinen, es stelle eine Perversion dar, wenn der Kuss, Geste der Zuneigung und Zärtlichkeit, als Todesdrohung benutzt wird. Aber so ist es nicht. Man irrt aufgrund einer allzu eingeengten Perspektive auf den Kuss. Die Geste trug in der Vergangenheit eine Vielzahl von Bedeutungen in sich; inzwischen sind die meisten von ihnen
unter anderen Bedeutungsschichten verschüttet worden.


Heute bezeugen wir einander unsere Zuneigung mit Begrüßungsküsschen auf die Wange, Liebe mit einem innigen Kuss auf die Lippen und Begierde mit sexuell aufgeladenen Küssen. Vielleicht mag man in der Kirche noch von einem Kuss als Besiegelung eines Vertrages sprechen, wenn sich die Lippen zweier frisch Vermählter im Anschluss an die Trauung berühren. Alle weiteren Funktionen des Kusses sind abwer aus der Alltagskultur nahezu verschwunden.


Wissenschaftler, die das Küssen studieren, kennen weit mehr Deutungen. Richard Hawley, Gräzist an der
University of London, hat einen vielbeachteten Aufsatz über das Kussverhalten in der Antike geschrieben. Seine Studien zeigen, dass der Kuss zahlreiche Funktionen hatte, und deshalb auch eine Vielzahl von Bezeichnungen. Bei Alexander dem Großen etwa zeigte man mit ihm die Bereitschaft zu Unterwerfung und Gehorsam. Derartige Küsse fanden auch ihren Weg nach Rom, Tibull beschreibt den Kuss später als Siegeszeichen für eine Eroberung. Ebenfalls in Rom diente das Küssen auch der Besiegelung von Verträgen, wie dies heute ein Handschlag tut.


Das Küssen, so könnte man Hawley zusammenfassen, war in der Antike weit weniger erotisch konnotiert als heute. Hawley verweist auf ein weiteres Beispiel: Eine Tochter küsst ihren heimkehrenden Vater – es ist ein eifriger Zungenkuss. Keine fragwürdige Tochter­Vater­Beziehung, sondern das Mädchen versuchte sich vielmehr ein paar Münzen aus dem Mund ihres Vaters zu angeln. Dieser behielt den Lohn für seine Arbeit auf dem Nachhauseweg oft im Mund – der Nachteil einer Toga ist, dass richtige Taschen fehlen.


Küsse erfolgten in der Antike zumindest in der Öffentlichkeit eher als Ausdruck von Wertschätzung zwischen Männern denn als Austausch von Zärtlichkeit zwischen Mann und Frau. Und auch zuhause wurde nicht nur aus Liebe geknutscht: Es ist beschrieben, dass Römer mit Küssen kontrollierten, ob ihre Frauen Wein getrunken hatten, was ihnen laut Hawley in Rom verboten war.
Erstaunlicherweise war es das Christentum, das in besonderem Maß den Kuss als reines Zeichen der Liebe proklamierte. Der Todeskuss der Mafa hat allerdings hier auch seinen prominentesten Urahnen im Kuss des Jüngers Judas, der Jesus mit dieser nur dem Anschein nach zärtlichen Geste an seine Verfolger verriet.
Manche dieser antiken Formen des Küssens finden wir heute im Aufnahmeritual der Mafiaorganisationen wieder. Luigi Bonaventura hat, wie eingangs beschrieben, bei seiner „Taufe“ mit seinem Kuss des Capotavola, des Menschen an der Stirnseite des Tisches, nicht nur seinen „Vertrag“ mit der ’ndrangheta besiegelt. Er hat mit dem einzelnen Kuss auf die Wange des Vorsitzenden der Zeremonie eine Hierarchie bekräftigt und sich ihr zugleich untergeordnet. Denn der Vorsitzende leitet die Zeremonie als Vertreter des Capo Sociatà, also des obersten Anführers der jeweiligen ’ndrangheta­-Gruppe.


Der einzelne Kuss diente und dient heute noch als Zeichen der Ehrerweisung. Sieht man in Palermo zum Beispiel Männer sich mit einem einzelnen Wangenkuss begrü­ßen, kann man davon ausgehen, Leute vor sich zu haben, die zumindest keine große Distanz zu Mafiaorganisationen haben. Dieses Erkennungszeichen hat der Mafia aber auch des Öfteren schon Probleme mit der Polizei eingebracht. So zählte beispielsweise die New Yorker Polizei bei der Beerdigung des Paten John Gotti von der Familie Gambino, wer wen wie oft küsste. Es war damals unklar,
wer die Macht in der Familie übernehmen würde, und das Küssezählen hatte sich zuvor schon in ähnlichen Fällen bewährt. Denn auch Gotti selbst hatte die Polizei auf diese Weise als neuen Anführer ermittelt.


Überhaupt tut sich die Mafa inzwischen schwer mit dem Küssen in der Öffentlichkeit. 1995 gaben die italienischen Nachrichtenagenturen eine seltsam anmutende Meldung heraus. Hochrangige Mafiabosse in Sizilien hätten das Küssen verboten, hieß es. Die Mafialeitung wolle so ihre Unterstützer vor Entlarvung schützen. Diese Meldung war besonders pikant, weil zuvor bekannt geworden war, dass es zu einem Treffen zwischen Toto Riina, einem der mächtigsten Mafosi Italiens, und Giulio Andreotti, einem der mächtigsten Politiker Italiens, gekommen war. Wie
Kronzeugen später bestätigten, kam es dabei auch zu einem Kuss zwischen den beiden – einem Kuss, der Journalisten und Staatsanwälte in Italien noch lange Zeit beschäftigte. Über die Interpretation dieses Kusses besteht bis heute keine Klarheit, selbst nachdem der inzwischen gestorbene Andreotti später wegen seiner Zugehörigkeit zur Mafia verurteilt worden war. Wollte der Politiker Andreotti dem Mafoso Riina hier seine Unterstützung versichern?


Oder wollte der Mafoso den Anwesenden zeigen, wer von ihnen wirklich die Macht hat? Vom aktuellen Justizminister Angelino Alfano gibt es ein Bild, auf dem zu sehen ist, wie er den sizilianischen Mafaboss Croce Napoli bei der Hochzeitsfeier von dessen Tochter umarmt. Ein Polizist, der hätte zählen können, wer den Boss wie oft küsst, war nicht zugegen – wohl aber ein Fotograf. Hat er eine Geste der Zuneigung festgehalten oder sagt er mit seiner Umarmung eigentlich etwas ganz anderes? Vielleicht werden wir es eines Tages erfahren.

Kategorie: Mafia Stichworte: 'ndrangheta, Bruderkuss, Judas, Kuss, Mafia, Symbl, verrat

Zum Mord an Jan Kuciak und seiner Partnerin Martina Kusnirova

27. Februar 2018 von S M

Vor wenigen Tagen sind der slowakische Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova von bislang unbekannten Tätern erschossen worden. Ich bin erschüttert, dass nach Daphne Caruana Galizia ein weiterer Journalist wegen seiner Arbeit in Europa ermordet worden ist. Presseberichten zufolge waren um die Leichname der Beiden Patronen drapiert, als Warnung für weitere Journalisten. In Europa sollte eine Diskussion in Gang kommen, wie man Medienschaffende besser schützen kann. Vor allem aber darf sich das Töten von Journalistinnen und Journalisten nicht auch noch lohnen. Als eine Konsequenz aus dem Mord an Jan Kuciak und Martina Kusnirova sollte schon jetzt als Sofortmaßnahme eine verschärfte Kontrolle der Subventionsempfänger umgesetzt werden. Warum? Möglicherweise stand dieses Thema für die Mörder im Fokus.

Das Magazin, für das Kuciak arbeitete, Aktuality.sk, veröffentlichte inzwischen die Recherchen des ermordeten Kollegen. Er arbeitete gemeinsam mit tschechischen Journalisten und italienischen Kollegen des Investigative Reporting Project IRPI an seinen Geschichten. Den Angaben zufolge recherchierte er über Antonino Vadalà aus Bova Marina im Süden Kalabriens. Aktuality.sk schreibt weiter, der Mann habe sich wegen Mafia-Zugehörigkeit und einem Mord vor Gericht verantworten müssen, er sei aber freigesprochen worden mangels Beweisen. Vadalà zog Aktuality.sk zufolge in die Slowakei, arbeitet dort, anfangs in der Landwirtschaft, bevor er mit einer Frau, Maria Troškova, die im Wirtschaftsministerium arbeitete, ein Unternehmen gründete, Gia Management. In anderen Berichten wird Maria Troskova auch als Assistentin des Premierministers Robert Fico bezeichnet. Jedenfalls war es diese Verbindung zwischen Troskova und Vadalà, die den Ausgangspunkt von Kuciaks Recherchen bildete. Er fand in der Folge heraus, dass im Osten der Slowakei mehrere Clans vertreten sind und zusammenarbeiten. Die Clans besitzen mehrere Unternehmen, insgesamt 56, und bekommen viele Millionen an Subventionszahlungen.

Ermittlungsunterlagen bestätigen, was aktuality.sk schreibt, dass nämlich ein Antonino Vadalà Mafia-Mitglied war. Vadala hat laut Akten, die mir vorliegen, von seinen Kumpanen den Spitznamen „Nino“ bekommen (es ist in Mafiakreisen üblich, die Personen nicht bei ihrem bürgerlichen Namen zu benennen, sondern mit ihrem Spitznamen). mehrere Mitglieder des Vadalà-Clans mussten sich bereits wegen verschiedener Vergehen vor Gericht verantworten. Als bedeutende Gruppierung ist der Clan aber nicht bekannt. Sein Heimatort Bova Marina ist eine Gemeinde, die seit Langem für Mafia-Kontaminationen bekannt ist. Unter anderem finden sich dort Vertreter des Morabito-Clans, der auch enge Deutschlandbezüge unterhält, zum Beispiel lebte der Boss Giuseppe Morabito, U Tiradrittu, bis zu seiner Verhaftung hier. Auch der Vadalà-Clan ist Gerichtsunterlagen zufolge hier ansässig. Eine Vielzahl von Angehörigen der Vadalà-Familie ist auch außerhalb Kalabriens vertreten, zum Beispiel auch in Norditalien.

Sollte der von Aktuality.sk beschuldigte Antonio Vadalà tatsächlich der Mörder sein, gibt es nach der Logik der ’ndrangheta zwei Erklärungsansätze.

– Entweder Kuciaks Recherchen wären mit ihrer in Kürze anstehenden Veröffentlichung derart geschäftsschädigend für die ’ndrangheta gewesen, dass sich sein Tod mit all seinen Konsequenzen für die ’ndrangheta rechnete. Dies würde auch bedeuten, dass das oberste Führungsgremium den Mord an Kuciak genehmigt hätte, denn eine Tat mit einer solchen Tragweite ist den internen Regelungen der ’ndrangheta zufolge definitiv genehmigungsbedürftig durch das Leitungsgremium, die mamma. Oder aber

– es handelt sich bei dem Mord um eine nicht genehmigte Tat eines einzelnen Mafioso. Dies ist insofern wahrscheinlicher, wie die ’ndrangheta seit den Sechsfach-Morden von Duisburg weiß, dass jedes Blutvergießen nachteilig für sie ist und die Aufmerksamkeit nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der Ermittler auf sich zieht. Dies gilt insbesondere in Ländern, die noch nicht allzu stark für die Gefahren durch die italienische Mafia sensibilisiert sind. Zu diesen Ländern dürfte neben so vielen auch die Slowakei zählen.

Ich halte daher die zweite Variante für viel wahrscheinlicher. Ich hoffe, dass die Ermittlungen bald mehr dazu ergeben werden. Die Antimafia-Staatsanwaltschaft in Reggio Calabria teilte mir mit, sie könne den Sachverhalt noch nicht bewerten; das Bild sei unklar und präzise Aussagen daher im Moment unmöglich.

Sollte Variante 1 dagegen zutreffend sein, bedeutete dies eine dramatische Veränderung: Die ’ndrangheta hätte dann einen Strategiewechsel vollzogen. Sie nimmt das Aufsehen, das ein Mord im Ausland erregt, bewusst in Kauf.

Losgelöst von diesen Überlegungen ist folgendes festzuhalten:

– Nach Daphne Caruana Galizia ist erneut ein Journalist Opfer eines Netzwerks von Mafia, Politik und Wirtschaft geworden.

– Die europäische Subventionspolitik wird offensichtlich nicht nur in Italien von Mafiaclans für sich genutzt, sondern auch im Ausland. Das Subventionswesen ist daher radikal zu überprüfen; die Vergabe von Subventionen muss eng an polizeiliche Maßnahmen gekoppelt werden. Zu überlegen ist auch, ob man analog zu Italien ein Zertifikat als Voraussetzung für Subventionszahlungen einführt, dass belegt, dass ein Unternehmen keine Mafiakontakte unterhält. Dazu gehört auch, mehr Transparenz in Bezug auf wirtschaftlich Begünstigte von Unternehmen. Das Transparenzregister muss öffentlich einsehbar sein.

– Die bisherigen Gesetze müssen wirkungsvoll verschärft werden. Die Mitgliedschaft in höher organisierten kriminellen Gruppen wie in Mafiaclans muss europaweit ein Straftatbestand sein. Die Kooperation der Strafbehörden auf europäischer Ebene muss verbessert und vereinfacht werden, dazu gehört auch eine Harmonisierung der Gesetze.

Wenn die Mafia wirklich Jan Kuciak auf dem Gewissen hat (und nicht die politischen Kreise, die von seinen Recherchen bedroht worden sind), dann sind dies Anzeichen einer Machtprobe der Mafiaclans mit dem Staat.

Kategorie: Blog, Mafia

Der Kemptener Koksskandal nimmt kein Ende…

26. Februar 2018 von S M

Gleich steht in Kempten Stefan Albanesi vor Gericht. Er hatte die Kemptener Polizei in Teilen als kriminell und korrupt bezeichnet und muss sich nun wegen dieser Aussage verantworten. Albanesi hatte mich als Zeugen laden lassen, der Richter, der die Verhandlung führen wird, hat dies aber abgelehnt, ohne ihn darüber zu informieren. Genauso wie alle anderen Entlastungszeugen, die Albanesi laden lassen wollte. Auch ein Pflichtbeistand ist ihm versagt geblieben.
Abgesehen davon, dass ich der festen Überzeugung bin, dass eine solche Aussage durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist (analog zu der Aussage „Soldaten sind Mörder“), habe ich Albanesi eine eidesstattliche Erklärung zukommen lassen mit dem folgenden Wortlaut:

Erklärung an Eides statt

Ich, Sandro Mattioli, geboren am XX.XX.XXXX in Heilbronn-Neckargartach, ledig, tätig als Journalist mit einem Schwerpunkt auf Organisierte Kriminalität, erkläre an Eides statt:
Für das Magazin Stern habe ich über einen längeren Zeitraum über den Kokainfund im Büro des Leiters der Kemptener Drogenfahndung berichtet. Ich habe dabei mit einer Vielzahl von sachverständigen und involvierten Personen gesprochen. Deren Identität werde ich mit Verweis auf den Quellenschutz nicht nennen. Allerdings erkläre ich Folgendes:

– Eine von der Kemptener Justiz als Drogendealer belangte Person bestätigte mir persönlich, dass sie von Mitgliedern der Kemptener Polizei vor Polizeieinsätzen gegen sie gewarnt worden ist. Die Quelle nannte mir die Namen dreier Polizisten, die Warnungen überbracht haben. Diese Darstellung wird vermutlich auch von einem TKÜ-Protokoll bestätigt – vermutlich deshalb, weil ich von der Existenz dieses Protokolls über eine andere Quelle Kenntnis erlangt habe, es mir aber nicht vorliegt.

– Ein weiterer Drogendealer war nach eigenen Angaben um Kokain angefragt worden. Da der Mann über keine Bezugsquelle verfügte, fragte er einen weiteren Drogendealer, mit dem er eng zusammenarbeitete. Diese Person nannte „die Polizei“ (in Kempten) als seine „Conni“, also seine Lieferconnection. Daraufhin lehnte der angefragte Dealer den Handel ab.
– Nach Angaben mehrerer, sehr glaubwürdiger Quellen entspricht weder der offiziell berichtete Auffindeort bzw. die Umstände noch die Menge des im Büro des Drogenfahnders aufgefundenen Kokains den tatsächlichen Begebenheiten.

– Eine qualifizierte Quelle berichtete mir, dass ein Polizist mit mehreren hundert Iphones ungewisser Herkunft gedealt hat, Geräte seien auch innerhalb der Polizei verkauft worden. Auch diese Information wurde anderweitig bestätigt – nicht, was die genaue Anzahl anbelangt, wohl aber in Bezug auf den Sachverhalt.

Für weitere Nachfragen stehe ich zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,

Sandro Mattioli

PS: Die Erklärung wurde heute im Gerichtsprozess verlesen – allerdings nur der allgemeine Teil. Die Spiegelstriche, und damit die inhaltlich relevanten Teile, wurden nicht wiedergegeben. Stattdessen nahm der Richter das Dokument zu den Unterlagen mit dem Hinweis, das Dargelegte tue nichts zur Sache.

Kategorie: Blog, Mafia Stichworte: Drogenfahndung, Kempten, Kokain

Früher Zitronen, heute schlechte Pizza: Die Mafia in Sizilien

6. Februar 2018 von S M

Wer erfahren möchte, wie die Cosa Nostra auf Sizilien entstanden ist:

Kategorie: Artikel, Blog, Mafia Stichworte: Banden, Bauern, Cosa Nostra, Entstehung, Mafia, Sizilien, Strategie, Zeit

Drei Mal Mafia: Sonntag Tatort, Montag Die Story, Dienstag massive Polizeioperation!

9. Januar 2018 von S M

Soeben, vor ein, zwei Stunden, ist es zu einem massiven Schlag gegen die italienische Mafia gekommen, wie man ihn noch nie gesehen hat – mit weit über 150 Festnahmen in einer Operation, darunter einige auch in Deutschland, 13 genau. Die Operation richtete sich gegen den Farao-Clan, der seit Langem in Deutschland präsent ist. Der geneigte Leser mag darin eine Klimax erkennen, denn zählt man die Haftbefehle gegen die Mafia zusammen, kommt man selten auf die heute Nacht ergangenen 175. Und auch die rund 300 Festnahmen der Operation Crimine im Jahr 2011 setzen sich aus zwei Verfahren zusammen.

Es ist aber auch eine Klimax für mich, der Abschluss von drei verrückten Tagen!

Zuerst sendet die ARD am Sonntag einen Tatort, der wohl auf eine Anregung meines Vereins mafianeindanke zurückgeht (ich bin dessen Vorsitzender, so genau lässt sich aber nicht mehr klären, wie unsere Anregung auf fruchtbaren Boden gefallen ist, jedenfalls hat am Ende der Drehbuchautor Patrick Brunken einen gelungenen Film geschrieben und ich darf mich nun Berater des Tatorts nennen und war auch kurz darin zu sehen). In dem Tatort geht es um die Giftmüll-Geschäfte der Mafia, ein Thema, zu dem ich seit vielen Jahren recherchiere, eine Recherche, die auch mit dem Erscheinen meines Buchs „Die Müllmafia“ nicht endete. Und es geht um einen Kronzeugen, Patrick Brunken wurde von meiner Geschichte über Luigi Bonaventura inspiriert.

Gestern Abend lief dann die Reportage „Müll, Mafia und das große Schweigen“, eine Dokumentation von Christian Gramstadt unter anderem auch über meine Arbeit, im Rahmen der Reihe „Die Story“. Für diese Doku haben wir auch einige Staatsanwälte interviewt, deren Arbeit ich sehr schätze. Einer von ihnen ist Nicola Gratteri, der von den Kalabresen (außer den mafiösen) geliebt wird und beinahe den Status eines Stars hat (was auch gut so ist!). Ich konnte das selbst erleben, als ich zum Trame Festival in Lamezia Terme eingeladen war, ein Festival nur über Mafia- und Antimafiabücher, eine tolle, von einem ehrenamtlichen Team organisierte Veranstaltung.

Und heute hat dieser Staatsanwalt, Nicola Gratteri, zu einem quasi beispiellosen Schlag gegen die ’ndrangheta ausgeholt und 169 Mafiosi in Kalabrien und Deutschland festnehmen lassen, darunter auch ranghohe Gangster mit engen Bezügen zu Deutschland. Die genauen Details muss ich erst noch recherchieren, daher drücke ich mich hier noch vage aus. Zu gegebener Zeit also dazu mehr. Unter den Festgenommenen ist auch der Stuttgarter Mafia-Verdächtige Mario L., ein Mann, der früher enge Kontakte in die baden-württembergische Landespolitik unterhielt, der inzwischen aber in neuer Funktion tätig ist.

Eines steht aber jetzt schon fest: solche Wochen dürfte es ruhig häufiger geben, selbst wenn ich mir dann bald ein neues Thema suchen müsste…

Kategorie: Artikel, Blog, Italien, Mafia Stichworte: 'ndrangheta, Alb, Baden-Württemberg, Chitarra, Clan, Drogen, farao, festnahme, Filz, Geldwäsche, Giftmüll, Grande Aracri, Honoratioren, intersport, Kokain, Mafia, pizzaconnection, Remstal, Schickeria, Süddeutschland

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