SANDRO MATTIOLI

  • Germafia
  • Buchen
  • Kontakt / Impressum

Opferschutz? Täterschutz?

29. November 2018 von S M

Gestern berichtete das Medienmagazin Zapp über die Recherche der Kollegen vom MDR, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia. Sie haben gemeinsam mit Kollegen vom Spiegel zur armenischen Mafia in Deutschland recherchiert, mit spannenden Ergebnissen. Die Kollegen fanden heraus, dass die armenische Mafia mit italienischen Clans kooperiert und dass sie Kontakte bis hin zum armenischen Botschafter  in Deutschland hat. Ein Teil ihrer Recherchen ist im Spiegel veröffentlicht worden, ein weiterer Teil sollte in einem Fernsehfilm ausgestrahlt werden. Doch der Botschafter legte eine einstweilige Verfügung ein, die nun in ein Gerichtsverfahren mündet. Ich drücke den werten Kollegen die Daumen!

Was die Medienanwältin Dorothee Bölke in dem Zapp-Beitrag sagt, ist übrigens verständlich, geht aber an der Realität vorbei. Denn nicht jede investigative Recherche erfolgt vor dem Hintergrund eines Gerichtsprozesses und es ist gerade das Problem, dass die Verdachtsberichterstattung mehr und mehr von juristischer Logik bestimmt wird. Dies hat zur Folge, dass sie zunehmend auf dem Vorliegen von Akten und Dokumenten gründet und mündliche Quellen an Wert verlieren. Dies ist aber in einem Feld wie der Berichterstattung über Organisierte Kriminalität ein großes Problem, denn oft handelt es sich um Sachverhalte, über die keine Dokumente existieren oder nicht zugänglich sind oder Quellen nicht vor Gesetz aussagen können, ohne Nachteile bis hin zum Tod befürchten zu müssen. Ich wünschte mir, dass sich in Gerichten mehr mit diesem Aspekt auseinandergesetzt würde, schließlich können die Medien in diesem Bereich ihren für den Schutz von Demokratie und fairem Wirtschaften essenzielle Funktion nur wahrnehmen, wenn Gerichte hier ein gewisses aus diesem Umstand gespeistes Wohlwollen an den Tag legen. Wenn Journalisten auf mafiöse Kontakte eines Botschafters hinweisen, dann tun sie das nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie in genau diesen Kontakten eine Gefahr fürs Gemeinwesen sehen. Beim bloßen Blick auf Paragraphen mag diese Perspektive schnell verloren gehen. Im Übrigen bezahlt den freien Journalisten, die zu diesem Thema arbeiten, niemand die Zeit, die für rechtliche Auseinandersetzungen draufgeht. Was es nochmal weniger lukrativ macht, im Mafiabereich Recherchen zu machen. Das aber hilft niemandem – außer den Kriminellen.

Kategorie: Blog, Mafia Stichworte: Berichterstattung, Deutschland, Mafia, Prozess, rechtliche Probleme, Zapp

Warum nur all dieses Desinteresse?

17. Mai 2018 von S M

Die wunderbare Kollegin Amalia De Simone aus Italien reist für die italienische Zeitung Corriere della Sera durch Europa, immer auf der Spur der italienischen Mafia. Drei Teile widmet ihre Redaktion der ’ndrangheta in Deutschland, immerhin das wichtigste Land für die Verbrecherorganisation. Dafür hat sie auch meine sehr gut informierte Journalisten-Kollegin Margherita Bettoni interviewt, die tolle Giulia Norberti von meinem Verein mafianeindanke, den ehemaligen Leiter der Anti-OK-Abteilung des LKA Berlin, Bernd Finger, und den italienischen Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri, und auch meine Wenigkeit. Alle Interviewpartner mahnen, dass die italienischen Clans in Deutschland ideale Bedingungen finden und eine Gefahr für unser Land sind. Doch wo ist die deutsche Politik, die für Transparenz im Finanzwesen kämpft? Die die Löcher in der Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung schließt? Die sich zum Vorkämpfer gegen Organisierte Kriminalität macht? Die nicht zuschaut, wie tonnenweise Kokain auf den Markt geschwemmt wird, sondern den Dealern die Profite wieder abnimmt? Wo sind die Medien, die das interessiert? Absurderweise wird in Italien mehr über die Mafia in Deutschland berichtet als hierzulande.
Hier die englische Version von Amalia De Simones Feature, Teil 1:

Kategorie: Blog Stichworte: Berichterstattung, Deutschland, Geldwäsche, Investment, Journalist, Kontrolle, Mafia, Medien, Organisierte Kriminalität, Prävention

Ohne viel Blut geht es für die Bild nicht

2. Mai 2018 von S M

Der Staatsanwalt Giuseppe Lombardo aus Reggio Calabria wird heute auf der Titelseite der Bild gefeiert als „härtester Mafiajäger der Welt“. Ich hatte ihn gemeinsam mit Christian Gramstadt für meine Doku für Arte und die ARD, Die Story, interviewt. Als mein Verein mafianeindanke Lombardo später, im Juli vergangenen Jahres, zu einer Antimafia-Konferenz zu Gast hatte, lernten wir ihn erneut als sehr reflektierten, bestens informierten, ruhigen und intellektuellen, sehr angenehmen Gesprächspartner kennen. Aber klar, das macht sich als Titelzeile nicht so gut. Mich persönlich ärgert es extrem, wenn bei der Beschäftigung mit der Mafia der Aspekt der Bedrohungslage so in den Vordergrund gerückt wird. Einfach weil es nicht der Realität entspricht. Ja, es ist gefährlich, sich mit der Mafia zu beschäftigen. Aber noch gefährlicher ist es, wenn sich niemand mit ihr befasst. Es ist trotzdem gut, dass die Bild sich für das Thema Mafia interessiert, selbst wenn sie den ersten Artikel der Serie mit blutigen Bildern en masse garniert. Und selbst wenn sie das mit blödsinnigen reißerischen Sätzen tut wie: „Die Mafiosi haben nichts übrig für Giuseppe Lombardo. Außer einer Kugel. Oder einer Bombe.“

Ich würde mir wünschen, dass sensationsgeile Medien wie die Bild lieber in den Fokus rücken, was in Deutschland in Bezug auf die Mafia los ist, dass Teile der Gesellschaft und Wirtschaft bereits infiltriert sind, dass auch die Sicherheitskräfte nicht sicher vor Mafiakontakten sind und dass Deutschland Investitionsziel Nr.1 für die ’ndrangheta ist. Das sollte in der Zeitung stehen! Ich erwarte von einem Medium wie der Bild, aber auch den anderen großen Medien, dass sie ihrer Aufgabe nachkommen und hierzu recherchieren. und nicht immer dieses Uuh, die Mafia ist gefährlich für die Leute, die sich mit ihr beschäftigen. Also, Bild: Los geht’s! Immerhin geben sie dem von mir sehr geschätzten Giuseppe Lombardo morgen erneut Raum, um über die Mafia in Deutschland zu sprechen.

Als Hintergrund: Giuseppe Lombardo ist mehrfach wegen seiner exzellenten Arbeit bedroht worden. Allerdings vermeidet die ’ndrangheta inzwischen Morde an bedeutenden Persönlichkeiten im Normalfall, weil es ihre Geschäfte stört. Der letzte Mord an einem Staatsanwalt war der an Antonino Scopelliti im Jahr 1991. Die Tat war wohl gemeinsam von Cosa Nostra und ’ndrangheta organisiert und begangen worden, da Scopelliti mit großem Erfolg gegen hochrangige Mafiosi ermittelt hatte.

Und noch ein Nachtrag: Ein Vorschlag von mir, über die Berichterstattung zur Mafia in Deutschland zu reflektieren, wurde vom Netzwerk Recherche, der Vereinigung investigativer Journalisten in Deutschland, aufgegriffen. Beim Jahrestreffen Ende Juni in Hamburg werden die freie Autorin Margherita Bettoni, Axel Hemmerling oder Ludwig Kendzia vom MDR, Giulio Rubino vom italienischen Projekt Irpi und ich darüber diskutieren.

Kategorie: Artikel, Blog Stichworte: bild, blut, Deutschland, Journalismus, Mafia, netzwerk recherche, sensationslüstern

Warum wir die Mafia unterschätzen

22. Januar 2018 von S M

Das Böse wohnt in der Nachbarschaft? Der jüngste Antimafia-Einsatz war spektakulär und hat gezeigt, wie massiv sie hierzulande vertreten ist. Gerade in Baden-Württemberg. Dennoch hält sie kaum jemand für wirklich gefährlich. Warum eigentlich? Fünf Thesen dazu, die ich in der Kontext:Wochenzeitung  veröffentlicht habe:

1. Das Böse ist anderswo, aber nicht in unserer Nachbarschaft.

Sicher hätten sich die Sportler des TV Häslach in Walddorfhäslach im Jahr 2015 nicht träumen lassen, dass der neue Wirt des Vereinsheims ein Mafioso ist. Genauso verhält es sich bei einem anderen Gastronomen im Raum Stuttgart, der eine Zeit lang sogar einen Link zu einer Art Hymne der ’ndrangheta auf seiner Seite hatte. Auch Angela Merkel, die gewiss jeder Nähe zur Mafia unverdächtig ist, hat in Mitteldeutschland ein Lieblingsrestaurant, vor dem sie der Staatsschutz bereits gewarnt hat, dort doch besser nicht zu speisen. [Weiterlesen…]

Kategorie: Blog, Lieblingstexte Stichworte: 'ndrangheta, Clan, Deutschland, erpressung, farao, festnahme, Mario L., operation, schutzgeld, stige

Mehr und mehr Mafiosi in Deutschland – das Versagen in Zahlen

14. August 2017 von S M

Vor zehn Jahren kam es im Nachgang zu dem Sechsfach-Mord von Duisburg zu einer Bestandsaufnahme der Mafia-Kriminalität in Deutschland. Die damals gesammelten Informationen, etwa ein Sachstandsbericht zu allen Angehörigen der ’ndrangheta in Deutschland, sind noch heute Verschlusssache. Bisher war nur bekannt, dass der ’ndrangheta-Bericht des BKA vom Jahr 2008 weitergeführt wurde und heute rund hundert Seiten mehr umfasst als die Ursprungsversion. Alarmiert von den Ergebnissen der Antimafia-Konferenz von Mafia? Nein, Danke! hat die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um mehr über die italienische Mafia in Deutschland zu erfahren. Die Antwort der Bundesregierung  ist in zweifacher Weise schockierend: Zum einen zeigt sie, wie wenig über das Treiben der Clans in Deutschland bekannt ist. Vor allem aber zeigt sie mit den gegebenen Zahlen das dramatische Versagen der Politik im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität auf.

Kurz zusammengefasst: In den vergangenen Zahlen wuchs die Zahl der Mafia-Angehörigen in Deutschland in eklatantem Maß. [Weiterlesen…]

Kategorie: Blog Stichworte: 'ndrangheta, Deutschland, Gesetze, Mafia

Ganz Baden-Württemberg? Nein, nicht ganz…

10. Mai 2017 von S M

Gestern habe ich ein Seminar für Kolleginnen und Kollegen gegeben, die mehr über Investigative Recherche erfahren und lernen wollen. Veranstalter war die Journalistische Berufsbildung JBB des Verlegerverbandes in Baden-Württemberg mit dem wackeren Bernie Haupt, dazu eingeladen hatte mich die Initiative ProRecherche und Wolfgang Messner, einer der Gründer der Initiative. Bei der Vorbereitung zu dem Seminar habe ich Akten durchgesehen, teils aus Neugier, wo die Mafia in Baden-Württemberg schon überall Spuren hinterlassen hat, teils mit dem Wissen, dass sie im Ländle quasi flächendeckend vertreten ist. Natürlich sind mir die Festnahmen in Singen und überhaupt im Bodenseeraum in Erinnerung, schließlich habe ich sie damals in Deutschland bekannt gemacht. Stuttgart sowieso. Metzingen, Mannheim, klar. Aber als ich die Liste dann fertig hatte, war ich doch überrascht. Warum? Darum:

Backnang, Bad Kissingen, Bad Säckingen, Bad Urach, Bühl
Denkendorf, Dettingen, Donaueschingen
Ebersbach-Weiler, Edingen-Neckarshausen, Eislingen, Engen, Esslingen
Fellbach, Forchheim, Freiberg, Freiburg, Friolzheim
Gailingen am Hochrhein, Grenzach-Wylen
Hassmersheim, Heidelberg, Heidenheim, Heilbronn-Frankenbach, Hohentengen, Holzgerlingen
Karlsruhe, Konstanz, Korb, Korntal-Münchingen, Küssaberg-Reckingen, Kupferzell
Lörrach, Ludwigsburg
Mannheim, Metzingen, Müllheim, Münchingen, Münsingen, Murrhardt
Neckarbischofsheim, Nußloch
Offenburg, Oftersheim
Pforzheim
Radolfzell, Rastatt, Ravensburg, Reutlingen, Rielasingen-Worblingen, Rudersberg
Schramberg, Sigmaringen, Singen, Steinen-Hägelberg, St. Georgen, Stuttgart
Tübingen
Uhingen, Ulm
Villingen-Schwenningen
Waiblingen, Waldshut-Tiengen
Zimmern

…und sicher sind das noch längst nicht alle Orte, in denen entweder ein Mafioso gewohnt hat, aktiv war oder festgenommen worden ist.

Kategorie: Blog Stichworte: Baden-Württemberg, Clan, Deutschland, Ländle, Locale, Mafia, Musterländle

  • 1
  • 2
  • Nächste Seite »

Copyright © 2025 · BLITZGEEK webdesign