Frauen sind schwach.
„Selbst die Frauen, die mit einem Mafioso verheiratet sind oder aus einer Mafiafamilie stammen, halten sich nicht mehr an das Schweigegelübde, werden sie erst einmal von höchsten Gefühlen erfasst“, sagt Antonio Calderone, einst ein Mafiaboss in Catania.
Frauen sind geschwätzig.
„Ich habe meiner Frau klar gemacht, dass sie mich nichts über meine Arbeit fragen darf“, sagt Antonio Saia, einst ein Mitglied des Clans der Catanesi. „Ich wollte sie als Frau nicht in meine Sachen einbeziehen. Wissen Sie, sie redet dann mit Freundinnen, und seinen Freundinnen vertraut man sich dann doch mal an.“
Frauen sind vor allem Mütter.
Und sie gehen in die Kirche, die Mafiosi wichtig ist.
So verkaufte das die Mafia und so wurde das auch geglaubt.
So mag es früher auch gewesen sein. Doch die Zeiten ändern sich, selbst im Männerland Italien, und die Emanzipation macht selbst vor der organisierten Kriminalität nicht halt. Welches Geschlecht wirklich schwach ist, da hat I.M.D. keine Zweifel. I.M.D. arbeitet seit mehr als zehn Jahren in einer Sondereinheit der Polizei von Palermo, die in Sizilien Jagd auf ranghohe Mafiosi macht – und dabei auch erfolgreich ist. Die Jäger von der „Catturandi“ haben Bernardo Provenzano festgenommen, Capo der Cosa Nostra auf Sizilien und einer der meistgesuchten Mafiosi Italiens, dazu Salvatore Lo Piccolo und seinen Sohn Sandro, zwei weitere kriminelle Schwergewichte, der eine ein Mörder, der andere ein Drogenhändler. I.M.D. war an beiden Operationen beteiligt und gibt aus Angst um sein Leben seinen Namen nicht preis. „Während all der Zeit, die ich jetzt als Jäger flüchtiger Mafiosi aktiv bin, ist es kein einziges Mal passiert, dass einer der Bosse keinen Kontakt mit den eigenen Frauen hatte, den Müttern, Schwestern, Frauen, Liebhaberinnen und Töchtern“, berichtet er.
Manchmal helfen die Liebeleien den Ermittlern, sie werden zur Spur, die zum Erfolg führt, berichtet I.M.D.: „Vito Vitale, Pino Guastella und andere haben wir dank ihren Freundinnen und Liebhaberinnen gefunden – obwohl die Frauen natürlich komplett in die Maßnahmen eingebunden waren, die ihre Partner vor ihrer Entdeckung schützen sollten.“ Neun Jahre lang war I.M.D.s Einheit etwa Bernardo Provenzano auf den Fersen, kreiste seine Aufenthaltorte immer weiter ein. Provenzano ließ seiner Geliebten Saveria Benedetta Palazzolo regelmäßig zärtliche Botschaften zukommen. Später heiratete er sie – wohlgemerkt, während er im Untergrund lebte! Ein katholischer Priester gab seinen Segen dazu, das Einwohnermeldeamt natürlich nicht, weshalb die Hochzeit nicht rechtskräftig ist. Palazzolo, die heute noch flüchtig ist, verwaltet seit der Festnahme vor drei Jahren dessen Reichtum. Frauen sind also in der Mafia keineswegs unbedeutend, so gering ist ihre Rolle heute nicht. Das von den mafiösen Organisationen aufgebaute Bild der schwachen Frau hat noch nie ganz gestimmt.
Sicher ist, dass die Familie die Keimzelle der Kriminalität ist. Hier werden die Werte vermittelt, hier werden Heiraten schon in Kinderjahren beschlossen, hier wird die Macht über einen Clan weitergegeben. Wie bei normalen italienischen Familien ist auch bei Mafiafamilien die Mamma der Mittelpunkt. Wie wichtig die Rolle der Mutter ist, zeigt sich auch darin, dass die Cosa Nostra sich gerne Begriffen aus der Familienwelt bedient: „Mamma“ bezeichnet die Organisation als Ganzes, die einzelnen Clans werden auch „Familien“ genannt.
Doch es gab schon früher Frauen, die mehr als eine Mafia-Mamma waren. Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, im Jahr 1904, gab es in Palermo einen Gerichtsprozess, in dem sich mehrere Frauen sich für ihre Taten verantworten mussten. Die Richter damals stellten fest, dass die Angeklagten keineswegs nur unterstützend tätig waren, sondern sich selbst „an den kriminellen Aktivitäten der Mafia-Gruppe beteiligt hatten“.
An sich ist die Situation eindeutig: Es gibt einen klaren Aufnahmeritus für Mitglieder der Clans. Archaisch geht es dabei zu, eine ewige Blutsbrüderschaft wird mit einem Tropfen Blut begründet, ein Heiligenbildchen wird in der Hand des Aufzunehmenden angezündet, er wird es bis ans Ende seiner Tage bei sich tragen. Nur Männer werden Teil der Mafia, Frauen bleiben ausgeschlossen. Macht können sie trotzdem erlangen. Boss dürfen Frauen zwar formal nicht werden, zumindest nicht bei der Cosa Nostra auf Sizilien und der Sacra Corona Unita aus Apulien. Doch selbst das hielt einige Frauen nicht davon ab, dort die Macht zu erlangen.
Es gibt das Beispiel von Angela Russa, der sogenannten Heroin-Oma der sizilianischen Cosa Nostra. Sie baute einen mächtigen Familienbetrieb auf und handelte mit Drogen. Die Ware ließ sie vom italienischen Festland anliefern. „Ich habe keine Päckchen vom einen Teil Italiens zum anderen getragen“, sagt sie. Von ihrer Wohnung
„Ich habe von Beginn an kommandiert.“ Im Jahr 1982 hatte es sich auskommandiert. Russa wurde festgenommen, im stolzen Alter von 74 Jahren.
Mit vielen Morden hatte sich der Antonino Cintorino, ebenfalls ein Angehöriger der Cosa Nostra, einen Namen gemacht. Er befehligte den Clan in Calatabiano, der in Taormina und Umgebung aktiv war. 1993 verhaftete die Polizei quasi die gesamte Führungsriege, doch der Clan machte weiter, als sei nichts passiert. Als die Ermittler die Telefone von Cintorinos Frau Maria Filippa Messina abhörten, wussten sie warum: Sie hatte die Geschäfte übernommen. Messina besorgte Waffen und engagierte Killer, um einen rivalisierenden Clan zu eliminieren. Dann griffen die Ermittler zu, zwei Jahre nachdem sie die Macht an sich genommen hatte, landete auch sie im Gefängnis. 13 Jahre und vier Monate lautete das Urteil. Das wirklich Besondere daran war aber, dass zum ersten Mal überhaupt eine Frau zum „carcere duro“ verurteilt wurde, eine besondere Art der Isolationshaft für Mafia-Angehörige.
Lange waren die Mafia-Organisationen wie eine Black Box, von außen zu sehen waren nur die oft blutigen Taten. Mitte der Achtziger Jahre kam aber etwas Licht in das Innenleben der Mafia. Den Fahndern gelang es, den Druck auf die Organisation zu erhöhen, vor allem in Sizilien. Immer mehr Mafia-Angehörige beschlossen, sich gegen die Organisation zu stellen und mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Die 1991 geschaffene Kronzeugenregelung förderte diesen Prozess weiter.
Schließlich beschäftigten sich einige Forscherinnen mit der Thematik. „Ich habe mich in den Achtziger Jahren mit den Frauen im Süden befasst, so kam ich auch zum Thema ‚Frauen und die Mafia’“, sagt die Soziologin Renate Siebert. Sie ist eine gebürtige Deutsche, lebt aber seit fast vierzig Jahren in Italien und lehrt an der Universität della Calabria. „Ich habe mich damals nur auf Sekundärmaterialien gestützt, habe keine empirische Studie gemacht. Aber meine 1994 erschienene Arbeit war die erste, die das Thema so umfassend analysiert hat.“
„Wir bekamen damals Einblick in die Familien, die ja eher eine verschlossene Welt sind“, berichtet die Soziologin. Sie konnte damals die Aussagen von verhafteten Mafia-Chefs analysieren. „Es gab Fälle, in denen einige Mitglieder einer Familie mit der Justiz zusammenarbeiteten, andere weiterhin in der Mafia blieben, und Frauen waren zwischen beiden Polen hin- und hergerissen.“
Besonders dramatisch verlief aus diesem Grund das Leben von Vincenzina Marchese, die Tochter eines Mafioso war und dazu Frau des Bosses Leoluca Bagarella. Ihr Bruder Pino entschied sich dafür, als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft zu dienen. Vincenzina Marchese war selbst in kriminelle Aktivitäten involviert. Kurz vor ihrem Selbstmord war sie besessen von der Angst, überraschend von der Polizei gefasst zu werden.
Früher wurden Frauen oft nicht für ihre Taten verurteilt, da sie ja – gemäß dem von der Mafia selbst verbreiteten Bild – zu schwach seien, um an kriminellen Aktivitäten teilzunehmen. Staatsanwälte übernahmen dieses Bild und bewahrten es zudem – zu lange. Denn was in den Neunzigern aus der Not heraus startete, nämlich der Not, dass viele Männer inhaftiert wurden, hat sich zu einem Gutteil zur Normalität entwickelt: Heute sind Frauen im Dienst der Mafia keine Einzelfälle mehr, einem Bericht zufolge sind sie oft voll in das kriminellen Tun eingebunden. Häufig verwalten sie die Finanzen und schließen Geschäfte ab. Lediglich bei Delikten mit Waffen ist ihre Beteiligung auffällig geringer.
Der Oberste Gerichtshof in Italien sah sich vor diesem Hintergrund im Jahr 1999 genötigt, eine neue Sicht auf Mafiafrauen anzumahnen: „Dem Untersuchungsrichter ist die Aufgabe anvertraut, die innerfamiliäre Zusammenarbeit der Angeklagten zu bewerten und festzustellen, ob diese Ausdruck einer Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung ist und den Zielen dieser dient“, steht in einem Urteil geschrieben. Die Untersuchungsrichter sollen sich bei ihrer Arbeit an die konkreten Fakten halten – und nicht an überlieferte Vorstellungen.
Damit dürften auch die letzten Richter im Land verstanden haben, dass es das Heimchen am Mafiaherd so kaum mehr gibt. Die Zahlen von Verurteilungen sprechen eine deutliche Sprache: 1990 war nur eine Frau wegen des Mafiaparagraphen 416 bis verurteilt worden, zwei Jahre später später waren es schon zehn, 1994 gar 16 Frauen. Diese Zahl stieg weiter stark an: 1995 auf 89 verurteilte Frauen, und im Jahr 2000 waren es dann allein in Sizilien 43 Frauen. Diese Zuwachsraten übertreffen die der Männer bei Weitem.
Wie wichtig die Frauen der Bosse sind, bekommen Staatsanwälte immer wieder vor Augen geführt, wenn sie mit Gefangenen über die Kronzeugenregelung verhandeln. Die Mafiosi auf dem Stuhl vor ihnen wollen die Entscheidung meist erst mit ihrer Frau besprechen. So sagte der Mafia-Boss Antonio Calderone zu den Ermittlern: „Ich rede erst, wenn meine Frau da ist. Ich möchte vor ihr sprechen und ihr wie Ihnen etwas sagen, die ihr Männer des Gesetzes seid.“ Das Problem war nur: Seine Frau kam nicht.
Am Morgen um Acht hatten sich die Ermittler und der Boss in Rom getroffen. Calderone schwieg. Die Ermittler warteten. Zwölf Stunden später traf seine Frau dann endlich ein. Die Ermittler mussten Calderone versichern, sich um ihr Wohlergehen und das seiner drei Kinder zu kümmern. Dann redete Calderone. Und redete. Und redete.
Am Ende standen 160 Haftbefehle.