SANDRO MATTIOLI

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Wollte die Mafia ddp kaufen?

1. August 2018 von S M

Eine Bemerkung vorweg: Die Schriftstellerin Isabelle Lehn hat diese Geschichte über Martina N. und die Deutsche Bank als Vorlage für ihren tollen Roman „Die Spielerin“ genutzt. Wer noch mehr zu Mafia-Aktivitäten und dem Finanzwesen in Deutschland erfahren mag, sei auch auf mein Buch „Germafia“ verwiesen. Auch dort geht es um die Deutsche Bank, und wieder klingt der Stoff wie aus einem Roman… 

Im Jahre 2004 musste die Nachrichtenagentur ddp Insolvenz anmelden, weil sie auf einen Hochstapler hereingefallen war. Ein geheimer Bericht des Bundeskriminalamts BKA legt nahe: Hinter dem vermeintlichen Investor stand die kalabrische Mafia. Den Kontakt stellte eine ddp-Mitarbeiterin her, die ein Doppelleben führte.

Die Kollegen des deutschen Medienunternehmens, bei dem Martina N. arbeitete, hätten kaum vermutet, dass die Frau aus dem Vertrieb einmal als Gangsterin in einem derart teuren Hotel in der Toskana absteigen würde, mit klassisch gehaltenen Suiten mit schweren Kassettendecken und barocken Gemälden an der Wand. N. eine zierliche, im niedersächsischen Einbeck geborene Frau, lebte eigentlich in relativ bescheidenen Verhältnissen – sie betrieb Telefonakquise und arbeitete noch nicht einmal Vollzeit. Auch die Mitarbeiter des feinen Hotels Baglioni in Florenz, von dessen elegantem Dachgarten man direkt auf die Kuppel des Florentiner Doms blickt, ahnten nicht, welchen Gast sie da im Jahr 2009 gerade eincheckten. Nur das elektronische System, das automatisch die Namen der Gäste mit der Kartei polizeilich gesuchter Straftäter abgleicht, wusste sofort Bescheid. Und so standen kurz, nachdem Martina N. eingecheckt hatte, Beamte in der Lobby und nahmen die Deutsche mit – ins Gefängnis. Weil die unscheinbare Frau N. nämlich in Wirklichkeit eng mit einem Mafiaclan zusammenarbeitete und seit Jahren flüchtig war.

Hätte man das Doppeleben der Martina N. in Deutschland gekannt, der Nachrichtenagentur Deutscher Depeschen-Dienst wäre viel erspart geblieben, vor allem die Insolvenz im Jahr 2004 und dass die rund 200 Mitarbeiter monatelang um ihren Arbeitsplatz zittern mussten. Nach heutigem Stand sieht es ganz so aus, als habe die Geschäftsführung damals sich mit der kalabrischen Mafia, der ’ndrangheta, eingelassen – wohl ohne es zu wissen.

Wir erinnern uns: Die in Finanznot geratene ddp war im Jahr 2003 von der Pro 7-Gruppe von Leo Kirch an eine Beteiligungsgesellschaft weiterverkauft worden, die mehrheitlich den beiden ddp-Geschäftsführern Lutz Schumacher und Wilfried Hub gehörte. Die ddp-Manager wollten ihr Unternehmen retten, indem sie neue Geldgeber anwarben. Anfang 2004 scheiterte die Zusammenarbeit mit einem ersten Investor. Der Mann war für nicht seriös gehalten worden; der Verdacht der Geldwäsche stand im Raum.

In der Folge, wenige Monate später, bot ein weiterer Investor, ein deutscher Privatmann an, drei Millionen Euro zu bezahlen. Ein Göttinger Rechtsanwalt sollte das Geschäft über die Bühne bringen. Das Angebot wirkte seriös, notariell beglaubigte Papiere belegten die Finanzkraft des Mannes, Franz T.. Dieser war allerdings als Finanzinvestor ein unbeschriebenes Blatt und in der Medienbranche unbekannt.

Das Magazin Focus hatte damals rekonstruiert, wie der Kontakt zu dem Investoren T. zustande kam. Die Telefonistin N. bekam den Investor T. den Angaben zufolge von einem ehemaligen schweizerischen Banker empfohlen. Über ihren Chef kam der potenzielle Investor T. mit den Geschäftsführern der ddp in Kontakt, Lutz Schumacher und Wilfried Hub.

In den Focus-Texten erscheint Martina N. als eine Nebenfigur. Doch diese Darstellung ist nun anzuzweifeln. Denn bis heute war unbekannt, dass von N. Verbindungen direkt zur kalabrischen Mafia ’ndrangheta führen. Martina N. hatte zuvor nämlich ebenfalls in der Schweiz für eine Bank gearbeitet, für eine Filiale der Deutschen Bank. In ihrer dortigen Funktion hatte sie mit dem mächtigen Morabito-Clan aus Africo kooperiert, einem Ort, der fast an der Spitze des italienischen Stiefels liegt. Im Jahr 2000 war Martina N. von dem Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri in Reggio Calabria angeklagt worden. Sie soll den Mafiosi in Kalabrien in Echtzeit Identifikationsnummern gerade ausgegebener Kredittitel gemeldet haben, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Deutsche Bank in Erfahrung bringen konnte.

Die Gangster nutzten diese Informationen, um die entsprechenden Titel zu klonen, ergo zu fälschen. Fünf Jahre später, im Jahr 2005, wurde N. dafür rechtskräftig zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Sie war zu diesem Zeitpunkt allerdings flüchtig. Erst im Jahr 2009 erfuhr sie ihre Strafe, nach dem Check-In im Hotel in Florenz.

Klar ist damit auch: Während in Kalabrien ein Prozess gegen die reiche Gangsterin lief, arbeitete sie für eine Tochterfirma der ddp und betrieb Telefonakquise.

Auch im Fall der ddp spielten gefälschte Papiere eine gewichtige Rolle. Denn die Papiere, die T.s Reichtum belegen sollten, waren nicht echt, T. tatsächlich ohne Vermögen. Und auch dass er Teilhaber der Bitburger Brauerei sei, erwies sich als falsche Information.

Es tut sich nun ein ganz neues Szenario auf. Ein geheimer Bericht des BKA, der Kress Pro vorliegt, beschreibt das Wirken der Gruppe um Martina N. genauer. Die gesamte Gruppe – einschließlich N. – bestünde aus Mitgliedern des Morabito-Clans, heißt es in dem Dossier. Der Clan unterhält seit vielen Jahrzehnten Kontakte nach Deutschland und hat dort auch Stützpunkte. Unter anderem wurde in einem Fluss in Kalabrien bereits Ende der Achtziger Jahre Giftmüll aus der Bundesrepublik entsorgt.

Die angebliche einfache Telefonistin N. erscheint in diesem Bericht wie auch in italienischen Unterlagen in einem ganz anderen Licht: Jahrelang habe N. mit zwei weiteren Mitgliedern der Bande in Hotels gelebt. Sie war offenbar nicht für einfache kriminelle Delikte zuständig, sondern für komplexe und kompliziertere Gaunereien: Das BKA bezeichnet sie als „Organisatorin für das Abfließen von investierten Geldern aus Weltbankprogrammen, z.B. das Errichten von Blutbanken in der ehem. Sowjetunion oder von Rehakliniken in Hongkong“. Es ist nämlich keineswegs so, dass die Mafiaclans nur Schutzgelderpressung und Drogenhandel für sich betreiben. Schon jeher betätigen sie sich auch in Bereichen, um ihren Reichtum zu mehren, in denen man als unbedarfter Bürger die Mafia nicht vermuten würde.

So kennen sich die Clans auch mit komplizierten Finanzoperationen aus. Vor allem Anfang der Neunziger Jahre war der Handel mit gefälschten Wertpapieren sehr lukrativ. Zum Teil dienten dann echte Papiere auch als Währung und Sicherheiten für kriminelle Geschäfte mit anderen Organisationen. Die gefälschten Titel wurden immer wieder bei Geldinstituten, die die Fälschungen nicht durchschauten, beliehen – zum Schaden der Banken.

Weiterhin sei damals bekannt geworden, heißt es in dem BKA-Bericht, dass deutsche Rechtsanwälte sich an den Betrügereien beteiligt haben sollen. Über den Verfahrensausgang hierzu war dem BKA damals aber nichts bekannt, ebenso wie der aktuelle Aufenthaltsort der Martina N. Auch die Polizei in Amsterdam ermittele gegen die Gruppe wegen des Scheckbetrugs in Millionenhöhe.

Martina N. ist für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Aus dem Umfeld ihrer Familie heißt es, die Mutter habe keinen Kontakt mehr zu ihr. Das BKA gibt zu personenbezogenen Anfragen grundsätzlich keine Auskunft. Auch interne Dokumente wie den als geheim eingestuften Bericht kommentiert die Behörde nicht.

Einer der damaligen Geschäftsführer der ddp, Wilfried Hub, erinnert sich nicht sofort an Martina N., als wir ihn in einem Telefonat auf die Geschichte ansprechen. Hub, heute Herausgeber des Vogtland-Anzeigers, sagt, eine wichtige Person sei damals ein Rechtsanwalt in Göttingen gewesen. Dieser habe mit den ddp-Geschäftsführern Kontakt gehalten und sei zugleich das Bindeglied zu Franz T. gewesen. Der Rechtsanwalt habe ihn und seinen Kollegen Schumacher immer wieder vertröstet, als die Zahlung ausblieb.

Hub meint, vielleicht hätte ihnen damals früher auffallen müssen, dass T. nicht seriös sei, zumal dessen Rechtsanwalt ihnen Dinge erzählte, die man eigentlich nicht weitersage. Ob der Göttinger Anwalt zu den im BKA-Bericht erwähnten Rechtsanwälten gehört, mit denen die Bande kooperierte, lässt sich heute nicht mehr klären.

Als der Anwalt schließlich anbot, die Drei-Millionen-Investition in Form von Gold-Barren vorbeizubringen, dämmerte es den beiden ddp-Geschäftsführern. Sie schickten einen Kollegen aus der Region am Wohnsitz des mutmaßlichen Investoren T. vorbei. Der Mann, der behauptete, Miteigentümer der Bitburger Brauerei zu sein, lebte in Wahrheit in ärmlichen Verhältnissen mit seiner Mutter auf einem Bauernhof. Als erstunken und erlogen erwies sich auch sein Reichtum: Einem Notar wurde das Dokument vorgelegt, das er angeblich für T. beglaubigt haben sollte und das dessen Vermögen belegt. Es stellte sich heraus: es war gefälscht. Ein Bankdokument einer Luxemburger Bank: ebenso gefälscht.

Martina N. habe zu dem Investor T. damals engen Kontakt gehabt, sagt Winfried Hub heute. Dass die Mafia involviert gewesen sein soll, darauf habe es überhaupt keine Hinweise gegeben, erklärt er. Auch was deren Interesse gewesen sein soll, wo doch nie Geld geflossen ist, ist ihm unklar. Aus diesem Grund war bis zum Auftauchen der BKA-Akten die Erklärung, die Hub damals gefunden hatte, viel einleuchtender: nämlich dass sie und sein ddp-Geschäftspartner Schumacher auf einen „Spinner reingefallen waren“.

Inzwischen sieht es so aus, als sei dieser „Spinner“ von der deutsch-italienischen Gangsterbande für ihre Zwecke eingespannt worden. Angesichts der Fahndungsakte von Martina N. liegt diese Sicht jedenfalls nahe. Nur was das Ganze bezwecken sollte, das ist auch heute noch fraglich. Zwar gibt es Beispiele dafür, dass Gruppen der Organisierten Kriminalität damals in Medienunternehmen investierten. Nur flossen in diesen Fällen tatsächlich erhebliche Geldmengen. Im Fall der ddp blieb es jedoch bei leeren Worten – sehr zum Nachteil der Mitarbeiter, die wie ihre Chefs Hub und Schumacher zuschauen mussten, wie ihre Agentur in die Insolvenz rutschte.

Kategorie: Mafia Stichworte: 'ndrangheta, ddp, Deutsche Bank, deutsche Mafia, festnahme, Insolvenz, Investor, Medien, Medienhaus, Nachrichtenagentur, Reggio Calabria

Kalabrische Verhältnisse in der deutschen Provinz

28. März 2018 von S M

Als in der Nacht vom 8. zum 9. Januar die Türen in Hessen und Baden-Württemberg den Rammböcken der Polizei nachgaben und krachend splitterten, als elf mutmaßliche Mafiosi aus dem Schlaf gerissen wurden, als zeitgleich Mario L. in Kalabrien verstand, warum er in eine Straßenkontrolle geraten war und so lange auf dem Polizeirevier festgehalten wurde, ohne zu erfahren warum, als die Polizei 159 weitere Mafia-Verdächtige eingesammelt und festgenommen hatte, da nahm eine Großoperation ihren Lauf, der ein erwartbares Schicksal beschieden sein dürfte.

Zunächst finden solche Massenfestnahmen große Resonanz in den Medien. Alle sprechen vom wichtigsten Schlag gegen die ’ndrangheta seit XX Jahren und man glaubt, völlig unerwartet, schlagartig, überraschend sei die Mafia in Deutschland entdeckt worden. Natürlich findet sich auch die übliche Berichterstattung, die bar jeden Hintergrundwissens Dinge in die Welt hinausposaunt und nicht zwischen Clans und Organisation unterscheiden kann. Geschenkt. Es werden dann die üblichen Fragen gestellt: Was macht die Mafia in Deutschland? Wo sind die Mafiosi in Deutschland ansässig? Ist das gefährlich? Was bedeutet dieser Schlag?

Es sind wichtige Fragen, zweifelsohne. Aber es ist leider nur ein kleiner Teil der Fragen, die beantwortet werden müssten. Und es sind Fragen, die zeigen, wie wenig nachhaltig das Vorgehen gegen die Mafia außerhalb Italiens und damit auch in Deutschland ist.

Normalerweise hält diese Beachtung eine, vielleicht zwei Wochen an, dann versinkt das Thema Mafia wieder in der Nichtbeachtung. Ohne, dass Strukturen ausgeleuchtet würden. Ohne, dass Namen genannt würden. Ohne, dass langfristig die deutsche Politik- und Wirtschaftsordnung gefährdende Schwächen im Strafverfolgungsregime in der Bundesrepublik benannt würden. Ohne, dass vorhandene Verflechtungen zwischen Mafia und Politik oder zwischen Mafia und Wirtschaft dargestellt würden. Dann geht alles weiter wie zuvor. Bis zum nächsten „Schlag gegen die Mafia“.

Insofern ist jede Maxi-Operation immer auch etwas frustrierend für Journalisten wie mich, die sich mit dem Thema seit Langem befassen: man hofft immer, dass Deutschland nun doch erwachen möge, doch man hofft vergebens. Deutschland verfällt immer und immer wieder in den Dämmer und die Mafia kann weiter munter hierzulande investieren. Zugleich wird ein Gutteil der Festgenommenen wieder freigelassen, weil man ihnen doch nichts nachweisen kann oder weil die deutsche Justiz den Italienern einen Strich durch die Rechnung macht. Oder oder oder. Justizinstitutionen können extrem widerspenstig sein, wenn es um die deutsch-italienische Kooperation geht.

(Wie sehr das Thema Mafia unterschätzt wird, zeigt sich übrigens auch in dem unwürdigen Angebot einer großen überregionalen Zeitung, die eine Exklusivgeschichte von mir unter Bedingungen annehmen wollte: der Name des lokalen Korrespondenten müsse ebenfalls über der Geschichte stehen und man bezahle 250 Euro. Thema der Recherche: wie eine deutsche Staatsanwaltschaft systematisch Mafia-Ermittlungen hintertreibt und Ermittlungen unterlässt, obwohl ein gravierender Vorwurf gegen einen mutmaßlichen Mafioso, basierend auf einer qualifizierten Quelle, im Raum stand. Klar, dass es dann gefährlich wird, nehme ich auch noch gerne gratis in Kauf.)

Für den Stern war ich nun gemeinsam mit dem lieben Kollegen Norbert Höfler unterwegs, um das Wirken des Farao-Clans in Deutschland nachzuzeichnen, also der Gruppierung, die am 8. Januar durch eine von Italien aus gegen Widerstände vorangetriebene Polizeioperation geschwächt worden ist. Heute, am 28.3., erscheint das Heft mit unserer Reportage. Um ehrlich zu sein, als wir uns auf einen Zuschnitt der Geschichte einigten, war ich nicht ganz zufrieden. Ich hielt es für nicht allzu spannend, sich entlang den Orten zu bewegen, die wir aus den italienischen Ermittlungsunterlagen kannten. Ich lag kräftig daneben. Denn dieses Setting verschaffte mir Einsichten, die ich so nicht nur nicht erwartet hätte. Nein, sie haben mich geradezu schockiert.

Ich war für Recherchen im Mafia-Milieu schon an vielen Orten unterwegs. In Kalabrien, Sizilien und Neapel natürlich, aber auch im Allgäu, in Stuttgart, Ludwigshafen, Pforzheim und in Frankfurt etwa. Ich war aber noch nie in Melsungen, Borken, Fritzlar, Waldorfhäslach oder Kerstenhausen. Vor allem die Verhältnisse in der hessischen Provinz waren erschreckend: die Verhältnisse dort erinnerten mich sehr an tiefstes Kalabrien.

Dass Deutsche in blinder Zuneigung zum sympathischen Dolce-Vita-Italiener gerne auch mal die Mafia-Verdächtigkeit einiger ausblenden, war mir natürlich bekannt. Was insofern dennoch bitter ist, wie es eines der strukturellen Merkmale in Deutschland ist, die der Mafia das Leben leicht macht. Aber was ich nicht erwartet hätte, ist dass die Mafia inzwischen in manchen Gegenden eine Kontrolle über das Territorium erlangt hat, die ich so nur von Kalabrien kenne. Da werden Eindringlinge von außen wie eben wir Journalisten sofort unter Beobachtung genommen. Da wird ganz entspannt mit freundlichem Ton gedroht – nicht nur uns gegenüber, auch gegenüber anderen Kollegen und Kolleginnen fielen dieselben Worte. Da werden deutsche Unternehmer mit dem Tod bedroht. Da tut die Polizei im ländlichen Raum nichts oder bekommt nichts mit, was im Endeffekt genauso schlimm ist. Wohlgemerkt handelt es sich bei den Mafia-Verdächtigen nicht um Zugereiste, die erst seit Kurzem vor Ort sind. Nein, es sind Geschäftsleute, die bereits vor vielen Jahren auffällig wurden in unterschiedlichen kriminellen Kontexten, die schon vom BKA als Mafiaverdächtige in Berichten geführt wurden, Leute, die nichts zu befürchten hätten, wenn nicht italienische Ermittler deutsche Sicherheitskräfte zum Jagen tragen würden. Da gerät die Polizei nach Festnahmen in Misskredit, weil sie dem ach so netten Gastwirt nachstellt. Der Gipfel der Ignoranz war, dass eine Frau eine (von den Polizeimaßnahmen nicht betroffene) Wirtin beschuldigte, auf dem Rücken der Konkurrenz Werbung für sich zu machen. Was war geschehen? Bei der betroffenen Wirtin waren Anfragen angegangen, ob sie etwas mit den Mafia-Festnahmen zu tun hatten. Daraufhin distanzierte sich die italienische Wirtin auf ihrer Facebook-Seite von der Mafia. Prompt wurde ihr dies zum Nachteil ausgelegt, der Mafia-Gastwirt dagegen in Schutz genommen. Ich weiß, es klingt dramatisch, aber wenn die Gefährlichkeit der Mafia nicht erkannt wird und mutmaßlich Kriminelle von ehrlichen Bürgern verteidigt werden, dann geht es meiner Meinung nach um die Grundfesten unseres demokratischen Zusammenlebens.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Waiblinger Kreiszeitung lobend zu erwähnen, die als doch eher kleineres Medium derzeit in einer mehrteiligen Serie über die ’ndrangheta vor Ort aufklärt.

Ich weiß, dass auch dieser Blogeintrag nichts bringen wird. Aber wenn wir dann in zehn, zwanzig Jahren norditalienische Verhältnisse haben, wo man auch lange glaubte, die Mafia sei ein Problem Süditaliens und wo heute Gemeinderäte wegen Mafia-Infiltrationen aufgelöst werden müssen und manche Geschäftsbereiche nicht mehr von kriminellen Vertretern zu reinigen sind, wenn es also auch in Deutschland so weit gekommen sein wird – und es zeichnet sich ab, das dass passieren kann – dann werde ich wenigstens in den Spiegel sehen können.

Dies ist zwar ein schwacher Trost, aber irgendwie muss man sich ja motivieren.

Kategorie: Blog Stichworte: 'ndrangheta, farao, festnahme, Mafia, operation, stige, Styx

Warum wir die Mafia unterschätzen

22. Januar 2018 von S M

Das Böse wohnt in der Nachbarschaft? Der jüngste Antimafia-Einsatz war spektakulär und hat gezeigt, wie massiv sie hierzulande vertreten ist. Gerade in Baden-Württemberg. Dennoch hält sie kaum jemand für wirklich gefährlich. Warum eigentlich? Fünf Thesen dazu, die ich in der Kontext:Wochenzeitung  veröffentlicht habe:

1. Das Böse ist anderswo, aber nicht in unserer Nachbarschaft.

Sicher hätten sich die Sportler des TV Häslach in Walddorfhäslach im Jahr 2015 nicht träumen lassen, dass der neue Wirt des Vereinsheims ein Mafioso ist. Genauso verhält es sich bei einem anderen Gastronomen im Raum Stuttgart, der eine Zeit lang sogar einen Link zu einer Art Hymne der ’ndrangheta auf seiner Seite hatte. Auch Angela Merkel, die gewiss jeder Nähe zur Mafia unverdächtig ist, hat in Mitteldeutschland ein Lieblingsrestaurant, vor dem sie der Staatsschutz bereits gewarnt hat, dort doch besser nicht zu speisen. [Weiterlesen…]

Kategorie: Blog, Lieblingstexte Stichworte: 'ndrangheta, Clan, Deutschland, erpressung, farao, festnahme, Mario L., operation, schutzgeld, stige

Drei Mal Mafia: Sonntag Tatort, Montag Die Story, Dienstag massive Polizeioperation!

9. Januar 2018 von S M

Soeben, vor ein, zwei Stunden, ist es zu einem massiven Schlag gegen die italienische Mafia gekommen, wie man ihn noch nie gesehen hat – mit weit über 150 Festnahmen in einer Operation, darunter einige auch in Deutschland, 13 genau. Die Operation richtete sich gegen den Farao-Clan, der seit Langem in Deutschland präsent ist. Der geneigte Leser mag darin eine Klimax erkennen, denn zählt man die Haftbefehle gegen die Mafia zusammen, kommt man selten auf die heute Nacht ergangenen 175. Und auch die rund 300 Festnahmen der Operation Crimine im Jahr 2011 setzen sich aus zwei Verfahren zusammen.

Es ist aber auch eine Klimax für mich, der Abschluss von drei verrückten Tagen!

Zuerst sendet die ARD am Sonntag einen Tatort, der wohl auf eine Anregung meines Vereins mafianeindanke zurückgeht (ich bin dessen Vorsitzender, so genau lässt sich aber nicht mehr klären, wie unsere Anregung auf fruchtbaren Boden gefallen ist, jedenfalls hat am Ende der Drehbuchautor Patrick Brunken einen gelungenen Film geschrieben und ich darf mich nun Berater des Tatorts nennen und war auch kurz darin zu sehen). In dem Tatort geht es um die Giftmüll-Geschäfte der Mafia, ein Thema, zu dem ich seit vielen Jahren recherchiere, eine Recherche, die auch mit dem Erscheinen meines Buchs „Die Müllmafia“ nicht endete. Und es geht um einen Kronzeugen, Patrick Brunken wurde von meiner Geschichte über Luigi Bonaventura inspiriert.

Gestern Abend lief dann die Reportage „Müll, Mafia und das große Schweigen“, eine Dokumentation von Christian Gramstadt unter anderem auch über meine Arbeit, im Rahmen der Reihe „Die Story“. Für diese Doku haben wir auch einige Staatsanwälte interviewt, deren Arbeit ich sehr schätze. Einer von ihnen ist Nicola Gratteri, der von den Kalabresen (außer den mafiösen) geliebt wird und beinahe den Status eines Stars hat (was auch gut so ist!). Ich konnte das selbst erleben, als ich zum Trame Festival in Lamezia Terme eingeladen war, ein Festival nur über Mafia- und Antimafiabücher, eine tolle, von einem ehrenamtlichen Team organisierte Veranstaltung.

Und heute hat dieser Staatsanwalt, Nicola Gratteri, zu einem quasi beispiellosen Schlag gegen die ’ndrangheta ausgeholt und 169 Mafiosi in Kalabrien und Deutschland festnehmen lassen, darunter auch ranghohe Gangster mit engen Bezügen zu Deutschland. Die genauen Details muss ich erst noch recherchieren, daher drücke ich mich hier noch vage aus. Zu gegebener Zeit also dazu mehr. Unter den Festgenommenen ist auch der Stuttgarter Mafia-Verdächtige Mario L., ein Mann, der früher enge Kontakte in die baden-württembergische Landespolitik unterhielt, der inzwischen aber in neuer Funktion tätig ist.

Eines steht aber jetzt schon fest: solche Wochen dürfte es ruhig häufiger geben, selbst wenn ich mir dann bald ein neues Thema suchen müsste…

Kategorie: Artikel, Blog, Italien, Mafia Stichworte: 'ndrangheta, Alb, Baden-Württemberg, Chitarra, Clan, Drogen, farao, festnahme, Filz, Geldwäsche, Giftmüll, Grande Aracri, Honoratioren, intersport, Kokain, Mafia, pizzaconnection, Remstal, Schickeria, Süddeutschland

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