SANDRO MATTIOLI

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Tränen und Thriller – die Summer School zum Thema Mafia und Frauen in Mailand vermittelt neues Wissen

20. September 2019 von S M

Es kann passieren, dass du der Schilderung einer Staatsanwältin zuhörst, wie sie versucht, eine Kronzeugin auf dem Weg ins Verderben zu stoppen und das Fahrzeug scheinbar jede Straßenbarriere unbemerkt passiert, und alles, was sie zur Verfügung hatte, war ein GPS-Signal. Kein Autotyp, keine Abhörmaßnahmen, nur ein Punkt auf dem Bildschirm.

Es kann passieren, dass du dich fragst, warum es besser ist, Frauen in Mafia-Clans nicht als Opfer zu sehen, sondern eher Faktoren zu berücksichtigen, die sie besonders vulnerabil machen, denn aus dem Opferstatus erwächst Schwäche, die Verwundbarkeit aber kann eine Ressource sein, die Stärke hervorbringt.

Es kommt ebenso vor, dass dich – und fast alle anderen des Kurses, der Professor und die zwei Professorinnen eingeschlossen – ein Theaterstück zu Tränen rührt und du die Macht der Worte spürst. Und es kann vorkommen, dass dir nach einer Woche und insgesamt 40 Stunden Unterricht der höchste italienische Antimafia-Staatsanwalt höchstpersönlich dein Diplom überreicht. Die Summer School an der Universität Mailand zu wechselnden Themen der Organisierten Kriminalität ist ohne Zweifel etwas Besonderes. An ihr teilzunehmen, wenn man italienisch spricht, ist ein großes Privileg.

Kommt man aber aus Deutschland, lässt sie einen auch etwas traurig zurück. Darüber, dass es eine solche Veranstaltung, die sich gleichermaßen an ein Fach- wie Massenpublikum richtet, in Deutschland nicht gibt. Und natürlich die alte und immer noch dringliche Leier, dass das Thema Organisierte Kriminalität und Mafia in Italien in der Breite eine Beachtung und Unterstützung erfährt, die man in Deutschland vergebens sucht. Zum neunten Mal organisierte die Staatliche Universität in Mailand das Blockseminar. Dieses Jahr war das Thema Mafia und Frauen. Es ist eine Kooperationsveranstaltung mit der italienischen Antimafia-Organisation Libera. Vonseiten der Uni gestaltenten die drei Professor*innen Nando dalla Chiesa, Monica Massari und Imbretta Ingrascí das Programm. Sie alle forschen zu Mafia und Organisierter Kriminalität – was allein schon zeigt, wie weit voraus Italien Deutschland in dieser Hinsicht ist. Eine der Organisatorinnen ist auch Sarah Mazzenzana, eine ehemalige Freiwilligendienstleistende von mafianeindanke. Die in diesem Jahr rund 40 festen Teilnehmer*innen setzen sich aus Polizist*innen, Staatsanwälten, Studierenden, Lehrer*innen, Pensionären und interessierten Bürger*innen zusammen. Die weitestangereiste Teilnehmerin kam eigens aus Washington.  

Es fällt schwer, eine Woche, die so reich an Eindrücken und Einsichten ist, zusammenzufassen. Ein   zulässiger Schluss ist sicher, dass der männliche Blick auf Frauen in Strukturen der Organisierten Kriminalität allzu lange Zeit eine umfassende Sicht des Phänomens quasi unmöglich machte. Auf breiter Ebene herrscht immer noch die medial geschaffene Verblendung von Clans als reiner Männergesellschaften vor. De facto haben Frauen in allen wichtigen Organisationen in Italien (‘ndrangheta, Cosa Nostra, Camorra und die kleineren Gruppen) bedeutende Rollen inne.

Die neapolitanische Camorra, die sich als fortschrittlichste Organisation versteht, kennt weibliche Bosse. Sogar das Beispiel einer Transfrau, die eine Gruppe führte, ist belegt. Auch verschiedene Vernehmungen mit weiblichen (Kron-)Zeugen zeigten, dass die Bedeutung von Frauen weit größer ist als nur Kinder zu erziehen und die (Un)werte der Mafia weiterzugeben. Richtig ist aber auch, dass es innerhalb der kalabrischen ’ndrangheta den Clans wichtig ist, Frauen möglichst stark unter Kontrolle zu halten, gerade weil ihre Funktion für die Clans so wichtig ist – selbst wenn sie formal nicht Mitglied werden dürfen und damit keine offizielle Funktion einnehmen. Als etwa bekannt geworden war, dass Giusy Pesce zur Kronzeugin wurde und die Seiten wechselte, feierte der gegnerische Clan Bellocco ein fest und spottete darüber, dass die Pesce ihre Frauen offensichtlich nicht unter Kontrolle halten können.

Häufig übernehmen Clanfrauen auch Dienstleistungsfunktionen als Rechtsanwältinnen oder Finanzverwalterinnen und Buchführerinnen. Es hilft, die ’ndrangheta nicht als einen monolithischen Block zu verstehen, sondern als Netzwerk verschiedener Clans, die keineswegs alle die gleichen Regeln und Verfahrensmuster pflegen.

In der Summer School kam aber nicht nur den Frauen in der Mafia große Bedeutung zu, sondern auch denen, die sie bekämpfen. Einige waren persönlich anwesend, etwa die Staatsanwältinnen Alessandra Cerreti und Alessandra Dolce. Zu hören, wie sie mit wichtigen Kronzeuginnen arbeiten, war spannend, erschütternd, aufschlussreich. Ihre Erzählungen glichen einem Thriller – nur mit allein weiblichen Hauptrollen. Auch Aussteigerinnen kamen zu Wort. Beispielsweise berichtete der Theaterregisseur Mimmo Sorrentino davon, wie seine Stücke entstehen. Er arbeitet in Hochsicherheitsgefängnissen mit inhaftierten Mafiafrauen. Er öffnet sie für ihre eigene Geschichte, indem er sie bittet, die Geschichte von Mithäftlingen wiederzugeben. Erst dieser Trick ermöglicht die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben. Wie beeindruckend das geht, berichteten zwei Frauen, die in seinen Stücken mitgespielt haben. Eine der Schauspielerinnen erzählte, wie sie sich in einen jungen Mann verliebte, einen hochrangigen Mafioso aus einer bekannten Familie. Es sind auch Zeugnisse wie diese, die das Wissen über Organisierte Kriminalität nicht nur vertiefen, sondern auch anschaulich werden lassen.

Überraschend war die Unterstützung der Summer School durch höchste Autoritäten. Giuseppe Sala, der Bürgermeister von Mailand kam zur Eröffnung und kündigte an, dass die Kommune die zehnte Ausgabe der Summer School im kommenden Jahr unterstützen werde. Italiens höchster Antimafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho persönlich übergab neben vielen anderen bedeutenden Personen am Ende Zeugnisse.

Kategorie: Blog, Italien, Mafia

Vom furchtlosen Mafioso zum furchtlosen Antimafioso

5. September 2019 von S M

Luigi Bonaventura war Boss des mächtigsten Clans in Crotone, er beging fünf Morde, seien Männer handelten mit Drogen, erpressten Schutzgeld, das volle Programm. Dann wechselte er die Seiten. Das war 2007. Er berichtete der Antimafia-Staatsanwaltschaft alles, was er wusste, und belastete unzählige frühere Mitstreiter. Das alles aus freien Stücken. Viele Mafiosi werden zu Kronzeugen, weil sie merken, dass ihre Autorität zunehmend in Frage gestellt wird. Bei Luigi Bonaventura war das anders, er wollte seinen Kindern eine freie Zukunft ermöglichen und sie nicht in die Mafia zwingen.

Ich habe 2012 sehr viel Zeit mit ihm verbracht und seine Geschichte aufgeschrieben. Nach unseren Treffen saß er seine Strafe im Gefängnis ab, kam frei und lebt jetzt an einem geheimen Ort. Noch immer arbeitet er mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Inzwischen ist Bonaventura Teil einer Gruppe, die sich für einen besseren Schutz von Kronzeugen und deren Familien einsetzt. Denn in Italien weist das staatliche Programm leider sehr viele Mängel auf und muss dringend verbessert werden. Bonaventura ist vom Mafioso zum Antimafioso geworden. Nun hat er einen Brief an die ’ndrangheta geschrieben, um andere vons einem Weg, dem Ausstieg aus der Mafia, zu überzeugen. Hoffentlich fällt sein Vorhaben auf fruchtbaren Boden.

„Meine lieben Ex-Kumpane,

ihr müsst die Kinder zur Schule schicken, ihnen eine andere Zukunft zeigen, wir befinden uns im Jahr 2019, aber was zum Teufel macht ihr? In Rosarno war ich zu Hause und so ihr in Crotone (und auch an anderen Orten), also lasst uns uns nicht mit Gerede aufhalten, ihr wisst, wer ich bin. Rocco, Salvatore, Ciccio (die ihr nicht Teil dieser Verhaftungen seid), diese Sache und anderes hat mich stark berührt und ich habe eine Entscheidung getroffen. Bald werde ich einen Blog (oder etwas ähnliches) beginnen, wo ich Euch sagen möchte, wie es läuft. Ich werde Euch mit Verständnis, Empathie und Ehrlichkeit begegnen, ich werde mit offenen Herzen mit Euch sprechen, um Euch zu sagen, dass bestimmte Dinge nicht mehr in diese Zeit gehören.

Wir alle sind Kinder der mamma ’ndrangheta, Brüder des Unheils wie auch dieses Kind, das für mich wie ein kleiner Bruder ist. Und für ihn und andere werden wir mit dem Komitee zur Unterstützung von Justiz-Kollaborateuren alles im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten tun, um sie zu schützen und ihnen zu helfen. Wir werden darauf achten, dass sie nicht für die Spekulation benutzt oder instrumentalisiert werden, und wenn je, dann gewiss von der anderen Seite. In diesem Blog werde ich zu meinen früheren Kumpanen aus Reggio Calabria, Crotone, Sinopoli, Santa Eufemia Aspromonte, Gioiosa Jonica usw. [Orte mit starken Mafia-Präsenzen] sprechen. Ich werde zu den Grande Aracri, den De Stefano, den Arena, den Nicoscia, den Piromalli, den Bellocco, den Pesce, den Alvaro, den Pelle, den Mammoliti, den Megna, zu meinen ehemaligen Männern, meiner Familie usw. sprechen. Ihr kennt mich alle, und wenn einige von euch mir auch noch nicht persönlich begegnet sind, wisst ihr doch, wer ich bin und wer mein Großvater war, wer mein Onkel Gianni war, wer meine Familie war.

Ich will Euch fragen, ist das ein Leben? Ist es wirklich das, was Ihr für Eure Kinder und die neuen Generationen wollt? Ist es nicht genug, wie wir leben? Ich weiß, dass der Staat, die Anti-Mafia-Vereine und andere mehr tun können und müssen, aber auch Ihr müsst die Bedingungen schaffen. Ihr könnt kooperieren und ich verstehe, dass es für Euch äußerst schwierig ist. Oder behaltet das Geld, das ihr gemacht habt, und sagt Euch los, haltet ein, und wenn es nötig ist, geht weg. Seht Ihr denn nicht, dass sie jetzt auch versuchen, Euch die Kinder zu nehmen? Zu Recht, wie man Euch die Schuld geben kann, sie im Sinne der ’ndrangheta zu erziehen. Wie viele von Euch sitzen als Mafiosi nach dem Paragraphen 41bis in verschäfter Haft? Ist dies denn ein Leben, für Euch und besonders für Eure Familien? Wie viele liebe Freunde oder getötete Verwandte hat jeder einzelne von Euch?

Kritisiert mich nicht voreilig, ich kenne die mamma ’ndrangheta gut, Ihr werdet sehen, dass ich mit dem Herzen auf der Zunge sprechen werde und viele, viele Schwierigkeiten verstehe, die es gibt. Ich werde Euch sagen, was gut oder auch was schlecht ist auf dieser Seite und warum es richtig ist, auf dieser Seite zu sein, Ich, der ich nicht besser bin als jeder andere und mit so vielen Sünden auf meinen Schultern.

Grüße an alle.

Luigi Bonaventura

Kategorie: Blog, Mafia

Aufstieg und Fall

20. Dezember 2018 von S M

Üblicherweise dringt von Jury-Sitzungen bei Journalistenpreisen nicht allzu viel nach draußen, zumindest nicht zu mir. Doch im Jahr 2013 war das auf bitterkomische Weise anders. In einem Festsaal am Potsdamer Platz wurde der Deutsche Reporterpreis verliehen, es war eine mittelmäßige Party, wie das oft bei Preisverleihungen so ist, aber immerhin, es war eine Party. Einige Zeit nach dem Ende der offiziellen Zeremonie kam ein Kollege zu mir, den ich nicht persönlich kannte, dessen Wettbewerbsbeitrag ich allerdings sehr geschätzt hatte. Er sagte, er wolle mich kennen lernen, was in mir Fragezeichen aufsteigen ließ. Er berichtete mir, eine Jurorin sei zu ihm gekommen, und habe ihm gesagt, dass er beinahe den Reporterpreis gewonnen hätte. Sie hätten sich dann kurz unterhalten, und als die Jurorin dann sagte, dass das ja schlimm sei mit der Mafia, schwante ihm so langsam, dass eine Verwechslung vorliegen musste. Er habe der Jurorin erklärt, dass er gar nicht über Mafia gearbeitet habe, sondern über Migration. Wie diese Begegnung dann geendet ist, weiß ich nicht mehr.

Es war ein merkwürdiger Moment für mich: Ich hatte Mitleid mit diesem wirklich sympathischen Kollegen, denn was gibt es Blöderes, als gesagt zu bekommen, dass man fast der Sieger war, und dann auch noch verwechselt zu werden? Und dann war da für mich auch die Freude, zu wissen, dass ich es mit meiner Geschichte über den Mafia-Kronzeugen Luigi Bonaventura fast geschafft hatte. Allerdings ist es fast befriedigender, irgendwo in der Endauswahl gelandet zu sein als auf dem zweiten Platz.

Der zweite Platz ist so etwas wie die Nichtmedaille im sportlichen Betrieb für den 4. Platz. Dafür gibt es kein Geld und keine Anerkennung (damals war der Reporterpreis noch mit einem anständigen Preisgeld versehen!). The winner takes it all, um aus aktuellem Anlass mal einen Liedtitel einzubauen.

Denn gewonnen hat den Preis damals der Kollege Claas Relotius, dessen Kollegialität man nun aber massiv anzweifeln muss. Ich habe mich damals gefreut, dass immerhin mein Kunde, das Magazin Reportagen, den Preis bekommen hat. Ein schweizerisches, toll gemachtes Heft, ein kleines Liebhaberprojekt, betreut von einer Redaktion, die sehr gut zu ihren Autoren ist und zugleich mit viel Herzblut bei der Sache. Claas Relotius kannte ich nicht. Irgendwann hat er mich bei Facebook als Freund hinzugefügt und wir haben, glaube ich, mal ganz kurz ein paar Takte gewechselt. In der Folge beobachtete ich seine Karriere aus der Ferne.

Als ich gestern die Reportage zu seinem Fall im Spiegel las, fiel mir diese Episode wieder ein. Mein erster Gedanke war: der arme Kerl. Mein zweiter: eine Geschichte, ideal für eine wahnsinnige Reportage. Dann dachte ich darüber nach, dass wir ein systemisches Problem im Journalismus haben, das mit vielen Faktoren zusammenhängt: die Reportage, die wiederentdeckt worden ist, das Heldentum des Reporters (übrigens könnte man das Thema Betrug im Journalismus auch mal gendern, mit fällt keine Frau ein, die sich solch grobe Verfehlungen wie Kummer, Relotius und Co geleistet hat), die Anfälligkeit der Reportage für Missbrauch, der Kosten- und Konkurrenzdruck im Medienwesen, die zunehmende Personalisierung und Egozentrismus im Journalismus (ich absolvierte mein Volontariat bei der Stuttgarter Zeitung, dort lehrte man damals, 2006, noch die alte Schule, die auch vorsah, den Berichtenden nur in Ausnahmefällen in den Fokus zu stellen, sich ansonsten aber als Diener zu verstehen). Dies sind im Übrigen Überlegungen, die nichts mit dem Spiegel zu tun haben, sondern die unsere gesamte Branche betreffen. Und für grundverkehrt halte ich es, den jetzt aufgeflogenen Betrug der Textgattung Reportage anzuhängen. Eher ist es so, dass sie Opfer ist und nicht Täter.

Erst ganz am Ende habe ich darüber nachgedacht, was wohl passiert wäre, wenn ich 2013 mit meiner Reportage den Preis gewonnen hätte und nicht der betrügerische Kollege (zu dessen Verteidigung zu sagen ist, dass ich nicht weiß, ob in der geehrten Geschichte auch getrickst worden ist). Natürlich hätte mir die Aufmerksamkeit und Bestätigung damals gut getan und natürlich wäre das Geld willkommen gewesen. Aber wahrscheinlich hätte der Preis ansonsten gar nicht viel geändert. An sich ist das auch egal, denn ich bin zufrieden, wie es ist.

Ich denke, wir müssen auch hier aufpassen, dass wir Ursache und Symptom eines Phänomens fein auseinander halten. Man kann einen Journalistenpreis nicht dafür haftbar machen, was Leute tun, um ihn zu gewinnen. Man kann die Abhängigkeit in der Branche von Journalistenpreisen aber sehr wohl reflektieren. Auch dies sollte jetzt, als Aufarbeitung des Fall Relotius, passieren, im Übrigen nicht nur bei dem betroffenen Medium, sondern in der gesamten Branche – weil es die gesamte Branche betrifft.

Ich glaube auch, dass wir über das Thema Kostendruck reden müssen. Einige Kunden von mir kalkulieren meine Aufenthalte vor Ort mit dem absoluten Minimum, erwarten aber natürlich eine tolle Geschichte. KollegInnen berichten über Ähnliches. Wenn meine Erfahrung eines zeigt, dann dies: dass (ehrliche) gute Geschichten Zeit brauchen. Und somit Geld kosten. Es ist ganz einfach: je mehr Zeit man für eine Geschichte vor Ort hat, umso wahrscheinlicher ist es, dass das Reporterglück einem einen Besuch abstattet. Manche Kollegen sind wohl zu sehr verführt, mangelndes Reporterglück mit Biegen der Geschichte und Brechen der Regeln herbeizuschreiben. Und mich kotzt es ehrlich gesagt an, Entschuldigung bitte für die drastische Wortwahl, mit solchen Leuten im Wettbewerb zu stehen. Weil sie Druck auf mich ausüben, von meinen Prinzipien abzuweichen, dem ich nicht nachgebe, und dann die Nachteile in Kauf nehmen muss, die daraus resultieren. Dem Interviewfälscher Tom Kummer habe ich das auch mal klar gesagt, allerdings ohne groß eine Reaktion seinerseits zu bekommen. Allen anderen, die Schummeln und Tricksen im Journalismus, um persönliche Vorteile zu bekommen – bitte, tut das nicht. Ihr hintergeht nicht nur Eure Kolleginnen und Kollegen, die ehrlich arbeiten. Ihr sägt zudem an dem Ast, auf dem ihr sitzt. Und dieser Ast wächst ziemlich hoch, so dass ihr tief fallt…

PS: Meine Kollegen von Prorecherche wiesen mich soeben auf den Fall von Janet Cooke hin, die ebenfalls Artikel gefälscht hatte, und für einen manipulierten Text für die Washington Post mit einem Pulitzer Preis ausgezeichnet worden war.

Kategorie: Blog, Uncategorized

Opferschutz? Täterschutz?

29. November 2018 von S M

Gestern berichtete das Medienmagazin Zapp über die Recherche der Kollegen vom MDR, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia. Sie haben gemeinsam mit Kollegen vom Spiegel zur armenischen Mafia in Deutschland recherchiert, mit spannenden Ergebnissen. Die Kollegen fanden heraus, dass die armenische Mafia mit italienischen Clans kooperiert und dass sie Kontakte bis hin zum armenischen Botschafter  in Deutschland hat. Ein Teil ihrer Recherchen ist im Spiegel veröffentlicht worden, ein weiterer Teil sollte in einem Fernsehfilm ausgestrahlt werden. Doch der Botschafter legte eine einstweilige Verfügung ein, die nun in ein Gerichtsverfahren mündet. Ich drücke den werten Kollegen die Daumen!

Was die Medienanwältin Dorothee Bölke in dem Zapp-Beitrag sagt, ist übrigens verständlich, geht aber an der Realität vorbei. Denn nicht jede investigative Recherche erfolgt vor dem Hintergrund eines Gerichtsprozesses und es ist gerade das Problem, dass die Verdachtsberichterstattung mehr und mehr von juristischer Logik bestimmt wird. Dies hat zur Folge, dass sie zunehmend auf dem Vorliegen von Akten und Dokumenten gründet und mündliche Quellen an Wert verlieren. Dies ist aber in einem Feld wie der Berichterstattung über Organisierte Kriminalität ein großes Problem, denn oft handelt es sich um Sachverhalte, über die keine Dokumente existieren oder nicht zugänglich sind oder Quellen nicht vor Gesetz aussagen können, ohne Nachteile bis hin zum Tod befürchten zu müssen. Ich wünschte mir, dass sich in Gerichten mehr mit diesem Aspekt auseinandergesetzt würde, schließlich können die Medien in diesem Bereich ihren für den Schutz von Demokratie und fairem Wirtschaften essenzielle Funktion nur wahrnehmen, wenn Gerichte hier ein gewisses aus diesem Umstand gespeistes Wohlwollen an den Tag legen. Wenn Journalisten auf mafiöse Kontakte eines Botschafters hinweisen, dann tun sie das nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie in genau diesen Kontakten eine Gefahr fürs Gemeinwesen sehen. Beim bloßen Blick auf Paragraphen mag diese Perspektive schnell verloren gehen. Im Übrigen bezahlt den freien Journalisten, die zu diesem Thema arbeiten, niemand die Zeit, die für rechtliche Auseinandersetzungen draufgeht. Was es nochmal weniger lukrativ macht, im Mafiabereich Recherchen zu machen. Das aber hilft niemandem – außer den Kriminellen.

Kategorie: Blog, Mafia Stichworte: Berichterstattung, Deutschland, Mafia, Prozess, rechtliche Probleme, Zapp

Neuartige Mafia-Ermittlungen bieten immer auch neue Ansätze für die Verteidigung

15. November 2018 von S M

Es ist schon ein paar Tage her, dass ich in Konstanz war und über das dort laufende Gerichtsverfahren gegen neun Mitglieder einer Drogenhändlerbande berichtet habe. Wer den Text nachlesen mag, findet ihn hier verlinkt. Der Besuch war hochinteressant: Nicht nur berichtete der Ermittlungsführer über die Arbeit, die ihm 1500 Überstunden eingebrockt hat. Nein, man konnte auch beobachten, wie die Anwälte der Hauptangeklagten nach Einhakpunkten suchen für mögliche Berufungsverfahren.

Wer wann wo in Italien auf Dienstreise war, wollten sie recht detailliert wissen. In dem Ermittlungsverfahren hatten die beiden Staatsanwälte den direkten Austausch unter den Polizistinnen und Polizisten  erlaubt. Die Rechtsanwälte suchen daher nun nach formalen Fehlern, die das Verfahren sprengen könnten. Bisher sind es allerdings nur die vielen Anträge seitens der Verteidiger, die das Verfahren sprengen, zumindest den Zeitplan. Das ist natürlich das gute Recht der Verteidiger, die ja für ihre Mandanten das optimal Ergebnis herausholen sollen. Trotzdem würde ich als Journalist mir natürlich wünschen, dass mehr zur Sache zur Erwähnung kommt im Gerichtsverfahren. Etwa die Frage, was das alles mit Mafia zu tun hat.

Diese Frage schwebt beständig über dem Verfahren. Ich persönlich habe den Eindruck, dass man es bei einem Teil der Angeklagten tatsächlich mit Mafiosi zu tun hat; die italienischen Kontakte sprechen dafür und auch, dass auch unter den Zuschauern schon eindeutige Mafiamitglieder gesichtet worden sind. Andere Angeklagte scheinen mir trotz recht „prominenter“ Nachnamen eher so reingerutscht. Ich jedenfalls bin gespannt, ob diese Frage noch vertieft wird. Bisher hat sie der  Vorsitzende Richter jedenfalls nicht behandeln wollen.

Kategorie: Blog, Italien, Mafia Stichworte: 'ndrangheta, Bande, Drogen, Gastwirt, Kilo, Konstanz, Mafia, Marihuana, Prozess, Schwarzwald, Schwenningen, Tuningen, Villingen

Der Prozessbeginn und wie eine Drohung im Mafia-Stil unerkannt blieb

22. September 2018 von S M

In Karlsruhe wurde gestern das Hauptverfahren eines Prozesses eröffnet, das für mich persönlich eine Zäsur im deutschen Rechtswesen darstellt. Denn es ist wohl noch nie zuvor hier passiert, dass (mutmaßliche) Mafiosi im Gerichtssaal Drohungen äußern, und das auch noch in Form eines Statements ihres deutschen Anwalts. Und vor allem: Niemandem ist das auch nur aufgefallen. Was ist passiert?

Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Konstanz richtete sich gegen einen deutsch-italienischen Drogenhändlerring. Sowohl in Sizilien wie auch in Süddeutschland liefen Ermittlungen, die in Deutschland zu Anklagen gegen elf Personen führten. Vier Haupttäter müssen sich vor dem Gericht verantworten (das aus Platzgründen die ersten zwei Prozesstage in den Schwurgerichtssaal des Karlsruher Landgerichts verlegte, bis ein eigens umgebauter Firmenraum in Konstanz genutzt werden kann). Die vier Haupttäter sind ein in Italien lebender Italiener und drei Männer, die im Raum Süddeutschland zuhause sind. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, viele Dutzend Kilo Marihuana und auch Kokain nach Deutschland importiert und damit gehandelt zu haben. Einer der Männer hat den Ermittlungen zufolge zudem auf den hell erleuchteten Gastraum eines Kontrahenten geschossen, während dieser Kontrahent sich dort mit unbeteiligten Gästen aufhielt, welche die Kugeln nur knapp verfehlten. Auch Waffenschmuggel und -handel findet sich unter der Liste der Anklagepunkte.

Im Vorfeld dieser Eröffnung des Hauptverfahrens gab es verschiedene Berichte in Zeitungen, in denen von mutmaßlichen Mafiosi die Rede war. In einer Pressemitteilung war zuvor berichtet worden, dass es Verbindungen von den Angeklagten zur sizilianischen Cosa Nostra und zur kalabrischen ’ndrangheta gebe. Ich persönlich vermute, dass nicht alle Angeklagten der Mafia zugehörig sind, schließe es aber auch nicht aus. Und mehrere Journalisten, darunter auch ich, sprachen von einem Mafia-Prozess.

Nachdem der Staatsanwalt die Anklageschrift verlesen hatte, gab der Richter den Rechtsanwälten Gelegenheit, sich zu äußern. Der Anwalt eines Angeklagten, der als Kopf der Drogenbande gilt, setzte zu seinem Vortrag an. In Sizilien gebe es ein altes Sprichwort, sagte der Mann, es besage, dass wer nichts sehe, nichts höre und nichts sage, hundert Jahre alt werde. Der Richter rief zur Pause, ohne dass vonseiten des Anwalts weitere Ausfertigungen kamen, diese sollten erst nach der Pause ergehen. Offensichtlich war kaum jemandem bewusst geworden, was in diesem Moment geschehen war. Denn auch als der Anwalt nach der Pause sein Statement fortführte, gab es zu diesem Satz keine Fragen.

Im weiteren Verlauf kritisierte der Rechtsanwalt das Verfahren als aufgeblasen und wies weit von sich, dass die Angeklagten etwas mit der Mafia zu tun hätten. Der Mafia-Vorwurf käme einer Vorverurteilung gleich.

Sein Vorgehen ist in mehrerlei Hinsicht beachtlich: Zum einen spielt die Mafia-Zugehörigkeit im deutschen Strafrecht keine Rolle und damit auch nicht in dieser Hauptverhandlung. Es gibt im deutschen Strafrecht die Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation. Diese war zum Beginn der Ermittlungen zu dem Drogenhandelsring quasi unmöglich nachzuweisen (wie die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage der Grünen-Abgeordneten Irene Mihalic nach vielen Jahren im August dieses Jahres allgemein auch eingestehen musste). Es gab im Vortrag des Staatsanwalts weder einen Verweis auf eine Mafia-Zugehörigkeit irgendeines Angeklagten noch auf die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Es ging um bandenmäßigen Rauschgifthandel, was ein wesentlicher Unterschied in der Anklage ist. Der erste, der in diesem Hauptverfahren das Wort Mafia in den Mund genommen hatte, war dieser Anwalt.

Zum anderen zeugt es von gewaltiger Chuzpe, den (nicht erhobenen!) Vorwurf der Mafia-Mitgliedschaft abzustreiten und dabei auf Mafia-Methoden zu rekurrieren. Denn was anders ist dieser Satz wenn nicht ein Verweis auf die Omertà, das Schweigegelübde der Mafia? Es ist eine typische Verklausulierung, wie sie Mafiosi gerne einsetzen. Heißt der Satz doch: Wer sieht, hört und darüber redet, wird keine hundert Jahre alt, sprich, er oder sie lebt gefährlich.

Man sah es an den Reaktionen, dieser Satz wurde als Folklore gesehen, als halbwegs amüsanter Rekurs auf Mafia-Klischees. Doch dem ist mitnichten so. In einem Gerichtsverfahren, dessen Ausgang wesentlich davon abhängt, dass Zeugen belastende Aussagen tätigen, muss man von den Prozessbeteiligten die Sensibilität erwarten können, Einschüchterungsversuche schon im Ansatz zu unterbinden. Dies auch allein schon im Interesse der anwesenden Medienvertreter, denen diese Aussage genauso gelten kann: Schreibt nicht über die Mafia, und ihr werden hundert Jahre alt.

Dass dies keine Fantastereien sind, zeigen nicht nur die Todesdrohungen gegen Roberto Saviano und viele andere Journalisten, die die Untaten der Clans aufdeckten und nun von der Polizei geschützt werden müssen. Sondern das zeigen auch die folgenden Personen: Beppe Alfano, Carlo Casalegno, Mauro de Mauro, Cosimo Cristina, Giuseppe Fava, Mario Francese, Peppino Impastato, Mauro Rostagno, Giancarlo Siani, Giovanni Spampinato und Walter Tobagi. Sie alle wurden wegen ihrer Arbeit ermordet. Von Mafiosi. Die zahl der getöteten Belastungszeugen ist noch viel größer. Dass ein Rechtsanwalt mit einem solchen Statement einen Mafia-Kontext andeutet und sich zum Büttel von Kriminellen macht, dass ein Rechtsanwalt in einem Statement den Journalisten droht, ja nicht die Angeklagten als Mafia-Verdächtige zu bezeichnen und zugleich sagt, er schätze die Arbeit der Presse, das überfordert mein Verständnis dessen, was in einem deutschen Gerichtssaal möglich sein sollte.

Dieser Satz ist auch ein weiterer Versuch, es noch schwerer zu machen, über das Thema Mafia öffentlich zu sprechen. Das Dilemma ist einfach: Es gibt in Deutschland keinen Straftatbestand der Mafia-Zugehörigkeit. Wohl aber kann man jemanden wegen Diffamierung verklagen, der einen als Mafioso bezeichnet.

Es spielt in diesem deutschen Strafverfahren dummerweise keine Rolle, dass italienische Ermittlungen ergeben haben, dass das nach Deutschland importierte Marihuana auf Sizilien von einem Clan der Cosa Nostra produziert worden ist. Es spielt in diesem deutschen Verfahren auch keine Rolle, dass man mit Kokain im Kilogrammbereich aus Kalabrien nur handeln kann, wenn man Kontakte zur ’ndrangheta hat. Es spielt im deutschen Gerichtsverfahren wahrscheinlich auch keine Rolle, dass die Haupttäter Drogenlieferungen nach Deutschland in Sizilien und Kalabrien abstimmten und nicht, sagen wir, in Toulouse und Kopenhagen. Es spielt sicher auch keine Rolle, dass die Verwandten mancher Angeklagten als Mafiaangehörige bekannt sind. Das kann man finden wie man mag.

Dass man aber über das Thema Mafia nur noch abstrakt sprechen kann, das ist brandgefährlich. Dass platte Einschüchterungen im Mafia-Stil quasi von der Kanzel weg geäußert werden, das ist ein lautes Alarmsignal, das sollte eine Rolle spielen. Dass hier demokratische Grundwerte aufs Tiefste missachtet werden, das sollte eine Rolle spielen. Denn es geht hier doch um Werte, die wir gerade gegen Kriminelle verteidigen müssen: eine freie Presse etwa und dass ein fairer Prozess in diesem Land gewährleistet ist.

Wenn wir aber im Gerichtssaal nicht in der Lage sind, mafiöse Zeichen zu erkennen, wie soll es dann erst „draußen“ klappen.

PS: Wie wäre es denn, wenn die Angeklagten im Prozess öffentlich erklären würden, dass sie mit der Mafia nicht nur nichts zu tun haben, sondern diese Organisationen ablehnen? Oder wenn sie in ihren Restaurants mafiafreie Produkte, etwa von Libera oder der Cooperativa Goel, verkaufen würden? Oder in der Öffentlichkeit sagen, dass sie Antimafia-Organisationen wie Libera terra, Addio Pizzo und viele andere in Italien und mafianeindanke in Deutschland unterstützen? Dann wäre doch viel glaubwürdiger, dass die Angeklagten keine Mafiosi sind…

Anmerkung:
Meine geschätzte Kollegin Margherita Bettoni und ich werden diesen Mafiaverdächtigen-Prozess intensiv begleiten. Der erste Tag hat uns verdeutlicht, dass eine genaue beobachtung dieses Verfahrens dringend geboten ist. Wenn Sie uns dabei finanziell unterstützen möchten, sind wir ihnen sehr dankbar. Die Reise- und Unterkunftskosten sind beträchtlich. Wir werden in Kürze eine Finanzierungsmögichkeit bereitstellen.

Kategorie: Blog, Mafia Stichworte: Drogen, Einschüchterung, Konstanz, Mafia, Omerta, Prozess, Schweigegelübde, verfahren

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