SANDRO MATTIOLI

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Ein Krake, der lacht

16. November 2011 von S M

Der Sozialpädagoge Hartmut Gerger arbeitet im Jugendamt Stuttgart. die Kontext:Wochenzeitung hat ihn mehrere Wochen begleitet. Foto: Jo Röttgers

Stuttgart, 9.11.2011, Kontext: Wochenzeitung

Wie einen Kraken, der Kinder aus Familien reißt und ins Heim steckt, stellen sich viele das Jugendamt vor. Was die Mitarbeiter der städtischen Behörde aber wirklich machen, weiß kaum jemand. Häufig kümmern sie sich um krasse Fälle. Hartmut Gerger unterstützt Eltern, die sich überfordert fühlen. Gerger ist Sozialpädagoge und arbeitet im Stuttgarter Süden; wir haben ihm bei seiner Arbeit über die Schulter geschaut.

Hartmut Gerger lacht gern und viel. So ein Lachen verrät viel über einen Menschen. Es kann offen sein und freundlich und dazu einladen, sich näherzukommen. Es kann scharfe Zähne freilegen, kann verletzen. Es kann aufgesetzt sein, dann blicken die Augen hart, und Fröhlichkeit erstarrt zur Maske. Hartmut Gergers Lachen ist vor allem stark. Selten laut, immer vornehm, und meistens trägt es etwas Mitfühlendes in sich. Nur an diesem Abend lacht Hartmut Gerger nicht. Der Sozialpädagoge, 46 Jahre alt, Mitarbeiter im Stuttgarter Jugendamt, gibt sich der Realität geschlagen. „Nach einem Tag wie diesem möchte ich am liebsten ein Weizenbier trinken gehen“, sagt er.

Gerger sitzt an dem kleinen, runden Tisch in seinem Büro im Stuttgarter Süden. Hierher kommen Menschen, die Rat suchen oder Hilfe brauchen: Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, Mütter, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind. Manchmal haben sie Kinder dabei, die mit der Erziehung ihrer Eltern überfordert sind. Oft ist Gewalt im Spiel. [Weiterlesen…]

Kategorie: Artikel, Lieblingstexte, Reportagen Stichworte: Amt, Behörde, Erziehung, Heim, Jugendamt, Missbrauch, Stuttgart

Das wilde Tier Angst

16. November 2011 von S M

Hartmut Gerger bearbeitet viele, viele Fälle parallel. Foto: Jo Röttgers. www.graffiti-foto.de

Stuttgart, 16.11.2011, Kontext: Wochenzeitung

Wer für das Jugendamt arbeitet, muss belastbar sein: Viele Menschen laden Ballast und Sorgen dort ab, dazu kommt die Angst, irgendetwas zu übersehen, irgendetwas falsch zu machen, mit der Folge, dass Kinder zu Schaden kommen. Das Amt tut zwar sehr viel, um dies zu verhindern. Doch die Sorge, dass doch einem Kind unter ihrer Zuständigkeit etwas angetan werden könnte, treibt die Mitarbeiter um. Teil zwei.

Wer für das Jugendamt arbeitet, muss belastbar sein: Viele Menschen laden Ballast und Sorgen dort ab, dazu kommt die Angst, irgendetwas zu übersehen, irgendetwas falsch zu machen, mit der Folge, dass Kinder zu Schaden kommen. Das Amt tut zwar sehr viel, dies zu verhindern. Doch die Sorge, dass doch einem Kind unter ihrer Zuständigkeit etwas angetan werden könnte, treibt die Mitarbeiter um.

Man kann Supervisionen machen, Besprechungen in der Gruppe, Besprechungen mit externen Experten, Vermerke schreiben, Vorgesetzte einschalten. Man kann die Papiere wieder und wieder lesen, noch einmal über den Fall schlafen oder hoffen oder beten. Aber eines kann man nicht: das wilde Tier Angst zähmen. Manchmal schläft es ruhig irgendwo im Hinterkopf, manchmal kratzt es leicht mit seiner Pranke an der Gehirnrinde, um zu sagen, ich bin auch noch da, vergiss mich nicht. Manchmal tobt es, ohne Gnade und unbeherrscht. Da ist es jedenfalls immer. Im Schnitt hält ein Kollege pro Jahr den Druck nicht mehr aus und gibt auf, sagt Johannes Schmitt-Althaus, bittet um Versetzung, will nicht mehr für das Jugendamt arbeiten. Schmitt-Althaus muss es wissen: Er ist zusammen mit einer Kollegin bei der Stuttgarter Stadtverwaltung für die 200 Mitarbeiter in den Beratungszentren zuständig.

Auch Hartmut Gerger kennt diese Angst. Es ist nicht so, dass sich der Sozialpädagoge ständig vor Augen führt, wie es wäre, plötzlich für die Misshandlung eines Kindes oder gar dessen Tod verantwortlich gemacht zu werden. Aber es ist eben auch nicht so, dass er es nicht tut. Das wilde Tier Angst, es schleicht zuweilen um jeden Mitarbeiter des Beratungszentrums Süd herum. Wenn Gerger erzählt, merkt man, dass er sich dessen stärker bewusst ist, als es ihm lieb ist. [Weiterlesen…]

Kategorie: Artikel, Lieblingstexte, Reportagen Stichworte: beratung, Erziehungsberatung, Erziehungshilfe, Jugendamt, Jugendbehörde, Missbrauch, Sozialarbeiter, Sozialpädagoge, Stuttgart, Süden, Vernachlässigung, verwahrlosung

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