Die Luft flirrt in der Hitze über der großen Betonfläche vor der Halle, ein Kühllastwagen parkt an ihrem Rand. An seinem Heck leuchtet das Emblem des Roten Kreuzes. Hier sind sie drin. Ab und an bläst der Wind einen Fetzen Gestank herüber, vergleichbar dem von Kuhdung, nur süßer. Es ist der Geruch des Todes. Seit Kurzem werden hinter den Mauern dieser Halle massenweise Leichen gewaschen, geröntgt, begutachtet, die persönlichen Dinge und alles, was die Menschen bei sich trugen, erfasst und dokumentiert. Werden Tätowierungen, Narben und Knochenbrüche gesucht, Gebisse fotografiert und Kleidungsstücke und Schmuck aufgenommen. Gerichtsmediziner aus ganz Italien beteiligen sich an dem Projekt. Kühllastwagen wie dieser bringen die Toten.
Hier, umgeben von Zäunen und Mauern und im Schutz von hochbewaffneten Soldaten, auf einer Nato-Basis an der sizilianischen Ostküste nahe der kleinen Stadt Melilli, hier will Italien Europa aufrütteln. In einer Halle, die erdbraun ist wie die von der Sonne verbrannten Flächen drum herum, erdbraun wie die Verwaltungsgebäude nebenan, erdbraun wie die Tarnuniformen der Soldaten, die hier Dienst tun.
Der Weg zu dieser Halle ist mit Gittern abgegrenzt. Attenzione, area riservata, warnen daran angebrachte Schilder, sich nähern untersagt. In gleich vier Sprachen verbieten sie das Aufnehmen von Fotos. Kaum einmal schimmert das Blau des Meeres irgendwo zwischen den Gebäuden durch.
Es ist der Versuch, systematisch so genannte post-mortem-Daten zu sammeln, also Informationen, die helfen können, diese Toten zu identifizieren. [Weiterlesen…]