Blätter für internationale Politik, 01.07.2016
Jüngst erzählte der Generalstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato, in einem Vortrag von seinem ersten Arbeitstag in der Staatsanwaltschaft. Ein erfahrener Kollege habe ihn damals, im Jahr 1991, zu einer Stadtrundfahrt in seinem Wagen eingeladen, erinnerte sich Scarpinato. Er erwartete, die Sehenswürdigkeiten seiner neuen Wirkungsstätte Palermo vorgeführt zu bekommen. Doch der Kollege steuerte als erstes eine unauffällige Straße an, stoppte den Wagen und sagte: „Hier starb am 3. April 1982 der Carabinieri-General Carlo Alberto Dalla Chiesa, zusammen mit seiner Frau und seinem Leibwächter.“ Als nächstes hielten sie an der Stelle, wo der sizilianische Regionalpräsident ermordet worden war. Und sie fuhren weiter, von einer Straße zur anderen, von Mordschauplatz zu Mordschauplatz, von einem Tatort zum nächsten, einen ganzen Tag lang. Überall hatte die Mafia unschuldige Menschen hingerichtet: Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Politiker, die sich den Verbrechern in den Weg gestellt hatten. In den folgenden Jahrzehnten kamen noch viele Orte hinzu, die man besuchen könnte. Viele hundert Tote hat die Mafia in Italien heute auf dem Gewissen.
In Deutschland gibt es glücklicherweise nicht so viele Tatorte wie in Sizilien und im übrigen Italien, und sie sind weniger bekannt. So begrüßenswert das ist, führt es doch auch in die Irre, und das in mehrfacher Hinsicht: Denn es finden sich durchaus einige Lokale, Unternehmen, Straßen, Plätze oder Privathäuser, wo die italienische Mafia gemordet hat. Zu trauriger Berühmtheit brachte es beispielsweise das Restaurant „Da Bruno“ in Duisburg-Neudorf, wo in der Nacht zum 15. August 2007 sechs Menschen im Kugelhagel eines gegnerischen ’Ndrangheta-Clans auf dem Asphalt vor dem Eingang ihr Leben ließen. In dem Restaurant fand zuvor die rituelle Feier statt, mit der ein 18jähriger Mann in die ’Ndrangheta, die kalabrische Mafiaorganisation, aufgenommen werden sollte. Auch er wurde von den Schüssen dahingerafft. Die Mieter des Lokals haben in der Zwischenzeit mehrfach gewechselt, und der damalige Inhaber ist nach Thüringen weitergezogen.
Die weniger bekannten Mafiatatorte sind über ganz Deutschland verteilt. Doch ihre genaue Zahl kennt niemand, es gibt keine offizielle Statistik. Die Toten der Mafia sind in Deutschland vergessen. Daher wird die Tatsache verdrängt, dass die Mafia auch in der Bundesrepublik unbeteiligte Menschen ermordet hat – und nicht nur Rivalen wie damals in Duisburg. Auf Nachfrage bei den Landeskriminalämtern erhält man zumeist keine Antwort oder allenfalls die Information, dass keine diesbezüglichen Aufzeichnungen existieren. Keiner der Tatorte in Deutschland hat es zu einem Topos der kollektiven Erinnerung gebracht. Das „Da Bruno“ war hierzulande der einzige Ort, der an die Präsenz der Mafia gemahnte. Aber auch er ist von der Bildfläche verschwunden – ein deutscher Staatsanwalt wüsste deshalb kaum, wohin er seinen jungen Kollegen führen könnte.
Das Fehlen konkreter Erinnerungsorte verweist auf ein größeres Problem: Es mangelt in Deutschland auch an einem der Realität entsprechenden Bild von der italienischen Mafia. Noch immer dominieren Vorstellungen, in denen die Mafiaclans als eine Art Folklore-Gangster erscheinen, als die klischeehaften Männer in eleganten schwarzen Anzügen, die sich die Hand küssen lassen. Es gibt Restaurants, die „Cosa Nostra“ oder „il Padrino“ (Der Pate) heißen, oder den „Mafia Pizza Express“. Italienische Kriminelle und Verbrecherorganisationen als Namensgeber sorgen anscheinend nicht für Aufregung, sondern für Belustigung. Zugleich tut sich die Polizei schwer damit, das Treiben der Clans zu beobachten, und die Mafia versteht sich auf ein Agieren im Verborgenen. Den Autoren ist noch gut in Erinnerung, wie eine hochrangige deutsche Ermittlerin aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) frank und frei zugab, sie wisse im Grunde gar nicht, was die „Italiener“ in ihrer Stadt täten. Andere Ermittler berichten, dass sie trotz intensiver Abhörmaßnahmen keine Hinweise auf Straftaten gewonnen hätten. Wenn schon die Polizei nicht Bescheid weiß, wer dann? Von jungen Italienern, die in Lokalen bekannter Mafiosi gearbeitet haben, erfuhren wir, dass sie vom ersten Tag an angemeldet und krankenversichert waren, alles den Regeln entsprechend. Sind die Mafiosi nun also Musterbürger geworden?
Sicher nicht. Das Problem liegt vielmehr in der fehlenden Aufmerksamkeit gegenüber der italienischen Mafia. Weder in der Öffentlichkeit noch beim Gesetzgeber und auch nicht bei den Ermittlungsbehörden steht sie ausreichend im Fokus. Die Polizei hat kaum Einblicke in deren Tun. Das hat Folgen: Die Bundesrepublik gilt den Clans heute als Geldwäscheparadies. Die Gründe für diese mangelnde Wachsamkeit sind mannigfaltig.
Nie nur ein Rückzugsraum
Zunächst einmal bleibt festzuhalten: Deutschland war nie nur ein Rückzugsraum der Mafia, wie dies jahrelang offiziell behauptet wurde. Rückzugsraum ist ein Wort, das die Menschen in Sicherheit wiegen soll, und es doch nicht vermag. Es erweckt den Eindruck, als verrichteten die Mafiosi anderswo ihr gefährliches kriminelles Werk und zögen sich nur ab und an zur Erholung hierher zurück – Kriminelle im Entspannungsurlaub. Dieses Bild trügt, denn schon lange haben die italienischen Mafiaorganisationen die Vorzüge Deutschlands für sich und ihr kriminelles Tun entdeckt. Und schon lange gefährdeten sie damit die öffentliche Ordnung, die korrekt arbeitende Wirtschaft, kurzum: die demokratische Gesellschaft.
Mit dem ersten Gastarbeiterzuzug in Folge der Anwerbeverträge von 1955 kamen viele, vor allem junge Männer in die Bundesrepublik. Die meisten von ihnen stammten aus dem armen Süditalien, dem Stammland der mafiösen Organisationen. Oft genug wanderten sie gruppenweise aus einem einzelnen Ort ein und blieben zusammen. Auch wenn der Großteil von ihnen rechtschaffene Leute waren, sorgte dies dafür, dass die in der Heimat aufgebauten Mafiastrukturen und -kontinuitäten hierzulande nicht durchbrochen wurden. Die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft jedoch war auf ein Phänomen wie die Mafia überhaupt nicht vorbereitet. Sie besaß kein Wissen über diese Organisation, selbst über Italien und seine Kultur war wenig bekannt. Schon das Essen musste den Deutschen erst noch nahegebracht werden, die Pizza etwa galt hier anfangs noch als „Tomatenkuchen“. Diesen Umstand wusste sich die Mafia zunutze zu machen. Schon früh siedelten sich die bis heute wichtigsten Mafiaorganisationen in der Bundesrepublik an: die Cosa Nostra aus Sizilien, die ’Ndrangheta aus Kalabrien und die Camorra aus Neapel. Mit dem Aufkommen und späteren Boom italienischer Restaurants konnten sie rasch ein in ihrer Heimat bewährtes Geschäftsfeld auch in Deutschland etablieren: das Erpressen von Schutzgeld.
Doch schon bald sollten weitere Geschäftsfelder hinzukommen. Denn zu den charakteristischen Merkmalen der Mafiagruppen gehört, dass sie wirtschaftliche Entwicklungen für sich nutzen und sich rasch neue Verdienstmöglichkeiten, legale wie illegale, erschließen. Dazu zählten schon Ende der 1950er Jahre klassische kriminelle Aktivitäten wie Waffen- und Drogenhandel, jede Art von Schmuggel sowie Zuhälterei. Aber auch in legalen Geschäftsfeldern machte sich die Mafia breit, etwa in Restaurants und der Hotellerie, im Baugewerbe und im Handel.
In den 1970er Jahren setzten verschiedene Mafiagruppen in Italien auf Entführungen – eine Praxis, die rund zwanzig Jahre anhielt und vor allem der Anschubfinanzierung von Drogengeschäften diente, bis neue Drogendeals aus den Erlösen vergangener Geschäfte vorfinanziert werden konnten. Nur wenige Geschäftszweige werfen solch üppige Renditen ab wie der Drogenhandel. Mit den so erzielten Gewinnen brachen paradiesische Zeiten für die Banden an. Sie konnten nun nach Herzenslust investieren, immer im Sinne der Absicherung ihrer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht.
Damit waren sie finanziell gut gerüstet für die lukrativen Investitionen, die sich nach der Wende vor allem in Deutschland boten: Seinerzeit hörte die italienische Antimafia-Staatsanwaltschaft Gespräche zwischen hochrangigen Mafiosi und ihren Vertretern in Berlin ab: „Was sollen wir kaufen?“, fragte der Berliner. „Kauf alles, was du kaufen kannst“, lautete die Order aus Kalabrien. Heute wissen wir, dass diese Anweisung vielerorts befolgt wurde. Vor allem in den neuen Bundesländern fanden die Clans zahlreiche attraktive Objekte, zum Teil in besten innerstädtischen Lagen. Und dabei stießen sie auf Sicherheitsbehörden, die das Wort „Mafia“ praktisch nicht kannten. Seitdem haben sich die Clans in Deutschland eingekauft und besitzen Hotels, Restaurants, Immobilien und Unternehmen. Das deutsche Gesetzessystem jedoch ist auf die intelligent agierenden kriminellen Gruppen noch immer nicht vorbereitet. Dass mafiöse Gruppen in kürzester Zeit lukrative Entwicklungen erkennen und davon profitieren, zeigen deren Investitionen in erneuerbare Energien, wie sie etwa in Isola di Capo Rizzuto erfolgten. Dort, im tiefen Süden Kalabriens, hat der Arena-Clan seinen Sitz. Er ließ einen Windpark bauen, der von der HSH Nordbank finanziert wurde, also von einer landeseigenen Bank, die noch immer mit Steuergeldern unterstützt wird. Vertreter der Arena-Familie führten hohe Bankmanager über das Gelände, andere deutsche Unternehmen besorgten Planung, Bau und Management der Anlage.
Ein Hauptproblem: Unkontrollierte Finanzströme
Damit stellt sich eine weitere Frage: Inwiefern profitieren die Clans auch von kriminalitätsbegünstigenden Strukturen bei bedeutenden Banken und anderen Akteuren des Finanzwesens? Seit Jahren weist etwa Wolfgang Hetzer von der europäischen Antibetrugsbehörde Olaf auf die Relevanz von Banken und Finanzwesen für kriminelle Geschäfte hin. Jüngst haben die Panama Papers gezeigt, dass globale Finanzkonstrukte für Ermittlungsbehörden einer gigantischen Black Box gleichkommen, dabei aber für die Organisierte Kriminalität von höchstem Interesse sind. Akteure werden auf diese Weise unsichtbar, die Quellen von Geldern ebenso; globale Finanzströme sind de facto unkontrolliert. Dies ist ein Armutszeugnis angesichts der alljährlichen Milliardengewinne, die beispielsweise die ‘Ndrangheta aus dem Kokainhandel zieht. Wenn Mafiagelder zum Beispiel über mehrere Stationen in einen geschlossenen Fonds in Luxemburg fließen, der dann in Hamburg ganze Häuserzeilen mit Büros kauft, lässt sich dies nur bei sehr gezielten Hinweisen aus Italien nachvollziehen, und selbst dann kann die Konstruktion nur in vielmonatiger Kleinarbeit aufgedröselt werden. Dass die italienischen Mafiaclans über das entsprechende Know-how für solche Operationen verfügen, offenbarten langwierige Finanzermittlungen der italienischen Sicherheitskräfte, etwa zu einem Geldwäscheprojekt unter Mitwirkung zweier Telekommunikationsunternehmen. Dabei sind Gelder in Höhe von nicht weniger als zwei Mrd. Euro gewaschen worden.
Demgegenüber mutet die polizeiliche Antimafiaarbeit in Deutschland mit ihren stark reduzierten Mitteln und Möglichkeiten wie ein Anachronismus an. Noch immer funktioniert die Zusammenarbeit mit italienischen Behörden hauptsächlich über persönliche Kontakte. Über die Aktivität oder gar die Erfolge einer nach den Duisburg-Morden vereinbarten deutsch-italienischen Taskforce ist nie etwas zu vernehmen gewesen. Die Polizeiarbeit bleibt unterfinanziert: Komplexe Ermittlungen, die auf die Strukturen von kriminellen Gruppierungen zielen, sind teuer und werden daher oft durch deliktbezogene Ermittlungsverfahren ersetzt; doch mit diesen wird man die Mafia nicht bezwingen. Auch die europäische Einheit steckt hier noch in den Kinderschuhen: Für Gangster gibt es keine Grenzen, für Ermittler schon. Eine europäische Staatsanwaltschaft ist noch immer nicht in Sicht. Und Italiener, die als Mafiaangehörige in Italien von Strafe bedroht sind, haben in der Schweiz wie in Deutschland von den einheimischen Ermittlern nichts zu befürchten.
Hierzulande gibt es keine systematische Anti-OK-Politik. Stattdessen sorgen immer wieder einzelne Ereignisse für kurzzeitigen Aktionismus – wie der sechsfache Mord von Duisburg oder ein Autobombenanschlag in Berlin im März 2016 auf einen Kokainhändler. Eklatante Ereignisse wie diese haben aus Sicht der Kriminellen immer auch ein demonstratives Moment: Seht her, wir sind so mächtig, dass wir zu solch einer aufsehenerregenden Tat in der Lage sind.
Nach dem jüngsten Anschlag erklärten Experten, die Organisierte Kriminalität ließe sich am besten bekämpfen, wenn man ihre ökonomische Macht angreift. Schon die beiden – später von der Mafia ermordeten – italienischen Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino hatten das Credo ausgegeben, die Macht der Mafia zu schmälern, indem man ihr die Früchte ihrer kriminellen Arbeit nimmt. Doch in Deutschland wurde diese Anregung der beiden erfolgreichen Antimafiastrategen nie ernsthaft umgesetzt.
Kaum Mittel gegen Geldwäsche
Dabei ist zuweilen sogar deutlich sichtbar, dass kriminelle Verbände immer reicher werden. In Berlin etwa wächst die Zahl von aufgemotzten Luxuskarossen auffällig. Am Steuer sitzen oft junge Männer, die die 150 000 Euro für den Kauf solcher Wagen wohl nicht alle mit ehrlicher Arbeit verdient haben können. Solange die Kriminellen aber nur teure Gegenstände unrechtmäßig – mit aus Straftaten stammenden Geldern – erwerben und nicht mit kriminellen Taten Aufsehen erregen, wirken sie auf die Bürgerinnen und Bürger nicht allzu gefährlich. Gerade Kriminelle, die in Deutschland gewaschene Gelder investieren, werden nur selten als Straftäter wahrgenommen.
Mit der Geldwäsche wird illegalen Profiten ein Anstrich von Legitimität verliehen. Sie ist eine typische Aktivität der Mafia, aber auch darüber hinaus weit verbreitet. Reiche Individuen und große Konzerne, die Steuern vermeiden wollen oder in Korruption verwickelt sind, verbergen so ihre Profite. Die Methoden der Organisierten Kriminalität und des Privatsektors gleichen sich dabei oft. Die Schätzungen über das Ausmaß der Geldwäsche in Deutschland bewegten sich zuletzt zwischen 29 und 57 Mrd. Euro jährlich. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) gingen im Jahr 2009 zwischen 1,2 und 1,6 Prozent des deutschen Bruttoinlandprodukts auf Geldwäsche zurück. Eine aktuelle Dunkelfeldstudie der Universität Halle kommt zu dem Schluss, dass es in Deutschland außerhalb des Finanzsektors jährlich mindestens 15 000 bis 28 000 Verdachtsfälle mit einem Umfang von mindestens 20 bis 30 Mrd. Euro gibt. Das Gesamtvolumen der Geldwäsche im Finanz- und Nicht-Finanzsektor dürfte sich in der Bundesrepublik daher in Höhe von über 100 Mrd. Euro jährlich bewegen, dies entspricht auch einer Schätzung des von der EU-Kommission finanzierten Projekts ECOLEF. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt für das Jahr 2016 umfasst Ausgaben in Höhe von insgesamt 316,9 Mrd. Euro.
Begünstigt wird Deutschlands Rolle als Geldwäschezentrum auch durch den hohen Bargeldumlauf, durch seine Größe als Finanzplatz – und vor allem durch unzureichende Gesetze, so eine Untersuchung des IWF und der Financial Action Task Force on Money Laundering von 2010. Demnach ist der Tatbestand der Geldwäsche in Deutschland gesetzlich derart schlecht definiert, dass er kaum zur Bekämpfung von Organisierter Kriminalität oder schwerer Wirtschaftskriminalität taugt. Der Geldwäscheparagraph wird in der Praxis oft für fahrlässige Formen von Geldwäsche angewendet, also typischerweise, wenn jemand sein Bankkonto einer dritten Person für Transaktionen zur Verfügung stellt, um so die Identität der eigentlichen Nutznießer zu verschleiern. Die im Hintergrund tätigen Organisatoren werden dabei häufig gar nicht erkannt. Kaum angewandt wird das Gesetz jedoch bei schwerwiegenderen Fällen unter Beteiligung großer Konzerne oder mächtiger krimineller Strukturen. Wenn etwa eine Verdachtsmeldung aus dem Privatsektor vorliegt, erhält die Staatsanwaltschaft zwar Zugang zu Informationen, über die sie sonst nicht verfügen könnte, beispielsweise von Kreditinstituten. Doch ist es ihr oft unmöglich, anderweitig zu ermitteln und die kriminellen Netzwerke hinter den Verdächtigen aufzudecken. Denn der Paragraph ist zu unklar gefasst, weshalb es schwierig ist, die Tatbestandsmerkmale vor Gericht nachzuweisen. Hilfreich wäre daher eine klarere Formulierung des Paragraphen und die Einführung der Beweislastumkehr, wie es sie schon in Italien gibt. Zudem bietet gerade der Finanzsektor immense Möglichkeiten, die Identität dieser Akteure zu verbergen, etwa durch Schein-, Schatten- und Briefkastenfirmen oder Strohmänner – nicht zuletzt mit Sitz in Panama.
Zudem verursacht die präventive Regulierung der Geldwäsche einen „Spill-Over-Effekt“: Die Mafiosi verlagern ihre Geschäfte in den am wenigsten regulierten Bereich. So stieg in den letzten Jahren zwar die Zahl der Verdachtsmeldungen im Finanzsektor. Die Immobilienbranche bleibt allerdings weitgehend außen vor, weil Makler verdächtige Transaktionen nur äußerst widerwillig melden. Die Branche ist für solche Praktiken noch zu wenig sensibilisiert, ermittelte jüngst eine Studie des Bundeskriminalamts zur Geldwäsche im deutschen Immobiliensektor. Während große Unternehmen und Banken an ihren Ruf denken, sorgen sich kleine und mittlere Unternehmen eher darum, ihre Kunden zu verlieren.
Angebot und Anfrage
Doch die Mafia wechselt nicht nur zur jeweils günstigsten Branche, sondern auch zwischen einzelnen Ländern. Geldwäsche ist ein globalisiertes Geschäft. Verschärft eine Regierung die Gesetzgebung, verlagert sich die kriminelle Aktivität in ein weniger reguliertes Land oder gleich ins Internet. Sehr oft werden für die Bekämpfung der Geldwäsche daher Rechtshilfe von anderen Staaten oder Informationen von ausländischen Finanzinstituten benötigt. Jedoch haben Länder, deren Bruttoinlandsprodukt nicht zuletzt auf illegalen Finanzströmen beruht, kaum ein Interesse, solche Zuflüsse zu verhindern. Das Problem liegt längst nicht nur bei Ländern wie Panama, die Geheimhaltung und Intransparenz bieten und im globalen Steuersenkungswettlauf engagiert sind. Wo es ein Angebot gibt, gibt es auch eine Anfrage.
Eine weitere Schwierigkeit bei der Strafverfolgung ergibt sich daraus, dass der riesige Präventionsapparat ständig gepflegt und auf den neuesten Stand gebracht werden muss. Das führt zu Belastungen für den Privatsektor in Gestalt von sogenannten Compliance-Kosten und für die Strafverfolger, die mehr Verdachtsmeldungen bearbeiten müssen. Diese Kosten werden an die Bürger weitergereicht, die zudem mit einer eingeschränkten Privatsphäre leben müssen. Und während die Regierungen sich immer neue Regelungen ausdenken, um mit den Geldwäschern Schritt zu halten, drohen schon jetzt die Kosten den Nutzen zu übersteigen. Denn idealerweise müsste der Staat die Gewinne aus kriminellen Aktivitäten weitgehend abschöpfen, damit sich diese nicht mehr lohnen würden. Doch leider ist die Realität weit davon entfernt: Oft wird sogar ganz auf das Abschöpfen von kriminell zustande gekommenem Vermögen verzichtet. Das geltende Recht zur Vermögensabschöpfung ist zudem ungerecht, da die Regeln zu komplex und „mit zahlreichen rechtlichen Zweifelsfragen belastet“ sind. Im Zweifel trifft es kleine Fische, während die Milliardengewinne großer Verbände unangetastet bleiben.
Einige Vorschläge für erforderliche Reformen liegen bereits auf dem Tisch. So hat das Bundesjustizministerium im Frühling dieses Jahres einen Gesetzentwurf „zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung“ erlassen, der wirksamere Maßnahmen ermöglichen und die europäische Richtlinie 2014/42/EU in innerstaatliches Recht umsetzen soll. Das Reformvorhaben ermöglicht bei Terrorismus und Organisierter Kriminalität die Beweislastumkehr, ein rechtliches Instrument, mit dem aus Straftaten herrührendes Vermögen unklarer Herkunft unabhängig vom Nachweis einer konkreten Straftat eingezogen werden kann: Nicht die Staatsanwaltschaft muss die illegale Herkunft, sondern die Angeklagten müssen die legale Herkunft nachweisen.
Nach dem Skandal um die Panama Papers haben Justiz- und Finanzministerium nun weitere Vorschläge gemacht, die ein faires internationales Steuersystem und ein effektives Vorgehen gegen Geldwäsche ermöglichen sollen, beispielsweise durch die Einführung einer Transparenzpflicht, eines weltweiten Registers der wirtschaftlich Berechtigten von Firmen, eines automatischen Informationsaustauschs, die Verschärfung von Verwaltungssanktionen für Unternehmen und die verstärkte Bekämpfung der Geldwäsche. Allerdings seien diese Vorschläge nicht effektiv oder kaum umsetzbar, kritisiert das Netzwerk Steuergerechtigkeit, teilweise handele es sich einfach um „heiße Luft“.
Der Preis des Leugnens
Diese wenig gehaltvolle Reaktion auf die Panama Papers führt aber noch einen weiteren Mechanismus vor Augen: In der Politik – das ist in Deutschland nicht anders als in Italien – werden nur Maßnahmen gegen jene Missstände ergriffen, deren Auswirkungen deutlich sichtbar sind. Die gesellschaftlichen Schäden durch die Mafia aber zeigen sich oft nur indirekt. Dazu gehören die Kosten, die bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität entstehen und die aus Steuergeldern bezahlt werden, aber auch die Umweltschäden nach verantwortungslosen Geschäften, überdies die Ausbeutung von Arbeitskräften oder die Zerstörung des fairen Wettbewerbs durch jene Unternehmen, die sich des Kapitals aus illegaler Herkunft bedienen können.
Ein beredtes Beispiel für zögerliches staatliches Handeln gibt Norditalien ab. Lange Zeit wurde dort die Präsenz der ‘Ndrangheta geleugnet, entsprechende Hinweise wurden abgetan und nicht ernst genommen. Heute ist diese Mafiaorganisation in der Lombardei stark verankert. In manchen Geschäftszweigen wie den Erdbewegungen haben sich Unternehmen festgesetzt, die den Clans gehören. Ein frühzeitiges entschiedenes Vorgehen hätte dies verhindern können. Dies aber setzt Menschen voraus, die für das Problem sensibilisiert sind und wirksame Mittel der Strafverfolgung sowie der Prävention an der Hand haben. Das Beispiel Norditaliens sollte Deutschland daher eine Mahnung sein. Denn auch hierzulande findet die Organisierte Kriminalität inzwischen erstaunlich viele Möglichkeiten, sich wirtschaftlich zu betätigen, ohne wahrgenommen oder gar behelligt zu werden. Geldwäsche, beispielsweise in den unzähligen Automaten-Spielcasinos, wird de facto staatlich toleriert – und trägt dank steuerlicher Abgaben auch noch zum Finanzaufkommen der Bundesrepublik bei.
Es ist daher allerhöchste Zeit, dass die Bekämpfung von Mafiastrukturen auf ein breiteres politisches Interesse stößt. Sie muss eine dauerhafte Aufgabe der deutschen Sicherheitspolitik werden. Fensterreden nach einzelnen spektakulären Ereignissen nützen jedenfalls wenig.
(Geschrieben gemeinsam mit Dr. Verena Zoppei, Stiftung für Wissenschaft und Politik)