Als in der Nacht vom 8. zum 9. Januar die Türen in Hessen und Baden-Württemberg den Rammböcken der Polizei nachgaben und krachend splitterten, als elf mutmaßliche Mafiosi aus dem Schlaf gerissen wurden, als zeitgleich Mario L. in Kalabrien verstand, warum er in eine Straßenkontrolle geraten war und so lange auf dem Polizeirevier festgehalten wurde, ohne zu erfahren warum, als die Polizei 159 weitere Mafia-Verdächtige eingesammelt und festgenommen hatte, da nahm eine Großoperation ihren Lauf, der ein erwartbares Schicksal beschieden sein dürfte.
Zunächst finden solche Massenfestnahmen große Resonanz in den Medien. Alle sprechen vom wichtigsten Schlag gegen die ’ndrangheta seit XX Jahren und man glaubt, völlig unerwartet, schlagartig, überraschend sei die Mafia in Deutschland entdeckt worden. Natürlich findet sich auch die übliche Berichterstattung, die bar jeden Hintergrundwissens Dinge in die Welt hinausposaunt und nicht zwischen Clans und Organisation unterscheiden kann. Geschenkt. Es werden dann die üblichen Fragen gestellt: Was macht die Mafia in Deutschland? Wo sind die Mafiosi in Deutschland ansässig? Ist das gefährlich? Was bedeutet dieser Schlag?
Es sind wichtige Fragen, zweifelsohne. Aber es ist leider nur ein kleiner Teil der Fragen, die beantwortet werden müssten. Und es sind Fragen, die zeigen, wie wenig nachhaltig das Vorgehen gegen die Mafia außerhalb Italiens und damit auch in Deutschland ist.
Normalerweise hält diese Beachtung eine, vielleicht zwei Wochen an, dann versinkt das Thema Mafia wieder in der Nichtbeachtung. Ohne, dass Strukturen ausgeleuchtet würden. Ohne, dass Namen genannt würden. Ohne, dass langfristig die deutsche Politik- und Wirtschaftsordnung gefährdende Schwächen im Strafverfolgungsregime in der Bundesrepublik benannt würden. Ohne, dass vorhandene Verflechtungen zwischen Mafia und Politik oder zwischen Mafia und Wirtschaft dargestellt würden. Dann geht alles weiter wie zuvor. Bis zum nächsten „Schlag gegen die Mafia“.
Insofern ist jede Maxi-Operation immer auch etwas frustrierend für Journalisten wie mich, die sich mit dem Thema seit Langem befassen: man hofft immer, dass Deutschland nun doch erwachen möge, doch man hofft vergebens. Deutschland verfällt immer und immer wieder in den Dämmer und die Mafia kann weiter munter hierzulande investieren. Zugleich wird ein Gutteil der Festgenommenen wieder freigelassen, weil man ihnen doch nichts nachweisen kann oder weil die deutsche Justiz den Italienern einen Strich durch die Rechnung macht. Oder oder oder. Justizinstitutionen können extrem widerspenstig sein, wenn es um die deutsch-italienische Kooperation geht.
(Wie sehr das Thema Mafia unterschätzt wird, zeigt sich übrigens auch in dem unwürdigen Angebot einer großen überregionalen Zeitung, die eine Exklusivgeschichte von mir unter Bedingungen annehmen wollte: der Name des lokalen Korrespondenten müsse ebenfalls über der Geschichte stehen und man bezahle 250 Euro. Thema der Recherche: wie eine deutsche Staatsanwaltschaft systematisch Mafia-Ermittlungen hintertreibt und Ermittlungen unterlässt, obwohl ein gravierender Vorwurf gegen einen mutmaßlichen Mafioso, basierend auf einer qualifizierten Quelle, im Raum stand. Klar, dass es dann gefährlich wird, nehme ich auch noch gerne gratis in Kauf.)
Für den Stern war ich nun gemeinsam mit dem lieben Kollegen Norbert Höfler unterwegs, um das Wirken des Farao-Clans in Deutschland nachzuzeichnen, also der Gruppierung, die am 8. Januar durch eine von Italien aus gegen Widerstände vorangetriebene Polizeioperation geschwächt worden ist. Heute, am 28.3., erscheint das Heft mit unserer Reportage. Um ehrlich zu sein, als wir uns auf einen Zuschnitt der Geschichte einigten, war ich nicht ganz zufrieden. Ich hielt es für nicht allzu spannend, sich entlang den Orten zu bewegen, die wir aus den italienischen Ermittlungsunterlagen kannten. Ich lag kräftig daneben. Denn dieses Setting verschaffte mir Einsichten, die ich so nicht nur nicht erwartet hätte. Nein, sie haben mich geradezu schockiert.
Ich war für Recherchen im Mafia-Milieu schon an vielen Orten unterwegs. In Kalabrien, Sizilien und Neapel natürlich, aber auch im Allgäu, in Stuttgart, Ludwigshafen, Pforzheim und in Frankfurt etwa. Ich war aber noch nie in Melsungen, Borken, Fritzlar, Waldorfhäslach oder Kerstenhausen. Vor allem die Verhältnisse in der hessischen Provinz waren erschreckend: die Verhältnisse dort erinnerten mich sehr an tiefstes Kalabrien.
Dass Deutsche in blinder Zuneigung zum sympathischen Dolce-Vita-Italiener gerne auch mal die Mafia-Verdächtigkeit einiger ausblenden, war mir natürlich bekannt. Was insofern dennoch bitter ist, wie es eines der strukturellen Merkmale in Deutschland ist, die der Mafia das Leben leicht macht. Aber was ich nicht erwartet hätte, ist dass die Mafia inzwischen in manchen Gegenden eine Kontrolle über das Territorium erlangt hat, die ich so nur von Kalabrien kenne. Da werden Eindringlinge von außen wie eben wir Journalisten sofort unter Beobachtung genommen. Da wird ganz entspannt mit freundlichem Ton gedroht – nicht nur uns gegenüber, auch gegenüber anderen Kollegen und Kolleginnen fielen dieselben Worte. Da werden deutsche Unternehmer mit dem Tod bedroht. Da tut die Polizei im ländlichen Raum nichts oder bekommt nichts mit, was im Endeffekt genauso schlimm ist. Wohlgemerkt handelt es sich bei den Mafia-Verdächtigen nicht um Zugereiste, die erst seit Kurzem vor Ort sind. Nein, es sind Geschäftsleute, die bereits vor vielen Jahren auffällig wurden in unterschiedlichen kriminellen Kontexten, die schon vom BKA als Mafiaverdächtige in Berichten geführt wurden, Leute, die nichts zu befürchten hätten, wenn nicht italienische Ermittler deutsche Sicherheitskräfte zum Jagen tragen würden. Da gerät die Polizei nach Festnahmen in Misskredit, weil sie dem ach so netten Gastwirt nachstellt. Der Gipfel der Ignoranz war, dass eine Frau eine (von den Polizeimaßnahmen nicht betroffene) Wirtin beschuldigte, auf dem Rücken der Konkurrenz Werbung für sich zu machen. Was war geschehen? Bei der betroffenen Wirtin waren Anfragen angegangen, ob sie etwas mit den Mafia-Festnahmen zu tun hatten. Daraufhin distanzierte sich die italienische Wirtin auf ihrer Facebook-Seite von der Mafia. Prompt wurde ihr dies zum Nachteil ausgelegt, der Mafia-Gastwirt dagegen in Schutz genommen. Ich weiß, es klingt dramatisch, aber wenn die Gefährlichkeit der Mafia nicht erkannt wird und mutmaßlich Kriminelle von ehrlichen Bürgern verteidigt werden, dann geht es meiner Meinung nach um die Grundfesten unseres demokratischen Zusammenlebens.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Waiblinger Kreiszeitung lobend zu erwähnen, die als doch eher kleineres Medium derzeit in einer mehrteiligen Serie über die ’ndrangheta vor Ort aufklärt.
Ich weiß, dass auch dieser Blogeintrag nichts bringen wird. Aber wenn wir dann in zehn, zwanzig Jahren norditalienische Verhältnisse haben, wo man auch lange glaubte, die Mafia sei ein Problem Süditaliens und wo heute Gemeinderäte wegen Mafia-Infiltrationen aufgelöst werden müssen und manche Geschäftsbereiche nicht mehr von kriminellen Vertretern zu reinigen sind, wenn es also auch in Deutschland so weit gekommen sein wird – und es zeichnet sich ab, das dass passieren kann – dann werde ich wenigstens in den Spiegel sehen können.
Dies ist zwar ein schwacher Trost, aber irgendwie muss man sich ja motivieren.