Treten wir einmal einen Schritt zurück und schneiden von dem, was im Fall des Kemptener Leiters der Drogenfahndung, Armin N., bekannt ist, alles ab, was für meine Fragestellung unwichtig ist. Lassen wir SM-Vorlieben eines Beamten, die hier und im Übrigen nirgendwo etwas zur Sache tun, außer Acht , beachten wir auch die Gewalttätigkeit des Angeklagten gegenüber seiner wehrlosen Ehefrau nicht, der ihr androhte, sie zu töten, und sie zu Sex zwang. Greifen wir ein nicht nur für den Angeklagten brisantes Factum heraus: Im Schrank des Leiters der Drogenfahndung einer deutschen Polizei wurden 1,854 Kilogramm Kokainverschnitt gefunden. Ein Hammer! Aber was noch viel mehr der Hammer ist, ist wie mit dem Fall dann umgegangen wird.
Dieser Verschnitt war offenbar von ordentlicher Qualität, der Wirkstoffgehalt lag bei 23,5 Prozent, oder anders gesagt: es waren 435 Gramm reines Kokain, die gestreckt worden sind. Würde man diese Menge verkaufen, erhielte man 130 000 Euro, oder, wieder anders gesagt, wer so viel Kokain kaufen möchte, muss in etwa diesen Preis bezahlen. Oder, nochmal anders gesagt: Wer eine solche Menge Kokain in seinem Besitz hat, müsste nicht nur reich sein, sondern auch eine gute Quelle dafür kennen. Wäre es so, dass Armin N. das Kokain sozusagen legal illegal erworben hat, wäre es folglich von sehr großem Interesse, von wem er den Stoff bekam. Schließlich ermöglichte dies wahrscheinlich, die Struktur des Drogenhandels im Allgäu besser zu erkennen.
Man muss wissen, dass das Allgäu schon seit drei Jahrzehnten zu einer Gelenkstelle im internationalen Drogenhandel geworden ist. Denn italienische Mafia-Gruppen haben trotz der höheren Gefahr für ihre Organisation kein dezentrales Verkaufsnetz eingerichtet, sondern eine Struktur mit einer Zentrale, wohl auch, um eine bestmögliche Kontrolle über den wertvollen Stoff zu haben. Das heißt, Drogenlieferungen aus Südamerika beispielsweise, die über die Häfen in Rotterdam oder Hamburg nach Europa kommen, werden nach Italien gebracht und von dort aus dann weiter verteilt, auch in Gegenden, die sie zuvor schon passierten. So kann es beispielsweise sein, dass eine Ladung Kokain zwei Mal im Allgäu landet: zuerst auf der Durchreise, später dann zum Verkauf. Schon als Giorgio B., ein hochrangiger Mafioso, 1998 in Kempten festgenommen wurde, spielten Kokainlieferungen an einen Gastwirt eine Rolle, der noch heute in der Gegend tätig ist.
Es gibt mehrere Hypothesen, wie Armin N. an das Kokain kam. Im Verfahren gegen ihn, das gestern eröffnet worden ist, hat er sich zu diesem Punkt nicht geäußert. Er betonte lediglich, er unterhalte keine Kontakte zur Mafia – was in Kempten, so munkeln Insider, gar nicht so einfach ist, wenn man gerne ausgeht. Vielleicht hätte Armin N. das kleine, unscheinbare Wörtchen „wissentlich“ hinzufügen sollen, dann wäre er auf der sicheren Seite. Man weiß ja nie, was der Lieblingsitaliener so in seiner Freizeit macht.
Eine Hypothese ist, dass das Kokain aus der Asservatenkammer stammt, es also einst beschlagnahmter Stoff war. Aufzeichnungen darüber gibt es nicht mehr, heißt es, was tief blicken ließe, wenn es denn stimmte. Würde es doch bedeuten, dass Drogen kiloweise aufbewahrt würden und, eine weitere Hypothese, für Schulungszwecke auch in dieser Menge herausgegeben würde. Das ist so hanebüchen, dass diese Option wohl ausscheidet.
Eine weitere Hypothese ist, dass Armin N. diese Menge vor Rauschmittel-Vernichtungen vor dem Verbrennungsofen abgezweigt hat. Mir sagte jemand, der sich mit amtlichen Drogenverbrennungen auskennt, dass das so gut wie unmöglich ist. Erst recht, wenn es sich um solch große Mengen handele.
Was würde man sich nun von einem Strafverfahren erhoffen, von Ermittlungen, die von einer Staatsanwaltschaft geführt werden in einem Bundesland, das selbst Besitzer von kleinen Mengen Haschisch gerne einmal kriminalisiert, was würde man sich von der Behörde eines solchen Bundeslandes erwarten? Doch bedingungslose Aufklärung! Eine Antwort auf die Frage, wie es sein kann, dass ein Staatsbediensteter, noch dazu ein Polizist, noch dazu ein Drogenfahnder, noch dazu der Leiter einer Drogenfahndung, noch dazu der Leiter einer Drogenfahndung in einem stark mafiös verseuchten Gebiet, wie es sein kann, dass ein solcher Mann solche Mengen Drogen besitzt.
Aber weit gefehlt.
Den Richter interessiert das nicht.
Die Staatsanwaltschaft interessiert das nicht.
Im Gerichtsverfahren musste nicht einmal eine Beamtin aussagen, deren Erbgut auf dem Kokspaket haftete.