SANDRO MATTIOLI

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Mafia-Prozess startet in Düsseldorf

7. Oktober 2020 von S M

Am Montag wird in Düsseldorf ein Gerichtsverfahren eröffnet, in der sich mehrere mutmaßliche Mitglieder der ’ndrangheta wegen Drogenhandels und anderer Delikte verantworten müssen. Als die Polizeiaktion damals, am 5. Dezember 2018, mit 90 Verhaftungen in mehreren europäischen Ländern ihren Höhepunkt fand, schrieben viele Medien voll des Lobes über den Erfolg. Ich fand es natürlich gut, dass man engagiert gegen diese ’ndrangheta-Gruppe vorgeht. Allerdings lief bei den Ermittlungen auch einiges schief, wie ich für mafianeindanke aufschrieb. Und es gab mehrere Fälle von Geheimnisverrat. Überhaupt ist es oft so, dass die wirklich interessanten Begebenheiten in Zusammenhang mit solchen Polizeiaktionen erst durch Recherche, Aktenanalyse und auch vor Ort ans Licht kommen. Leider tendiert man in den deutschen Medien dazu, relativ oberflächlich über Mafia-Aktivitäten in Deutschland zu berichten und auch das meist nur nach solchen Verhaftungen. Ich wünschte mir – natürlich nicht uneigennützig – mehr investigative Recherchen zum Thema. Auch bei diesem Thema hätte ich mir gewünscht, für ein Medium genauer hinschauen zu können. Oft ist auch die Nachgeschichte interessant. Beispielsweise wurde mir gesagt, dass die Pizzeria, die im Zentrum der Polizeiaktion stand, weiterhin geöffnet ist und von der Familie des Verhafteten betrieben wird. Ob dem wirklich so ist, habe ich nicht überprüfen können. Sollte es aber so sein, sage ich Glückwunsch zu dieser erfolgreichen Bekämpfung der Mafia…

Verweisen möchte ich auch auf ein Interview mit dem Oberstaatsanwalt Uwe Mühlhoff von der Staatsanwaltschaft Duisburg, der die Ermittlungen zur Operation Pollino leitete.

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Mit Todesdrohungen scherzt man nicht

23. April 2020 von S M

Dies ist ein Ausschnitt eines Buches eines Rechtsanwaltes, über das ich mich heute sehr geärgert habe. Fast schon als amüsant beschreibt der Autor in dem Buch eine tatsächliche Todesdrohung an einen Belastungszeugen. Ich habe daraufhin dem Autoren eine Email geschrieben. Denn es ist bei Mafiosi leider gang und gäbe zu drohen. Das muss man aber ernst nehmen, es ist ein (häufiger) Skandal – und keineswegs sollte man es so als Petitesse abhandeln, wie das die Autoren dieses Buchs hier tun.

Sehr geehrter Herr Ufer,

Mit Interesse aber auch Ärger habe ich die Passage über Sabatino Ciccarelli gelesen in Ihrem Buch „Nicht schuldig“. Ich anerkenne Ihr Talent, Geschichten schön und spannend zu berichten, allerdings kritisiere ich als Mafia-Experte die darin ausgedrückte Verharmlosung der Mafia-Präsenz in Deutschland, gipfelnd in der gegen Ende beschriebenen Einschüchterung des Kronzeugen im Gerichtssaal. Es ist zutreffend, dass die Figur Vincenzo Esposito nicht eindeutig ist. Gewiss ist aber, dass Sabatino Ciccarelli, genannt „Il Russo“, der Mafia nicht den Rücken zugewendet hat, wie Sie in Ihrem Buch schreiben. Vielmehr ist es so, dass er nach wie vor integraler Bestandteil seines Clans war, obgleich auch in anderer Funktion. Das weiß ich, weil es sein Boss, Carmine Schiavone, mir persönlich gesagt hatte. Schiavone war zum Kronzeugen geworden und hatte seinen Clan schwer belastet.

Ich kann verstehen, dass Sie als Anwalt ein Interesse daran haben, Ihren Mandanten im Hauptverfahren möglichst positiv darstellen zu wollen. Das ist Ihre Aufgabe als guter Anwalt. Ich halte es aber für kropfunnötig, dieses (falsche) Bild auch nach dem Urteil weiter aufrechtzuerhalten. Und es ist – bei allem Respekt – als ignorant zu bezeichnen, die im damaligen Prozess getroffenen Schutzvorkehrungen als lächerlich zu benennen, bedenkt man, wie viele Staatsanwälte und Richter von der Mafia wegen der Ausübung ihres Berufs ermordet worden sind. Unter den unschuldigen Opfern der Mafia sind übrigens auch viele Vertreter Ihres Berufszweiges.

Diese auch von Ihnen hier betriebene Verharmlosung von Organisierter Kriminalität macht es meinen Kolleg*innen und mir, die über Mafia und Organisierte Kriminalität arbeiten, mit dem guten Willen, Verhältnisse wie in Norditalien verhindern zu wollen, wo die Clans ganze Geschäftszweige systematisch unterwandert haben, schwer, Aufklärung zu erreichen.
Sollten Sie ein Interesse daran haben, mehr über die Gefährlichkeit von Mafia-Präsenzen in Deutschland zu erfahren, sprechen Sie mich gerne an. Gerne verweise ich Sie auch auf den Verein mafianeindanke , dessen Vorsitzender ich im Ehrenamt bin. Er hat sich diese nötige Sensibilisierung in Deutschland zur Aufgabe gemacht.

Mit freundlichen Grüßen,

Sandro Mattioli

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Warum die Mafia-Berichterstattung sogar Leben retten kann

17. März 2020 von S M

Die Wut: Habe soeben beim Aufräumen meines Postfachs ein Artikelangebot gefunden, dass ich 2015 an eine große deutsche Tageszeitung geschickt hatte. Darin war die Rede von einem Haftbefehl gegen einen Mafioso, der in Deutschland nicht anerkannt worden ist; der besagte Mann, ein Drogenhändler, wurde festgenommen und nach 24 Stunden wieder entlassen. In solchen Momenten packt mich immer wieder die Wut, dass deutsche Medien Mafia-Recherchen meist nicht veröffentlichen. Wäre damals in der Folge einer Berichterstattung der Mann festgenommen worden, würde ein 23 Jahre junger Mann heute noch leben. Der Mann wurde das (unbeteiligte!) Opfer einer Einschüchterungsaktion zweier Kontakte des Kurzzeit-Festgenommenen mit einer Pistole. Was lernen wir daraus: Ohne öffentlichen Druck machen Sicherheitsbehörden ihre Arbeit nicht ordentlich, werden Gesetze nicht an die Bedürfnisse angepasst, erfahren die Bürger*innen nichts von Mafia-Umtrieben und kann die Organisierte Kriminalität weiter gedeihen. Und ja, das fordert unschuldige Opfer.

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Vortrag in Frankfurt beim Wirtschaftsclub am 6.2.2020

3. Februar 2020 von S M

Frisch und erholt aus dem Urlaub zurück, starte ich in das Arbeitsjahr mit einem Vortrag im Ballsaal des Frankfurter Sofitel an der Alten Oper. Ich werde Neues über die Aktivitäten der Mafia in Deutschland berichten.
Ich freue mich auf die Veranstaltung und hoffe auf eine interessante Diskussion!

Weitere Informationen gibt es hier. Der Eintritt kostet zwischen 20 und 60 Euro.

Im Übrigen befinde ich mich damit in einer Reihe interessanter Persönlichkeiten: Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Dr. Norbert Blüm, Dr. Rolf-E. Breuer, Prof. Dr. Utz Claassen, Heinz Dürr, Hans Eichel, Henri Giscard d´Estaing, Valery Giscard d´Estaing, Joschka Fischer, Hans-Dieter Genscher, Carlos Ghosn, Gregor Gysi, Hans-Olaf Henkel, Dr. Alfred Herrhausen, Dr. Klaus Kinkel, Roland Koch, Dr. Helmut Kohl, Hilmar Kopper, Dr. Bruno Kreisky, Klaudia Martini, Dr. Ulf Merbold, Dr. Angela Merkel, Dr. Hans Modrow, Reinhard Mohn, Heinz Nixdorf, Johannes Rau, Dr. Günter Rexrodt, Rudolf Scharping, Walter Scheel, Dr. Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Gerd Schulte-Hillen, Gesine Schwan, Dr. Lothar Späth, Dr. Manfred Stolpe, Dr. Franz-Josef Strauß, Jürgen Weber, Dr. Guido Westerwelle, Dr. Martin Winterkorn.

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Ein Mafiastaat in Europa: Schaut verdammt nochmal hin!

5. Dezember 2019 von S M

Corinne Vella, Schwester von Daphne Caruana Galizia, im Gespräch

Es gibt Gespräche, die fallen einem als Journalist nicht leicht. Wie ist es mit einer Frau zu sprechen, deren Schwester von einer Bombe in tausend Stücke gesprengt worden ist? Wie ist es, mit jemandem zu reden, deren Neffen die Mutter, deren Schwager die geliebte Ehefrau genommen worden ist? Wenn wir über Daphne Caruana Galizia sprechen, ist es zunächst das: Ein Mensch wurde seinen Geliebten genommen. Ich saß da, manchmal mit feuchten Augen.

Mein Verein mafianeindanke hat eine Konferenz organisiert, coreact genannt (correct/react/act), die zum ersten Mal Aktivist*innen aus aller Welt, die gegen die Mafia und Organisierte Kriminalität, gegen Geldwäsche und für Transparenz kämpfen, zusammen brachte. Den Eröffnungsabend im wunderbaren bUm – Raum für die engagierte Zivilgesellschaft, widmeten wir Jan Kuciak und seiner Verlobten und Daphne Caruana Galizia. Es ist Teil eines halbwegs verzweifelten Versuchs, den Morden an diesen Journalisten die Aufmerksamkeit zu geben, die aus unserer, aus meiner Sicht dringend nötig ist. Wenn inmitten von Europa politische Lenker mit der Mafia gemeine Sache machen, wenn Staaten für Projekte der Organisierten Kriminalität gekapert werden, wenn Journalisten, die dazu recherchieren, ermordet werden, dann sollten sämtliche Alarmglocken läuten, die Europa zur Verfügung hat. Doch das passiert nicht. Dabei sind hier zentrale Werte Europas wie Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit nicht nur verletzt, sondern zerstört. Vor allem der Fall Malta ist verstörend: korrupte Politiker dienen sich der Organisierten Kriminalität an, verkaufen unter anderem Visa und (europäische!) Staatsangehörigkeiten, bereichern sich über Briefkastenunternehmen und können dazu noch Ermittlungen gegen sich massiv beeinflussen bis unterbinden. Ja, Malta ist ein Mafiastaat, den man bisher in Europa weitgehend gewähren ließ.

Dagegen kämpfte Daphne Caruana Galizia. Mit ihrem Schwert, der scharfzüngigen Beobachtung und dem deutlichen Wort. Mit einem klar genordeten Kompass, der sie lehrte Korrektheit von Führungspersonen zu verlangen. Und mit einem ordentlichen Maß Hartnäckigkeit. Ja, Daphne Caruana Galizia war für viele eine Nervensäge, weil sie nicht aufhörte, Zustände anzuprangern. Aber Demokratien brauchen solche Nervensägen. Solche Charaktere, die sich nicht verbiegen lassen. Die Widerstände nicht scheuen. Und was waren das für Widerstände in ihrem Fall: Man versuchte, ihr haus anzuzünden, zwei Mal. Man überzog sie mit Klagen (im Übrigen wirkten daran ehrenwerte Rechtsanwaltskanzleien gerne mit). Man sperrte ihre Konten. Man bedrohte sie, vergiftete den Hund der Familie. All das, ich wiederhole mich, mitten in Europa. Und dieser europäische Mitgliedsstaat Malta vermochte es eben nicht, sie zu schützen. Nein, seine Führungsfiguren haben entweder dabei zugesehen oder sogar aktiv mitgewirkt, sie umzubringen. Und: diese Führungsfiguren sind heute noch, mehr als zwei Jahre danach, unbelangt.

Für mich als Journalist, der zur Mafia recherchiert und aufklärt, ist das natürlich auch eine persönliche Sache. Ich will nicht, dass von mir hochgeschätzten Kollegen so etwas passiert. Ich will nicht, dass mir so etwas passiert. Journalisten, die ihre Arbeit machen, dürfen nicht in einer solchen Gefahr sein. Und dennoch musste ich vernehmen, dass das Interesse an diesen für Europa an sich zentralen Geschehnissen marginal ist. Natürlich hat man vernommen, dass Jan Kuciak in der Slowakei ermordet worden ist. Es gab tolle Initiativen, die seine Recherchen fortgeführt haben. Natürlich wurde überall berichtet, wie man Daphne Caruana Galizias Wagen mit ihr drin in die Luft gesprengt hat und das Wrack hat wohl jede/r als Bild vor Augen gehabt. Aber wo ist das Interesse für die Hintergründe? Wer weiß schon genau, was die Mafiosi in der Slowakei gemacht haben? Wie sie sich mit europäischen Fördergeldern bereicherten? Wer weiß schon genau, wie die Mafiaclans Malta für die Geldwäsche nutzen? Und was österreichische Banken damit zu tun haben? Und wie Wettfirmen in Innsbruck mit Malta und der italienischen verbunden sind? Und welche Honorarkonsuln europäischer Mitgliedsstaaten dazu die Unternehmen eingetragen haben? Nein, soweit reicht das Interesse nicht. Es erfüllt mich mit Gram, aber mit diesem Desinteresse tragen wir alle ein kleines bisschen Mitschuld an den Toden. In dem Gespräch habe Corinne Vella, Daphne Caruana Galizias Schwester, gefragt, ob ein verstärktes Interesse an der Arbeit ihrer Schwester diese geschützt hätte. Im Grunde eine rhetorische Frage…

Es ist gut, dass Europa aufgewacht ist. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein eindeutiges, mahnendes Wort nach Malta geschickt. Sie hat zwar als Kommissarin eine Frau in ihren Reihen, über die Daphna Caruana Galizia ebenfalls berichtete, nämlich Helena Dalli, hier  und hier.  Frau Dalli hat offenbar sehr enge Verbindungen zu einem Kokaindealer, der 15 Jahre in Haft saß, also kein kleiner Fisch. Dennoch hoffe ich sehr auf Druck aus Europa. Denn es sind zwei Faktoren, die sich als wirksam rausstellten: Einige Europaabgeordneten, die Malta kritisch sahen und sehen – beispielsweise weigerte sich Roberta Metsola, dem Premier Joseph Muscat die Hand zu geben. Eine kleine, aber wichtige Geste, bedenkt man, dass in dessen Büro die Fäden zur Ermordung von Daphne Caruana Galizia zusammenliefen. Es gab in dieser Woche eine Kommission des Europaparlaments, die untersuchte, inwiefern die Rechtsstaatlichkeit in Malta gegeben ist. Das ist wichtig.

Die wichtigste Rolle spielt aber die Zivilgesellschaft in Malta. Abend für Abend kommen viele tausende Menschen vor dem Parlament zusammen, schreien ihre Wut heraus und fordern Gerechtigkeit. Die Regierung hat inzwischen den Platz zum Sperrgebiet erklärt, doch die Demonstrierenden machen weiter. Und auch das Mahnmal für die Ermordung von Daphne Caruana Galizia, das die Regierung seit seinem Bestehen jeden Abend von Blumen und Würdigungen freiräumen lässt, füllen die Menschen jeden Tag aufs Neue. Es ist traurig, dass die Zivilgesellschaft hier eine Rolle übernehmen muss, weil ein rechtlich wirksamer Hebel fehlt. Aber es lässt hoffen, dass es gelingt, dem Mafiastaat Malta wieder auf den rechten Weg zurückzuhelfen. Wir in Europa sollten der Zivilgesellschaft, die dort unser rechtsstaatliches Europa, unsere Pressefreiheit, unsere Grundrechte verteidigt, dankbar sein. Und sie nicht mit Nichtbeachtung strafen.

Kategorie: Uncategorized Stichworte: coreact, Daphne, Mafiastaat, Malta, Visum

Aufstieg und Fall

20. Dezember 2018 von S M

Üblicherweise dringt von Jury-Sitzungen bei Journalistenpreisen nicht allzu viel nach draußen, zumindest nicht zu mir. Doch im Jahr 2013 war das auf bitterkomische Weise anders. In einem Festsaal am Potsdamer Platz wurde der Deutsche Reporterpreis verliehen, es war eine mittelmäßige Party, wie das oft bei Preisverleihungen so ist, aber immerhin, es war eine Party. Einige Zeit nach dem Ende der offiziellen Zeremonie kam ein Kollege zu mir, den ich nicht persönlich kannte, dessen Wettbewerbsbeitrag ich allerdings sehr geschätzt hatte. Er sagte, er wolle mich kennen lernen, was in mir Fragezeichen aufsteigen ließ. Er berichtete mir, eine Jurorin sei zu ihm gekommen, und habe ihm gesagt, dass er beinahe den Reporterpreis gewonnen hätte. Sie hätten sich dann kurz unterhalten, und als die Jurorin dann sagte, dass das ja schlimm sei mit der Mafia, schwante ihm so langsam, dass eine Verwechslung vorliegen musste. Er habe der Jurorin erklärt, dass er gar nicht über Mafia gearbeitet habe, sondern über Migration. Wie diese Begegnung dann geendet ist, weiß ich nicht mehr.

Es war ein merkwürdiger Moment für mich: Ich hatte Mitleid mit diesem wirklich sympathischen Kollegen, denn was gibt es Blöderes, als gesagt zu bekommen, dass man fast der Sieger war, und dann auch noch verwechselt zu werden? Und dann war da für mich auch die Freude, zu wissen, dass ich es mit meiner Geschichte über den Mafia-Kronzeugen Luigi Bonaventura fast geschafft hatte. Allerdings ist es fast befriedigender, irgendwo in der Endauswahl gelandet zu sein als auf dem zweiten Platz.

Der zweite Platz ist so etwas wie die Nichtmedaille im sportlichen Betrieb für den 4. Platz. Dafür gibt es kein Geld und keine Anerkennung (damals war der Reporterpreis noch mit einem anständigen Preisgeld versehen!). The winner takes it all, um aus aktuellem Anlass mal einen Liedtitel einzubauen.

Denn gewonnen hat den Preis damals der Kollege Claas Relotius, dessen Kollegialität man nun aber massiv anzweifeln muss. Ich habe mich damals gefreut, dass immerhin mein Kunde, das Magazin Reportagen, den Preis bekommen hat. Ein schweizerisches, toll gemachtes Heft, ein kleines Liebhaberprojekt, betreut von einer Redaktion, die sehr gut zu ihren Autoren ist und zugleich mit viel Herzblut bei der Sache. Claas Relotius kannte ich nicht. Irgendwann hat er mich bei Facebook als Freund hinzugefügt und wir haben, glaube ich, mal ganz kurz ein paar Takte gewechselt. In der Folge beobachtete ich seine Karriere aus der Ferne.

Als ich gestern die Reportage zu seinem Fall im Spiegel las, fiel mir diese Episode wieder ein. Mein erster Gedanke war: der arme Kerl. Mein zweiter: eine Geschichte, ideal für eine wahnsinnige Reportage. Dann dachte ich darüber nach, dass wir ein systemisches Problem im Journalismus haben, das mit vielen Faktoren zusammenhängt: die Reportage, die wiederentdeckt worden ist, das Heldentum des Reporters (übrigens könnte man das Thema Betrug im Journalismus auch mal gendern, mit fällt keine Frau ein, die sich solch grobe Verfehlungen wie Kummer, Relotius und Co geleistet hat), die Anfälligkeit der Reportage für Missbrauch, der Kosten- und Konkurrenzdruck im Medienwesen, die zunehmende Personalisierung und Egozentrismus im Journalismus (ich absolvierte mein Volontariat bei der Stuttgarter Zeitung, dort lehrte man damals, 2006, noch die alte Schule, die auch vorsah, den Berichtenden nur in Ausnahmefällen in den Fokus zu stellen, sich ansonsten aber als Diener zu verstehen). Dies sind im Übrigen Überlegungen, die nichts mit dem Spiegel zu tun haben, sondern die unsere gesamte Branche betreffen. Und für grundverkehrt halte ich es, den jetzt aufgeflogenen Betrug der Textgattung Reportage anzuhängen. Eher ist es so, dass sie Opfer ist und nicht Täter.

Erst ganz am Ende habe ich darüber nachgedacht, was wohl passiert wäre, wenn ich 2013 mit meiner Reportage den Preis gewonnen hätte und nicht der betrügerische Kollege (zu dessen Verteidigung zu sagen ist, dass ich nicht weiß, ob in der geehrten Geschichte auch getrickst worden ist). Natürlich hätte mir die Aufmerksamkeit und Bestätigung damals gut getan und natürlich wäre das Geld willkommen gewesen. Aber wahrscheinlich hätte der Preis ansonsten gar nicht viel geändert. An sich ist das auch egal, denn ich bin zufrieden, wie es ist.

Ich denke, wir müssen auch hier aufpassen, dass wir Ursache und Symptom eines Phänomens fein auseinander halten. Man kann einen Journalistenpreis nicht dafür haftbar machen, was Leute tun, um ihn zu gewinnen. Man kann die Abhängigkeit in der Branche von Journalistenpreisen aber sehr wohl reflektieren. Auch dies sollte jetzt, als Aufarbeitung des Fall Relotius, passieren, im Übrigen nicht nur bei dem betroffenen Medium, sondern in der gesamten Branche – weil es die gesamte Branche betrifft.

Ich glaube auch, dass wir über das Thema Kostendruck reden müssen. Einige Kunden von mir kalkulieren meine Aufenthalte vor Ort mit dem absoluten Minimum, erwarten aber natürlich eine tolle Geschichte. KollegInnen berichten über Ähnliches. Wenn meine Erfahrung eines zeigt, dann dies: dass (ehrliche) gute Geschichten Zeit brauchen. Und somit Geld kosten. Es ist ganz einfach: je mehr Zeit man für eine Geschichte vor Ort hat, umso wahrscheinlicher ist es, dass das Reporterglück einem einen Besuch abstattet. Manche Kollegen sind wohl zu sehr verführt, mangelndes Reporterglück mit Biegen der Geschichte und Brechen der Regeln herbeizuschreiben. Und mich kotzt es ehrlich gesagt an, Entschuldigung bitte für die drastische Wortwahl, mit solchen Leuten im Wettbewerb zu stehen. Weil sie Druck auf mich ausüben, von meinen Prinzipien abzuweichen, dem ich nicht nachgebe, und dann die Nachteile in Kauf nehmen muss, die daraus resultieren. Dem Interviewfälscher Tom Kummer habe ich das auch mal klar gesagt, allerdings ohne groß eine Reaktion seinerseits zu bekommen. Allen anderen, die Schummeln und Tricksen im Journalismus, um persönliche Vorteile zu bekommen – bitte, tut das nicht. Ihr hintergeht nicht nur Eure Kolleginnen und Kollegen, die ehrlich arbeiten. Ihr sägt zudem an dem Ast, auf dem ihr sitzt. Und dieser Ast wächst ziemlich hoch, so dass ihr tief fallt…

PS: Meine Kollegen von Prorecherche wiesen mich soeben auf den Fall von Janet Cooke hin, die ebenfalls Artikel gefälscht hatte, und für einen manipulierten Text für die Washington Post mit einem Pulitzer Preis ausgezeichnet worden war.

Kategorie: Blog, Uncategorized

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