SANDRO MATTIOLI

  • Germafia
  • Buchen
  • Kontakt / Impressum

Mit Todesdrohungen scherzt man nicht

23. April 2020 von S M

Dies ist ein Ausschnitt eines Buches eines Rechtsanwaltes, über das ich mich heute sehr geärgert habe. Fast schon als amüsant beschreibt der Autor in dem Buch eine tatsächliche Todesdrohung an einen Belastungszeugen. Ich habe daraufhin dem Autoren eine Email geschrieben. Denn es ist bei Mafiosi leider gang und gäbe zu drohen. Das muss man aber ernst nehmen, es ist ein (häufiger) Skandal – und keineswegs sollte man es so als Petitesse abhandeln, wie das die Autoren dieses Buchs hier tun.

Sehr geehrter Herr Ufer,

Mit Interesse aber auch Ärger habe ich die Passage über Sabatino Ciccarelli gelesen in Ihrem Buch „Nicht schuldig“. Ich anerkenne Ihr Talent, Geschichten schön und spannend zu berichten, allerdings kritisiere ich als Mafia-Experte die darin ausgedrückte Verharmlosung der Mafia-Präsenz in Deutschland, gipfelnd in der gegen Ende beschriebenen Einschüchterung des Kronzeugen im Gerichtssaal. Es ist zutreffend, dass die Figur Vincenzo Esposito nicht eindeutig ist. Gewiss ist aber, dass Sabatino Ciccarelli, genannt „Il Russo“, der Mafia nicht den Rücken zugewendet hat, wie Sie in Ihrem Buch schreiben. Vielmehr ist es so, dass er nach wie vor integraler Bestandteil seines Clans war, obgleich auch in anderer Funktion. Das weiß ich, weil es sein Boss, Carmine Schiavone, mir persönlich gesagt hatte. Schiavone war zum Kronzeugen geworden und hatte seinen Clan schwer belastet.

Ich kann verstehen, dass Sie als Anwalt ein Interesse daran haben, Ihren Mandanten im Hauptverfahren möglichst positiv darstellen zu wollen. Das ist Ihre Aufgabe als guter Anwalt. Ich halte es aber für kropfunnötig, dieses (falsche) Bild auch nach dem Urteil weiter aufrechtzuerhalten. Und es ist – bei allem Respekt – als ignorant zu bezeichnen, die im damaligen Prozess getroffenen Schutzvorkehrungen als lächerlich zu benennen, bedenkt man, wie viele Staatsanwälte und Richter von der Mafia wegen der Ausübung ihres Berufs ermordet worden sind. Unter den unschuldigen Opfern der Mafia sind übrigens auch viele Vertreter Ihres Berufszweiges.

Diese auch von Ihnen hier betriebene Verharmlosung von Organisierter Kriminalität macht es meinen Kolleg*innen und mir, die über Mafia und Organisierte Kriminalität arbeiten, mit dem guten Willen, Verhältnisse wie in Norditalien verhindern zu wollen, wo die Clans ganze Geschäftszweige systematisch unterwandert haben, schwer, Aufklärung zu erreichen.
Sollten Sie ein Interesse daran haben, mehr über die Gefährlichkeit von Mafia-Präsenzen in Deutschland zu erfahren, sprechen Sie mich gerne an. Gerne verweise ich Sie auch auf den Verein mafianeindanke , dessen Vorsitzender ich im Ehrenamt bin. Er hat sich diese nötige Sensibilisierung in Deutschland zur Aufgabe gemacht.

Mit freundlichen Grüßen,

Sandro Mattioli

Kategorie: Uncategorized

Warum die Mafia-Berichterstattung sogar Leben retten kann

17. März 2020 von S M

Die Wut: Habe soeben beim Aufräumen meines Postfachs ein Artikelangebot gefunden, dass ich 2015 an eine große deutsche Tageszeitung geschickt hatte. Darin war die Rede von einem Haftbefehl gegen einen Mafioso, der in Deutschland nicht anerkannt worden ist; der besagte Mann, ein Drogenhändler, wurde festgenommen und nach 24 Stunden wieder entlassen. In solchen Momenten packt mich immer wieder die Wut, dass deutsche Medien Mafia-Recherchen meist nicht veröffentlichen. Wäre damals in der Folge einer Berichterstattung der Mann festgenommen worden, würde ein 23 Jahre junger Mann heute noch leben. Der Mann wurde das (unbeteiligte!) Opfer einer Einschüchterungsaktion zweier Kontakte des Kurzzeit-Festgenommenen mit einer Pistole. Was lernen wir daraus: Ohne öffentlichen Druck machen Sicherheitsbehörden ihre Arbeit nicht ordentlich, werden Gesetze nicht an die Bedürfnisse angepasst, erfahren die Bürger*innen nichts von Mafia-Umtrieben und kann die Organisierte Kriminalität weiter gedeihen. Und ja, das fordert unschuldige Opfer.

Kategorie: Uncategorized

Vortrag in Frankfurt beim Wirtschaftsclub am 6.2.2020

3. Februar 2020 von S M

Frisch und erholt aus dem Urlaub zurück, starte ich in das Arbeitsjahr mit einem Vortrag im Ballsaal des Frankfurter Sofitel an der Alten Oper. Ich werde Neues über die Aktivitäten der Mafia in Deutschland berichten.
Ich freue mich auf die Veranstaltung und hoffe auf eine interessante Diskussion!

Weitere Informationen gibt es hier. Der Eintritt kostet zwischen 20 und 60 Euro.

Im Übrigen befinde ich mich damit in einer Reihe interessanter Persönlichkeiten: Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Dr. Norbert Blüm, Dr. Rolf-E. Breuer, Prof. Dr. Utz Claassen, Heinz Dürr, Hans Eichel, Henri Giscard d´Estaing, Valery Giscard d´Estaing, Joschka Fischer, Hans-Dieter Genscher, Carlos Ghosn, Gregor Gysi, Hans-Olaf Henkel, Dr. Alfred Herrhausen, Dr. Klaus Kinkel, Roland Koch, Dr. Helmut Kohl, Hilmar Kopper, Dr. Bruno Kreisky, Klaudia Martini, Dr. Ulf Merbold, Dr. Angela Merkel, Dr. Hans Modrow, Reinhard Mohn, Heinz Nixdorf, Johannes Rau, Dr. Günter Rexrodt, Rudolf Scharping, Walter Scheel, Dr. Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Gerd Schulte-Hillen, Gesine Schwan, Dr. Lothar Späth, Dr. Manfred Stolpe, Dr. Franz-Josef Strauß, Jürgen Weber, Dr. Guido Westerwelle, Dr. Martin Winterkorn.

Kategorie: Uncategorized

Ein Mafiastaat in Europa: Schaut verdammt nochmal hin!

5. Dezember 2019 von S M

Corinne Vella, Schwester von Daphne Caruana Galizia, im Gespräch

Es gibt Gespräche, die fallen einem als Journalist nicht leicht. Wie ist es mit einer Frau zu sprechen, deren Schwester von einer Bombe in tausend Stücke gesprengt worden ist? Wie ist es, mit jemandem zu reden, deren Neffen die Mutter, deren Schwager die geliebte Ehefrau genommen worden ist? Wenn wir über Daphne Caruana Galizia sprechen, ist es zunächst das: Ein Mensch wurde seinen Geliebten genommen. Ich saß da, manchmal mit feuchten Augen.

Mein Verein mafianeindanke hat eine Konferenz organisiert, coreact genannt (correct/react/act), die zum ersten Mal Aktivist*innen aus aller Welt, die gegen die Mafia und Organisierte Kriminalität, gegen Geldwäsche und für Transparenz kämpfen, zusammen brachte. Den Eröffnungsabend im wunderbaren bUm – Raum für die engagierte Zivilgesellschaft, widmeten wir Jan Kuciak und seiner Verlobten und Daphne Caruana Galizia. Es ist Teil eines halbwegs verzweifelten Versuchs, den Morden an diesen Journalisten die Aufmerksamkeit zu geben, die aus unserer, aus meiner Sicht dringend nötig ist. Wenn inmitten von Europa politische Lenker mit der Mafia gemeine Sache machen, wenn Staaten für Projekte der Organisierten Kriminalität gekapert werden, wenn Journalisten, die dazu recherchieren, ermordet werden, dann sollten sämtliche Alarmglocken läuten, die Europa zur Verfügung hat. Doch das passiert nicht. Dabei sind hier zentrale Werte Europas wie Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit nicht nur verletzt, sondern zerstört. Vor allem der Fall Malta ist verstörend: korrupte Politiker dienen sich der Organisierten Kriminalität an, verkaufen unter anderem Visa und (europäische!) Staatsangehörigkeiten, bereichern sich über Briefkastenunternehmen und können dazu noch Ermittlungen gegen sich massiv beeinflussen bis unterbinden. Ja, Malta ist ein Mafiastaat, den man bisher in Europa weitgehend gewähren ließ.

Dagegen kämpfte Daphne Caruana Galizia. Mit ihrem Schwert, der scharfzüngigen Beobachtung und dem deutlichen Wort. Mit einem klar genordeten Kompass, der sie lehrte Korrektheit von Führungspersonen zu verlangen. Und mit einem ordentlichen Maß Hartnäckigkeit. Ja, Daphne Caruana Galizia war für viele eine Nervensäge, weil sie nicht aufhörte, Zustände anzuprangern. Aber Demokratien brauchen solche Nervensägen. Solche Charaktere, die sich nicht verbiegen lassen. Die Widerstände nicht scheuen. Und was waren das für Widerstände in ihrem Fall: Man versuchte, ihr haus anzuzünden, zwei Mal. Man überzog sie mit Klagen (im Übrigen wirkten daran ehrenwerte Rechtsanwaltskanzleien gerne mit). Man sperrte ihre Konten. Man bedrohte sie, vergiftete den Hund der Familie. All das, ich wiederhole mich, mitten in Europa. Und dieser europäische Mitgliedsstaat Malta vermochte es eben nicht, sie zu schützen. Nein, seine Führungsfiguren haben entweder dabei zugesehen oder sogar aktiv mitgewirkt, sie umzubringen. Und: diese Führungsfiguren sind heute noch, mehr als zwei Jahre danach, unbelangt.

Für mich als Journalist, der zur Mafia recherchiert und aufklärt, ist das natürlich auch eine persönliche Sache. Ich will nicht, dass von mir hochgeschätzten Kollegen so etwas passiert. Ich will nicht, dass mir so etwas passiert. Journalisten, die ihre Arbeit machen, dürfen nicht in einer solchen Gefahr sein. Und dennoch musste ich vernehmen, dass das Interesse an diesen für Europa an sich zentralen Geschehnissen marginal ist. Natürlich hat man vernommen, dass Jan Kuciak in der Slowakei ermordet worden ist. Es gab tolle Initiativen, die seine Recherchen fortgeführt haben. Natürlich wurde überall berichtet, wie man Daphne Caruana Galizias Wagen mit ihr drin in die Luft gesprengt hat und das Wrack hat wohl jede/r als Bild vor Augen gehabt. Aber wo ist das Interesse für die Hintergründe? Wer weiß schon genau, was die Mafiosi in der Slowakei gemacht haben? Wie sie sich mit europäischen Fördergeldern bereicherten? Wer weiß schon genau, wie die Mafiaclans Malta für die Geldwäsche nutzen? Und was österreichische Banken damit zu tun haben? Und wie Wettfirmen in Innsbruck mit Malta und der italienischen verbunden sind? Und welche Honorarkonsuln europäischer Mitgliedsstaaten dazu die Unternehmen eingetragen haben? Nein, soweit reicht das Interesse nicht. Es erfüllt mich mit Gram, aber mit diesem Desinteresse tragen wir alle ein kleines bisschen Mitschuld an den Toden. In dem Gespräch habe Corinne Vella, Daphne Caruana Galizias Schwester, gefragt, ob ein verstärktes Interesse an der Arbeit ihrer Schwester diese geschützt hätte. Im Grunde eine rhetorische Frage…

Es ist gut, dass Europa aufgewacht ist. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein eindeutiges, mahnendes Wort nach Malta geschickt. Sie hat zwar als Kommissarin eine Frau in ihren Reihen, über die Daphna Caruana Galizia ebenfalls berichtete, nämlich Helena Dalli, hier  und hier.  Frau Dalli hat offenbar sehr enge Verbindungen zu einem Kokaindealer, der 15 Jahre in Haft saß, also kein kleiner Fisch. Dennoch hoffe ich sehr auf Druck aus Europa. Denn es sind zwei Faktoren, die sich als wirksam rausstellten: Einige Europaabgeordneten, die Malta kritisch sahen und sehen – beispielsweise weigerte sich Roberta Metsola, dem Premier Joseph Muscat die Hand zu geben. Eine kleine, aber wichtige Geste, bedenkt man, dass in dessen Büro die Fäden zur Ermordung von Daphne Caruana Galizia zusammenliefen. Es gab in dieser Woche eine Kommission des Europaparlaments, die untersuchte, inwiefern die Rechtsstaatlichkeit in Malta gegeben ist. Das ist wichtig.

Die wichtigste Rolle spielt aber die Zivilgesellschaft in Malta. Abend für Abend kommen viele tausende Menschen vor dem Parlament zusammen, schreien ihre Wut heraus und fordern Gerechtigkeit. Die Regierung hat inzwischen den Platz zum Sperrgebiet erklärt, doch die Demonstrierenden machen weiter. Und auch das Mahnmal für die Ermordung von Daphne Caruana Galizia, das die Regierung seit seinem Bestehen jeden Abend von Blumen und Würdigungen freiräumen lässt, füllen die Menschen jeden Tag aufs Neue. Es ist traurig, dass die Zivilgesellschaft hier eine Rolle übernehmen muss, weil ein rechtlich wirksamer Hebel fehlt. Aber es lässt hoffen, dass es gelingt, dem Mafiastaat Malta wieder auf den rechten Weg zurückzuhelfen. Wir in Europa sollten der Zivilgesellschaft, die dort unser rechtsstaatliches Europa, unsere Pressefreiheit, unsere Grundrechte verteidigt, dankbar sein. Und sie nicht mit Nichtbeachtung strafen.

Kategorie: Uncategorized Stichworte: coreact, Daphne, Mafiastaat, Malta, Visum

Tränen und Thriller – die Summer School zum Thema Mafia und Frauen in Mailand vermittelt neues Wissen

20. September 2019 von S M

Es kann passieren, dass du der Schilderung einer Staatsanwältin zuhörst, wie sie versucht, eine Kronzeugin auf dem Weg ins Verderben zu stoppen und das Fahrzeug scheinbar jede Straßenbarriere unbemerkt passiert, und alles, was sie zur Verfügung hatte, war ein GPS-Signal. Kein Autotyp, keine Abhörmaßnahmen, nur ein Punkt auf dem Bildschirm.

Es kann passieren, dass du dich fragst, warum es besser ist, Frauen in Mafia-Clans nicht als Opfer zu sehen, sondern eher Faktoren zu berücksichtigen, die sie besonders vulnerabil machen, denn aus dem Opferstatus erwächst Schwäche, die Verwundbarkeit aber kann eine Ressource sein, die Stärke hervorbringt.

Es kommt ebenso vor, dass dich – und fast alle anderen des Kurses, der Professor und die zwei Professorinnen eingeschlossen – ein Theaterstück zu Tränen rührt und du die Macht der Worte spürst. Und es kann vorkommen, dass dir nach einer Woche und insgesamt 40 Stunden Unterricht der höchste italienische Antimafia-Staatsanwalt höchstpersönlich dein Diplom überreicht. Die Summer School an der Universität Mailand zu wechselnden Themen der Organisierten Kriminalität ist ohne Zweifel etwas Besonderes. An ihr teilzunehmen, wenn man italienisch spricht, ist ein großes Privileg.

Kommt man aber aus Deutschland, lässt sie einen auch etwas traurig zurück. Darüber, dass es eine solche Veranstaltung, die sich gleichermaßen an ein Fach- wie Massenpublikum richtet, in Deutschland nicht gibt. Und natürlich die alte und immer noch dringliche Leier, dass das Thema Organisierte Kriminalität und Mafia in Italien in der Breite eine Beachtung und Unterstützung erfährt, die man in Deutschland vergebens sucht. Zum neunten Mal organisierte die Staatliche Universität in Mailand das Blockseminar. Dieses Jahr war das Thema Mafia und Frauen. Es ist eine Kooperationsveranstaltung mit der italienischen Antimafia-Organisation Libera. Vonseiten der Uni gestaltenten die drei Professor*innen Nando dalla Chiesa, Monica Massari und Imbretta Ingrascí das Programm. Sie alle forschen zu Mafia und Organisierter Kriminalität – was allein schon zeigt, wie weit voraus Italien Deutschland in dieser Hinsicht ist. Eine der Organisatorinnen ist auch Sarah Mazzenzana, eine ehemalige Freiwilligendienstleistende von mafianeindanke. Die in diesem Jahr rund 40 festen Teilnehmer*innen setzen sich aus Polizist*innen, Staatsanwälten, Studierenden, Lehrer*innen, Pensionären und interessierten Bürger*innen zusammen. Die weitestangereiste Teilnehmerin kam eigens aus Washington.  

Es fällt schwer, eine Woche, die so reich an Eindrücken und Einsichten ist, zusammenzufassen. Ein   zulässiger Schluss ist sicher, dass der männliche Blick auf Frauen in Strukturen der Organisierten Kriminalität allzu lange Zeit eine umfassende Sicht des Phänomens quasi unmöglich machte. Auf breiter Ebene herrscht immer noch die medial geschaffene Verblendung von Clans als reiner Männergesellschaften vor. De facto haben Frauen in allen wichtigen Organisationen in Italien (‘ndrangheta, Cosa Nostra, Camorra und die kleineren Gruppen) bedeutende Rollen inne.

Die neapolitanische Camorra, die sich als fortschrittlichste Organisation versteht, kennt weibliche Bosse. Sogar das Beispiel einer Transfrau, die eine Gruppe führte, ist belegt. Auch verschiedene Vernehmungen mit weiblichen (Kron-)Zeugen zeigten, dass die Bedeutung von Frauen weit größer ist als nur Kinder zu erziehen und die (Un)werte der Mafia weiterzugeben. Richtig ist aber auch, dass es innerhalb der kalabrischen ’ndrangheta den Clans wichtig ist, Frauen möglichst stark unter Kontrolle zu halten, gerade weil ihre Funktion für die Clans so wichtig ist – selbst wenn sie formal nicht Mitglied werden dürfen und damit keine offizielle Funktion einnehmen. Als etwa bekannt geworden war, dass Giusy Pesce zur Kronzeugin wurde und die Seiten wechselte, feierte der gegnerische Clan Bellocco ein fest und spottete darüber, dass die Pesce ihre Frauen offensichtlich nicht unter Kontrolle halten können.

Häufig übernehmen Clanfrauen auch Dienstleistungsfunktionen als Rechtsanwältinnen oder Finanzverwalterinnen und Buchführerinnen. Es hilft, die ’ndrangheta nicht als einen monolithischen Block zu verstehen, sondern als Netzwerk verschiedener Clans, die keineswegs alle die gleichen Regeln und Verfahrensmuster pflegen.

In der Summer School kam aber nicht nur den Frauen in der Mafia große Bedeutung zu, sondern auch denen, die sie bekämpfen. Einige waren persönlich anwesend, etwa die Staatsanwältinnen Alessandra Cerreti und Alessandra Dolce. Zu hören, wie sie mit wichtigen Kronzeuginnen arbeiten, war spannend, erschütternd, aufschlussreich. Ihre Erzählungen glichen einem Thriller – nur mit allein weiblichen Hauptrollen. Auch Aussteigerinnen kamen zu Wort. Beispielsweise berichtete der Theaterregisseur Mimmo Sorrentino davon, wie seine Stücke entstehen. Er arbeitet in Hochsicherheitsgefängnissen mit inhaftierten Mafiafrauen. Er öffnet sie für ihre eigene Geschichte, indem er sie bittet, die Geschichte von Mithäftlingen wiederzugeben. Erst dieser Trick ermöglicht die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben. Wie beeindruckend das geht, berichteten zwei Frauen, die in seinen Stücken mitgespielt haben. Eine der Schauspielerinnen erzählte, wie sie sich in einen jungen Mann verliebte, einen hochrangigen Mafioso aus einer bekannten Familie. Es sind auch Zeugnisse wie diese, die das Wissen über Organisierte Kriminalität nicht nur vertiefen, sondern auch anschaulich werden lassen.

Überraschend war die Unterstützung der Summer School durch höchste Autoritäten. Giuseppe Sala, der Bürgermeister von Mailand kam zur Eröffnung und kündigte an, dass die Kommune die zehnte Ausgabe der Summer School im kommenden Jahr unterstützen werde. Italiens höchster Antimafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho persönlich übergab neben vielen anderen bedeutenden Personen am Ende Zeugnisse.

Kategorie: Blog, Italien, Mafia

Vom furchtlosen Mafioso zum furchtlosen Antimafioso

5. September 2019 von S M

Luigi Bonaventura war Boss des mächtigsten Clans in Crotone, er beging fünf Morde, seien Männer handelten mit Drogen, erpressten Schutzgeld, das volle Programm. Dann wechselte er die Seiten. Das war 2007. Er berichtete der Antimafia-Staatsanwaltschaft alles, was er wusste, und belastete unzählige frühere Mitstreiter. Das alles aus freien Stücken. Viele Mafiosi werden zu Kronzeugen, weil sie merken, dass ihre Autorität zunehmend in Frage gestellt wird. Bei Luigi Bonaventura war das anders, er wollte seinen Kindern eine freie Zukunft ermöglichen und sie nicht in die Mafia zwingen.

Ich habe 2012 sehr viel Zeit mit ihm verbracht und seine Geschichte aufgeschrieben. Nach unseren Treffen saß er seine Strafe im Gefängnis ab, kam frei und lebt jetzt an einem geheimen Ort. Noch immer arbeitet er mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Inzwischen ist Bonaventura Teil einer Gruppe, die sich für einen besseren Schutz von Kronzeugen und deren Familien einsetzt. Denn in Italien weist das staatliche Programm leider sehr viele Mängel auf und muss dringend verbessert werden. Bonaventura ist vom Mafioso zum Antimafioso geworden. Nun hat er einen Brief an die ’ndrangheta geschrieben, um andere vons einem Weg, dem Ausstieg aus der Mafia, zu überzeugen. Hoffentlich fällt sein Vorhaben auf fruchtbaren Boden.

„Meine lieben Ex-Kumpane,

ihr müsst die Kinder zur Schule schicken, ihnen eine andere Zukunft zeigen, wir befinden uns im Jahr 2019, aber was zum Teufel macht ihr? In Rosarno war ich zu Hause und so ihr in Crotone (und auch an anderen Orten), also lasst uns uns nicht mit Gerede aufhalten, ihr wisst, wer ich bin. Rocco, Salvatore, Ciccio (die ihr nicht Teil dieser Verhaftungen seid), diese Sache und anderes hat mich stark berührt und ich habe eine Entscheidung getroffen. Bald werde ich einen Blog (oder etwas ähnliches) beginnen, wo ich Euch sagen möchte, wie es läuft. Ich werde Euch mit Verständnis, Empathie und Ehrlichkeit begegnen, ich werde mit offenen Herzen mit Euch sprechen, um Euch zu sagen, dass bestimmte Dinge nicht mehr in diese Zeit gehören.

Wir alle sind Kinder der mamma ’ndrangheta, Brüder des Unheils wie auch dieses Kind, das für mich wie ein kleiner Bruder ist. Und für ihn und andere werden wir mit dem Komitee zur Unterstützung von Justiz-Kollaborateuren alles im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten tun, um sie zu schützen und ihnen zu helfen. Wir werden darauf achten, dass sie nicht für die Spekulation benutzt oder instrumentalisiert werden, und wenn je, dann gewiss von der anderen Seite. In diesem Blog werde ich zu meinen früheren Kumpanen aus Reggio Calabria, Crotone, Sinopoli, Santa Eufemia Aspromonte, Gioiosa Jonica usw. [Orte mit starken Mafia-Präsenzen] sprechen. Ich werde zu den Grande Aracri, den De Stefano, den Arena, den Nicoscia, den Piromalli, den Bellocco, den Pesce, den Alvaro, den Pelle, den Mammoliti, den Megna, zu meinen ehemaligen Männern, meiner Familie usw. sprechen. Ihr kennt mich alle, und wenn einige von euch mir auch noch nicht persönlich begegnet sind, wisst ihr doch, wer ich bin und wer mein Großvater war, wer mein Onkel Gianni war, wer meine Familie war.

Ich will Euch fragen, ist das ein Leben? Ist es wirklich das, was Ihr für Eure Kinder und die neuen Generationen wollt? Ist es nicht genug, wie wir leben? Ich weiß, dass der Staat, die Anti-Mafia-Vereine und andere mehr tun können und müssen, aber auch Ihr müsst die Bedingungen schaffen. Ihr könnt kooperieren und ich verstehe, dass es für Euch äußerst schwierig ist. Oder behaltet das Geld, das ihr gemacht habt, und sagt Euch los, haltet ein, und wenn es nötig ist, geht weg. Seht Ihr denn nicht, dass sie jetzt auch versuchen, Euch die Kinder zu nehmen? Zu Recht, wie man Euch die Schuld geben kann, sie im Sinne der ’ndrangheta zu erziehen. Wie viele von Euch sitzen als Mafiosi nach dem Paragraphen 41bis in verschäfter Haft? Ist dies denn ein Leben, für Euch und besonders für Eure Familien? Wie viele liebe Freunde oder getötete Verwandte hat jeder einzelne von Euch?

Kritisiert mich nicht voreilig, ich kenne die mamma ’ndrangheta gut, Ihr werdet sehen, dass ich mit dem Herzen auf der Zunge sprechen werde und viele, viele Schwierigkeiten verstehe, die es gibt. Ich werde Euch sagen, was gut oder auch was schlecht ist auf dieser Seite und warum es richtig ist, auf dieser Seite zu sein, Ich, der ich nicht besser bin als jeder andere und mit so vielen Sünden auf meinen Schultern.

Grüße an alle.

Luigi Bonaventura

Kategorie: Blog, Mafia

  • « Vorherige Seite
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • …
  • 17
  • Nächste Seite »

Copyright © 2025 · BLITZGEEK webdesign