Vor wenigen Tagen sind der slowakische Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnirova von bislang unbekannten Tätern erschossen worden. Ich bin erschüttert, dass nach Daphne Caruana Galizia ein weiterer Journalist wegen seiner Arbeit in Europa ermordet worden ist. Presseberichten zufolge waren um die Leichname der Beiden Patronen drapiert, als Warnung für weitere Journalisten. In Europa sollte eine Diskussion in Gang kommen, wie man Medienschaffende besser schützen kann. Vor allem aber darf sich das Töten von Journalistinnen und Journalisten nicht auch noch lohnen. Als eine Konsequenz aus dem Mord an Jan Kuciak und Martina Kusnirova sollte schon jetzt als Sofortmaßnahme eine verschärfte Kontrolle der Subventionsempfänger umgesetzt werden. Warum? Möglicherweise stand dieses Thema für die Mörder im Fokus.
Das Magazin, für das Kuciak arbeitete, Aktuality.sk, veröffentlichte inzwischen die Recherchen des ermordeten Kollegen. Er arbeitete gemeinsam mit tschechischen Journalisten und italienischen Kollegen des Investigative Reporting Project IRPI an seinen Geschichten. Den Angaben zufolge recherchierte er über Antonino Vadalà aus Bova Marina im Süden Kalabriens. Aktuality.sk schreibt weiter, der Mann habe sich wegen Mafia-Zugehörigkeit und einem Mord vor Gericht verantworten müssen, er sei aber freigesprochen worden mangels Beweisen. Vadalà zog Aktuality.sk zufolge in die Slowakei, arbeitet dort, anfangs in der Landwirtschaft, bevor er mit einer Frau, Maria Troškova, die im Wirtschaftsministerium arbeitete, ein Unternehmen gründete, Gia Management. In anderen Berichten wird Maria Troskova auch als Assistentin des Premierministers Robert Fico bezeichnet. Jedenfalls war es diese Verbindung zwischen Troskova und Vadalà, die den Ausgangspunkt von Kuciaks Recherchen bildete. Er fand in der Folge heraus, dass im Osten der Slowakei mehrere Clans vertreten sind und zusammenarbeiten. Die Clans besitzen mehrere Unternehmen, insgesamt 56, und bekommen viele Millionen an Subventionszahlungen.
Ermittlungsunterlagen bestätigen, was aktuality.sk schreibt, dass nämlich ein Antonino Vadalà Mafia-Mitglied war. Vadala hat laut Akten, die mir vorliegen, von seinen Kumpanen den Spitznamen „Nino“ bekommen (es ist in Mafiakreisen üblich, die Personen nicht bei ihrem bürgerlichen Namen zu benennen, sondern mit ihrem Spitznamen). mehrere Mitglieder des Vadalà-Clans mussten sich bereits wegen verschiedener Vergehen vor Gericht verantworten. Als bedeutende Gruppierung ist der Clan aber nicht bekannt. Sein Heimatort Bova Marina ist eine Gemeinde, die seit Langem für Mafia-Kontaminationen bekannt ist. Unter anderem finden sich dort Vertreter des Morabito-Clans, der auch enge Deutschlandbezüge unterhält, zum Beispiel lebte der Boss Giuseppe Morabito, U Tiradrittu, bis zu seiner Verhaftung hier. Auch der Vadalà-Clan ist Gerichtsunterlagen zufolge hier ansässig. Eine Vielzahl von Angehörigen der Vadalà-Familie ist auch außerhalb Kalabriens vertreten, zum Beispiel auch in Norditalien.
Sollte der von Aktuality.sk beschuldigte Antonio Vadalà tatsächlich der Mörder sein, gibt es nach der Logik der ’ndrangheta zwei Erklärungsansätze.
– Entweder Kuciaks Recherchen wären mit ihrer in Kürze anstehenden Veröffentlichung derart geschäftsschädigend für die ’ndrangheta gewesen, dass sich sein Tod mit all seinen Konsequenzen für die ’ndrangheta rechnete. Dies würde auch bedeuten, dass das oberste Führungsgremium den Mord an Kuciak genehmigt hätte, denn eine Tat mit einer solchen Tragweite ist den internen Regelungen der ’ndrangheta zufolge definitiv genehmigungsbedürftig durch das Leitungsgremium, die mamma. Oder aber
– es handelt sich bei dem Mord um eine nicht genehmigte Tat eines einzelnen Mafioso. Dies ist insofern wahrscheinlicher, wie die ’ndrangheta seit den Sechsfach-Morden von Duisburg weiß, dass jedes Blutvergießen nachteilig für sie ist und die Aufmerksamkeit nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der Ermittler auf sich zieht. Dies gilt insbesondere in Ländern, die noch nicht allzu stark für die Gefahren durch die italienische Mafia sensibilisiert sind. Zu diesen Ländern dürfte neben so vielen auch die Slowakei zählen.
Ich halte daher die zweite Variante für viel wahrscheinlicher. Ich hoffe, dass die Ermittlungen bald mehr dazu ergeben werden. Die Antimafia-Staatsanwaltschaft in Reggio Calabria teilte mir mit, sie könne den Sachverhalt noch nicht bewerten; das Bild sei unklar und präzise Aussagen daher im Moment unmöglich.
Sollte Variante 1 dagegen zutreffend sein, bedeutete dies eine dramatische Veränderung: Die ’ndrangheta hätte dann einen Strategiewechsel vollzogen. Sie nimmt das Aufsehen, das ein Mord im Ausland erregt, bewusst in Kauf.
Losgelöst von diesen Überlegungen ist folgendes festzuhalten:
– Nach Daphne Caruana Galizia ist erneut ein Journalist Opfer eines Netzwerks von Mafia, Politik und Wirtschaft geworden.
– Die europäische Subventionspolitik wird offensichtlich nicht nur in Italien von Mafiaclans für sich genutzt, sondern auch im Ausland. Das Subventionswesen ist daher radikal zu überprüfen; die Vergabe von Subventionen muss eng an polizeiliche Maßnahmen gekoppelt werden. Zu überlegen ist auch, ob man analog zu Italien ein Zertifikat als Voraussetzung für Subventionszahlungen einführt, dass belegt, dass ein Unternehmen keine Mafiakontakte unterhält. Dazu gehört auch, mehr Transparenz in Bezug auf wirtschaftlich Begünstigte von Unternehmen. Das Transparenzregister muss öffentlich einsehbar sein.
– Die bisherigen Gesetze müssen wirkungsvoll verschärft werden. Die Mitgliedschaft in höher organisierten kriminellen Gruppen wie in Mafiaclans muss europaweit ein Straftatbestand sein. Die Kooperation der Strafbehörden auf europäischer Ebene muss verbessert und vereinfacht werden, dazu gehört auch eine Harmonisierung der Gesetze.
Wenn die Mafia wirklich Jan Kuciak auf dem Gewissen hat (und nicht die politischen Kreise, die von seinen Recherchen bedroht worden sind), dann sind dies Anzeichen einer Machtprobe der Mafiaclans mit dem Staat.