Am vergangenen Mittwoch rückte die Polizei in Spanien, Rumänien, Italien und Deutschland aus, um 30 italienische Mafiosi zu verhaften und vor allem geschäftlich genutzte Räume zu durchsuchen. Allein in Deutschland wurden 48 Wohn- und Geschäftsräume durchsucht und eine Person festgenommen. Was nach einer der (glücklicherweise) üblichen Polizeiaktionen in Europa klingt, ist bei näherem Hinsehen interessanter, als man denkt, vor allem was die Präsenzen der Mafia in Baden-Württemberg anbelangt. Noch halten sich die Ermittlungsbehörden in Deutschland mit näheren Informationen zurück. Doch die Pressekonferenz, die nach dem Schlag am vergangenen Mittwoch stattfand, gab überraschend tiefe Einblicke.
Mafia-Ermittlungen in Italien führten die Ermittler*innen demzufolge zu einem Treffen von Mafiosi auf dem Münchner Oktoberfest, und von dort bald auch in den Bodensee-Raum, zu einem Restaurant in bester Lage, direkt am Wasser mit Seeblick: das Paganini in Überlingen. Italiens oberster Antimafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho sagt das klar und deutlich: „Die Männer der ’ndrangheta haben sich in Touristenorten niedergelassen, in Überlingen und Baden-Baden. An diesen Orten haben sie wirtschaftliche Unternehmungen begründet, insbesondere Restaurants, die „Paganini“ genannt wurden. Außerdem führten sie Import-Export-Aktivitäten durch von Kraftfahrzeugen und waren im Lebensmittelhandel aktiv.“
Federico Cafiero de Raho arbeitet seit Jahrzehnten zur Italienischen Organisierten Kriminalität. Zunächst als Antimafia-Staatsanwalt in Kampanien, dann in Reggio Calabria. Seit 2017 ist er Italiens oberster Mafia-Ermittler. Sein Wort hat also Gewicht. De Raho richtet auf der Pressekonferenz eine deutliche Mahnung an Deutschland: „Die ’ndrangheta befleckt die Wirtschaft in den Ländern wo es ihr gelingt, sich festzusetzen. Als modus operandi, wie sie sich in den Gebieten integriert, dient wieder einmal das Restaurant, die Bar. Die Lokale ermöglichen es ihr, sich zu sozialisieren. Sie sind die Basis, um Kontakt mit Leuten aus der Gegend aufzunehmen.“ De Raho wünscht sich, dass die Gefahr durch die Mafia in Deutschland und Europa ernst genommen wird.
Der Konstanzer Leitende Oberstaatsanwalt Dr. Hans-Jörg Roth beleuchtete das Tun der Mafiosi in Baden-Württemberg näher. Zunächst ging es bei den Ermittlungen um den Handel mit Kokain im Bereich von mehreren hundert Kilo, das aus den Niederlanden importiert und nach Italien gebracht wurde. Diese Deals wurden von einem Mann organisiert, der im Bodenseeraum ansässig war und jetzt in Italien verhaftet worden ist. Bald stieß das deutsche Ermittlerteam aber auf ein kriminelles Businessmodell, das Polizei und Steuerfahndung noch lange beschäftigen dürfte: Steuerhinterziehung in großem Stil. Und zwar habe die kriminelle Organisation Lebensmittel aus Italien importiert und entweder direkt oder über Zwischenhändler an tausende italienische Restaurants in Deutschland geliefert, so Oberstaatsanwalt Roth. Dabei wurden die anfallenden Steuern nicht gezahlt und die anfallenden Profite nach Italien transferiert. Stand heute schätzten die Behörden den entstandenen Schaden für den deutschen Fiskus auf zwei Millionen Euro. Roth betonte, dass es sich bei der Steuerhinterziehung um ein systematisches Businessmodell der Mafia handle, das dem Clan sichere Einkünfte gewährleiste.
Schon zuvor hatten die Turiner Oberstaatsanwältin Anna Maria Loreto darauf hingewiesen, dass auch in Deutschland Gelder aus dem Drogenhandel investiert worden sind. „Die Ermittlungen haben eine weit verbreitete ’ndrangheta gezeigt, die sich Gewaltakten enthält und der es darum geht, sich in der Wirtschaft breitzumachen und Gelder aus kriminellen Aktivitäten zu investieren.“ Diese Investments stützten die mafiöse Macht und schädigten die gesunde Wirtschaft.
Italien hat daraus den Schluss für sich gezogen, möglichst viel des mit kriminellen Aktivitäten erzielten Gewinns einzuziehen. Jedes Jahr werden kriminelle Vermögen und Werte in Milliardenhöhe vom Staat eingezogen. In Deutschland wurde 2017 zwar die Gesetzeslage dazu geändert, dennoch passiert das viel zu selten. Es reicht dazu nicht aus, Schwerpunktstaatsanwaltschaften aufzubauen. Aufwändige Struktur- und Finanzermittlungen müssen mit den nötigen Finanzmitteln ermöglicht werden, die dafür gebrauchten Fachkräfte eingestellt und alle Stellen, die mit der Vermögensabschöpfung befasst sind, aufgestockt werden. Spannend wird daher, was den europaweiten Ermittlungen nun folgen wird.
Es ist inzwischen schon fast eine gesamte Legislaturperiode her, dass die angehende grün-schwarze Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag die Marschroute der Sicherheitspolitik festlegte. In dem 2016 unterzeichneten Dokument heißt es: „Wir werden besonders sozial schädliche Kriminalität besonders im Bereich Bandendelikte und organisierter Kriminalität durch intensivierte Vermögensabschöpfung verstärkt bekämpfen.“ Außerdem heißt es: „Wir prüfen eine Vereinfachung der Regularien zur Vermögensabschöpfung.“ Die damals zukünftige Landesregierung weitet in dem Papier den Fokus und verspricht eine „konsequente Anti-Geldwäsche-Strategie auf Landesebene“, um den „Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg attraktiver und fairer [zu] gestalten.“
Fallen die Mahnungen der italienischen Antimafia-Ermittler im Ländle auf fruchtbaren Boden? Werden die genannten Restaurants nun beschlagnahmt? Tatsächlich hat Baden-Württemberg eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft eingerichtet, in Karlsruhe nämlich. Spektakuläre Erfolge indes waren noch nicht zu vernehmen. Dabei deuten die Aussagen der italienischen Ermittler zu der jetzt erfolgten Operation ja durchaus darauf hin, dass es bei Kriminellen im Ländle reichlich zu holen gibt.
Die Instrumente dafür sind eigentlich da, nicht nur für diese ’ndrangheta-Zelle. Sie müssen nur zur Anwendung kommen. Im Fall dieser Operation war vor allem die sehr gute Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg entscheidend. Immer wieder ist dafür auch der individuelle Einsatz einzelner Kräfte ausschlaggebend, solange Antimafia-Ermittlungen keine Priorität seitens der Politik eingeräumt wird. Für die Operation Platinum hat ein deutscher Ermittler des LKA hat zwischen Deutschland und Italien vermittelt und das Ermittlungsverfahren maßgeblich auf den Weg gebracht. Daraufhin kam eine Gemeinsame Ermittlungsgruppe zustande. Dieses recht neue europäische Instrument der Verbrechensbekämpfung erlaubt, dass Ermittler*innen aus mehreren Ländern in einem gemeinsamen Team zusammenarbeiten und die Ergebnisse der Maßnahmen von den Strafverfolgungsbehörden in den entsprechenden Ländern uneingeschränkt verwendet werden können. Eurojust hat die Aktionen koordiniert. Es wurden von deutschen und italienischen Ermittlern gemeinsam Kronzeugen vernommen, die wichtige Informationen zu den Mafia-Aktivitäten in Deutschland geben konnten. Es ist also trotz aller Bekenntnisse seitens der Politik gerade bei der Bekämpfung der Mafia immer wieder persönliches Engagement vonnöten, das Engagement von Staatsanwält*innen, die vor komplizierten, aufwändigen und langwierigen Ermittlungen nicht zurückschrecken, und das Engagement erfahrener Polizeikräfte. Der Leitende Oberstaatsanwalt Roth hat sich nach Abschluss der Ermittlungen daher eigens hingesetzt, um einen Brief an den neuen Präsidenten des Landeskriminalamts in Stuttgart zu verfassen. In ihm dankt er für die Unterstützung des LKA bei den Ermittlungen.