Rom, 20.4.2011, Kontext: Wochenzeitung
Eine Weltsensation, sagt Pater Heinrich Wilhelm Pfeiffer, gebürtiger Tübinger und Kunstexperte an der Gregoriana-Universität in Rom. Pfeiffer ist sich sicher: Eine Christusfigur, die nach 500 Jahren wieder aufgetaucht ist, soll von Michelangelo stammen. Um das Kunstwerk rankt sich eine lange Geschichte: Einst soll die Figur im Schutt einer Kirche gelegen haben, und nun interessiert sich offenbar auch die Mafia für sie. Oder doch nicht?
Rom, April 2011, Kontext:Wochenzeitung
I. Der Christus
Hier war der Christus also gestanden. Pater Heinrich Wilhelm Pfeiffer sitzt da, die weißen Brauen über seinen Augen leuchten, manchmal legt er wie ein kleiner Junge die Hände zusammengefaltet in den Schoß. Auf dem Schreibtisch vor ihm türmen sich Bildbände, CDs, Fotografien. Das altmodische Tastentelefon versinkt darin. Neben einer Lupe auf einem Stapel Notizbücher lächelt Benedikt XVI. freundlich aus einem Bilderrahmen. Eine Weltsensation würde man hier nicht suchen. Doch für Pfeiffer ist die Sache klar. Diese Figur von Michelangelo wird die Kunstgeschichte umschreiben.
Der perfekt proportionierte Christus, das Idealbild des menschlichen Körpers, feinste Anatomie, 40 Zentimeter hoch, beinahe 500 Jahre im Verborgenen geblieben. Ein Kruzifix von unschätzbarem Wert, aus einem Stück Holz geschnitzt, ach was geschnitzt: Geschnitzt ist ein grobes Wort, das verträgt sich nicht mit Anmut und Perfektion. In dem kleinen Mund erkenne man die Zähne und gar die Zunge, schwärmt der Kunstexperte Pfeiffer. Dann zeichnet Pfeiffer den feinen Wechsel von Aushöhlungen und Ausbuchtungen zärtlich mit den Fingern in der Luft nach. „So etwas kann nur Michelangelo“, sagt er, „Skulpturen muss man spüren.“ Er lächelt, selig. Doch den Christus spürt derzeit niemand. Er liegt in einem Bankfach in New York und wartet darauf, nach San Marino gebracht zu werden.
Pfeiffer, ein gebürtiger Tübinger, ist 71 Jahre alt und emeritierter Professor für Kunstgeschichte an der Päpstlichen Gregoriana-Universität in Rom. Sein Buch über die restaurierte Sixtinische Kapelle wurde ein Bestseller, er hat einmal eine zuvor unbekannte, immens große Skizze Michelangelos mit einem Entwurf für die Sixtinische Kapelle aufgespürt. Doch diese Figur stellte auch ihn vor ein Rätsel. Es heißt, sie habe ein Bombardement während des libanesischen Bürgerkrieges überstanden, sie sei aus den Trümmern einer katholischen griechisch-melkitischen Kirche gerettet worden. Pfeiffer steht dieser Geschichte skeptisch gegenüber. Sicher ist nur, dass einer der renommiertesten italienischen Kunstexperten den Christus in den siebziger Jahren begutachtet hat. Davon zeugt ein Foto mit dem Stempel der Renovierungswerkstätte.
Das Problem ist: von diesem Christus ist zuvor nie die Rede gewesen. Der Umfang von Michelangelos Werk ist nicht klar definiert, es existiert kein Werksverzeichnis. Das Renaissance-Genie hat einen Gutteil seiner Skizzen verbrannt. Sein Biograf erwähnt dieses Kruzifix ebenfalls nicht. Immer wieder kommen Werke auf den Markt, die Michelangelo zugeschrieben werden, es ist ein Millionengeschäft. Und immer wieder gibt es Streit über einzelne Zuordnungen.
Pfeiffer hat viele Bücher gewälzt. In einem Briefwechsel zwischen Michelangelo und seiner Muse Vittoria Colonna wurde er schließlich fündig. Michelangelos Freundin, die Marchese di Pescara, Vittoria Colonna, habe ein wertvolles Geschenk für einen Freund benötigt, der zum Kardinal gewählt worden war, fand Pfeiffer heraus. In einem Brief schreibt Michelangelo der Marchese: „Da ich in Rom bin, scheint es nicht nötig, das Kruzifix Meister Tommaso zu übergeben und ihn zur Mittelsperson zwischen Eurer Durchlaucht und mir, Ihrem Diener, zu machen, um Ihnen meine Dienste zu erweisen.“
Später schreibt die Marquise an ihren älteren Freund: „Einzigartiger Meister Michelangelo, ich habe Ihren Brief erhalten und das Kruzifix genau betrachtet, das mit Sicherheit in meinem Kopf alle Bilder zerriss, die ich je gesehen habe, man kann keine Figur finden, die schöner gestaltet ist, lebendiger oder noch perfekter vollendet. Ehrlich, ich finde keinen Ausdruck dafür, wie fein und wundervoll es gemacht ist. Aus diesem Grund kam ich zu dem Entschluss, dass es von keines Anderen Hand stammen kann als der Ihrigen. Ich muss es um jeden Preis haben. Ich habe es genau im Licht untersucht, mit einer Lupe und einem Spiegel, und ich sah nie etwas Vollkommeneres. Stets zu Ihren Diensten, die Marchese von Pescara.“
Pfeiffer hat diese Argumentation übernommen. Bisher glaubte man in Kunstkreisen, mit dem erwähnten Kruzifix sei ein Bild gemeint, das im Besitz des Britischen Museums ist. „Ein Kruzifixus ist niemals eine Zeichnung, auch kein Gemälde“, sagt Pfeiffer, „ein Kruzifixus ist immer eine Skulptur.“ Irren also die Experten bei dem Londoner Bild? Pfeiffer hat die Holzfigur ungefähr auf das Jahr 1525 datiert, auch weil sie in ihrer Körperlichkeit mit Skizzen Michelangelos aus dieser Zeit vergleichbar ist. Ein Bild, das im Pariser Louvre aufbewahrt wird, ähnelt dem Kruzifix stark. Michelangelo hat es aber im hohen Alter gezeichnet, nämlich in den 1550er-Jahren, also rund zwanzig Jahre nach dem von Pfeiffer angenommenen Herstellungsdatum des Kruzifixes. Hat Pfeiffer also nur in der Sache Recht, aber nicht mit seiner Datierung?
Der Jesuitenpater hat viele italienische Experten gegen sich. Nachdem ihnen Fotos von der Skulptur vorgelegt wurden, verneinten alle pauschal, dass sie von Michelangelo stamme. Pfeiffer sagt, ihm sei es genauso ergangen. Als er den Christus dann aber vor sich hatte und anfassen konnte, sei ihm klar gewesen, dass er von Michelangelo sein müsse. Leonardo da Vinci ist berühmt für eine Zeichnung, eine Proportionsstudie nach den Erkenntnissen des römischen Architekten Vitruv: Ein Mann steht da in einem Kreis, die Arme ausgestreckt, gleichzeitig berührt er mit Zehen und Fingerspitzen ein Quadrat. Die perfekten Proportionen des menschlichen Körpers wollte Leonardo damit deutlich machen. Pfeiffer sagt, das Kruzifix von Michelangelo stelle die Zeichnung von Da Vinci in den Schatten, Leonardo müsse ja auf die Hilfskonstruktion mit dem Quadrat zurückgreifen.
Der Christus erscheint so in einem anderen Licht: Auch um ihn lässt sich ein Kreis ziehen; der Bauchnabel ist genau in der Mitte. Bemerkenswerterweise bilden die hochgestreckten Arme die Eckpunkte eines Zehnecks, und ein Zehneck ist die perfekte Umsetzung eines Ideals in der Kunst, des Goldenen Schnittes. Anatomisch sind beide Werke von höchster Qualität. Das Wissen von Künstlern über den menschlichen Körper war damals zwar noch rudimentär; doch Leonardo und Michelangelo waren ihrer Zeit voraus, weil sie Anatomiestudien an Leichen vornehmen durften.
Der Kunsthistoriker vermutet, dass Michelangelo die Figur für den Eigengebrauch geschaffen hat: als Modell für seine Skulpturen. Sie wäre damit eine der wichtigsten in der Kunstgeschichte überhaupt. Pfeiffer sieht in dem Kruzifix, das da auf seinem Schreibtisch stand, die Umsetzung der göttlichen Natur, weil der Kreis, der sich um den Bauchnabel ziehen lässt, eine perfekte Form ist. Das Vieleck dagegen mit den beiden Fingerspitzen als Ecken sei ein Symbol für die menschliche Natur, die nach Perfektion strebt, so wie das Vieleck mit jeder weiteren Ecke dem perfekten Kreis näherkommt, ihn aber nie erreicht. Große Dimensionen für eine kleine Figur.
II. Die Dornen
Jetzt sitzt er, der Emeritus, in seinem Büro mit angeschlossener Schlafkoje, seiner Wohnung im Gebäude der Gregoriana-Universität, und erzählt eine Geschichte, die sich um die Figur rankt wie dornige Rosen um einen Toreingang. Pfeiffer fragt sich, in was er da hineingeraten ist. Man kann sich aber auch fragen, ob er jemals wieder aus dieser Geschichte herauskommt. Denn die Mafia will den Christus stehlen, der italienische Staat will ihn konfiszieren, ein Freund von ihm sitzt im Gefängnis, ein weiterer musste sich als CIA-Agent outen, und Pfeiffer, Pfeiffer will seine Ruhe.
Diese Geschichte beginnt in einem kleinen Institut, dem Internationalen Institut zur Erforschung des Heiligen Angesichts unter dem römischen Kardinal Fiorenzo Angelini unweit des Petersdoms. Wo könnte eine Geschichte über die perfekte Christusfigur besser ihren Ausgang nehmen als in einem Raum, der das geballte Wissen über die Darstellung Jesu birgt? Draußen liegt die breite Via delle Conciliazione, Touristenmassen wogen gen Sankt Peter. Im Hof döst eine Katze, und oben im Institut steht ein Buch neben dem anderen; die Darstellung Jesu ist ein weites Feld. Der Institutsgründer Angelini schätzte Pfeiffers kunsthistorischen Sachverstand und bat ihn, für ihn zu arbeiten. Pfeiffer, ein freundlicher und gütiger Mensch, fühlte sich geehrt. Er stellt sein Licht zwar gerne unter den Scheffel, weiß aber auch, dass es ziemlich hell ist. Er sagte zu.
In diesem Institut kreuzten sich die Wege von Heinrich Pfeiffer und den damaligen Besitzern des Kruzifixes zum ersten Mal. Irgendwann im Jahr 2001 lag ein Foto auf Pfeiffers Schreibtisch – es zeigte das Kruzifix. Angelini fragte ihn, was er davon halte, es sei ein Michelangelo. „Ich sagte, das ist kein Michelangelo, das ist Barock.“ Angelini antwortete, er solle vorsichtig mit seinem Urteil sein, immerhin sei der Besitzer ein Botschafter der Republik San Marino. Wenn dieser etwas wissen wolle, ließ Pfeiffer ausrichten, solle er am nächsten Morgen vorbeikommen. „Die kamen dann und hatten die Statue dabei, schön, in einem Kästchen“, berichtet Pfeiffer. Vor Pfeiffer standen der besagte Botschafter, Giacomo Maria Ugolini, und dessen persönlicher Sekretär, Angelo Boccardelli.
Pfeiffer freundete sich mit Ugolini an. Als der im Januar 2006 starb, erteilte er dem Botschafter die Letzte Ölung. Mit dem Sekretär Boccardelli ist der Priester ebenfalls gut befreundet. Boccardelli übernahm nach dem Tod seines Chefs dessen Reichtum und auch seine Kunstwerke. Gemeinsam mit seinem Freund Giorgio Balestrieri führt er die nach dem Botschafter benannte Stiftung. „Das hat ihn überfordert“, sagt Pfeiffer, „der Arme sitzt jetzt unschuldig im Gefängnis.“ Pfeiffer redet eigentlich immer ruhig und überlegt, doch das Schicksal seines Freundes lässt ihn zornig werden. „In Italien werden Unschuldige oft ins Gefängnis gesetzt, auf reine Vermutungen hin“, wettert er.
Der italienische Anti-Mafia-Staatsanwalt Roberto Di Palma sieht das anders. Er hat Ermittlungen gegen einen ‚Ndrangheta-Clan in Gioia Tauro geführt, einem Städtchen an der Spitze des italienischen Stiefels. Gioia Tauro hat einen Hafen, der für Europa wichtig ist, nicht nur, weil dort ein Großteil der Autoimporte anlandet, sondern auch ein Großteil des Kokains für den Kontinent. Der Hafen ist zudem eine Drehscheibe des Waffenhandels, außerdem geht hier viel Ware aus China ein. Der Hafen wird gemeinsam von zwei Clans der organisierten Kriminalität beherrscht: den Molè und den Piromalli.
Di Palma und seine Kollegen haben sich zwar mit Socken und T-Shirts beschäftigt und nicht mit Kunstwerken. Am Ende haben sie dennoch Boccardelli festnehmen lassen, zusammen mit 27 anderen Verdächtigen. Im Laufe der Ermittlungen hatte sich herausgestellt, dass die Stiftung von Boccardelli und Balestrieri Geschäfte mit dem kalabrischen Mafiaclan der Molè machte.
Eigentlich sollte auch Boccardellis Freund Giorgio Balestrieri festgenommen werden. Offiziell gilt er als flüchtig, auch wenn er sich wohl in New York aufhält. Über seinen Anwalt ließ Balestrieri verlauten, er sei ein CIA-Agent und habe einen Auftrag. Nur deshalb sei er in Kontakt mit den Mafiosi gestanden, er sei nicht Teil ihrer Gruppe. Als Beleg legte er den E-Mail-Verkehr mit Joe Peters, einem Sicherheitsberater des Weißen Hauses, bei. Schaut man auf seine Vergangenheit, weiß man nicht, ob man ihm oder dem Staatsanwalt glauben soll. Balestrieri ist ein schillernder Typ: Er arbeitete in den Achtzigern laut einem Dossier des italienischen Geheimdienstes eng mit Licio Gelli zusammen, dem Gründer der Geheimloge P 2, die vermutlich einen Staatsumsturz plante und Silvio Berlusconi als Mitglied hatte. Balestrieri ist ein Ex-Kommandant der italienischen Marine, ein ranghoher Freimaurer, er verkehrte mit Waffenhändlern und dubiosen Gestalten und ist auf höchster Ebene bestens verdrahtet. Im Jahr 1980 siedelte er nach Amerika über und baute sich dort eine Existenz in der Branche der Sicherheitstechnik auf. Sein Unternehmen entwickelt die Technologie für Sicherheitskontrollen an den Grenzen, außerdem ist er mit einem weiteren Unternehmen an Operationen in Krisengebieten beteiligt.
Die Stiftung des Botschafters von San Marino, Ugolini, war in Besitz einer alten prachtvollen Villa aus dem 16. Jahrhundert mit hundert Zimmern. In dem Gebäude in den Hügeln vor Rom wohnten einst Schwestern, später wurde es zu einem Hotel ausgebaut. Der Molè-Clan hatte aus seinen schmutzigen Geschäften viel Geld angehäuft, das er, den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge, waschen wollte: Ein Vorvertrag über den Verkauf der Villa wurde zwischen der Stiftung und einem Unternehmer namens Cosimo Virgilio abgeschlossen, einem Verbündeten des Clans der Molè. Virgilio arbeitete für den Clanchef Rocco Molè, sein Cargoservice wickelte im Hafen von Gioia Tauro illegale Geschäfte ab: Er führte gefälschte wie echte Markenkleidung aus China ein und versteuerte diese weit unter Wert. In allein vier Monaten habe Virgiglio 600 000 Euro Profit gemacht, sagt ein Clanmitglied in einem abgehörten Gespräch. Davon profitierten auch die Molè.
Schon lange wurde in Italien über eine Zusammenarbeit zwischen Freimaurern in San Marino und der organisierten Kriminalität im Süden gemutmaßt. Dass es Verbindungen gibt, ist allein deswegen schon wahrscheinlich, weil San Marino ähnlich wie Liechtenstein und Luxemburg diskrete Geldgeschäfte ermöglicht. Zudem hat in San Marino eine potente Freimaurerloge ihren Sitz, und in der Vergangenheit halfen Freimaurer der ‚Ndrangheta bei der Geldwäsche.
Die Ugolini-Stiftung hatte sich ein lebenslanges Bleiberecht in der Villa vertraglich zusichern lassen. Ihr offizieller Sitz in Italien war eine elegante Suite im dritten Stock des Hotels, zugänglich nur über einen extra Aufzug. In den Sälen des Hotels stellte sie ihre Kunstwerke aus. Die Stiftung wollte in der Villa Vecchia eine „Freie internationale Universität für die Erforschung des Mysteriums des Menschen und der Entwicklung der menschlichen Fähigkeiten“ aufbauen. Ugolini war ein Freimaurer, Boccardelli und Balestrieri sind es ebenfalls; die Universität sollte eine Fortbildungsstätte für ihresgleichen werden. Pfeiffer vermutet zudem, dass es ein Freimaurer-Netzwerk war, das den Christus vor vielen Jahrzehnten aus den Kunstbeständen des Vatikans herausholte.
Die Kunstwerke, die die Stiftung im Hotel ausstellte, waren vor allem Prestigeobjekte. Ein Mitarbeiter erinnert sich, wie einmal zwei wertvolle Gemälde in einem Saal für Fotografen inszeniert wurden: Spots wurden aufgestellt, edler Samt drapiert. Nachdem die Fotografen gegangen waren, kamen zwei Angestellte Virgilios, nahmen die Bilder und pfefferten sie hinter einen Schrank. Es waren eigens angefertigte Fälschungen.
Auch der Christus wurde mehrmals im Hotel präsentiert, doch er wurde stets mit Samthandschuhen angefasst. Bei der Kommunion des Sohnes von Cosimo Virgilio stand die Figur im Mittelpunkt, sie wurde im vorderen Teil des Saales aufwendig präsentiert. Auch Pfeiffer war zu dieser Feier eingeladen. Nach dem Fest brachen Unbekannte in die Villa des Botschafters Ugolini in San Marino ein und stemmten einen Safe aus der Wand, in dem sie den Christus vermuteten. Die Männer waren unmaskiert, sie gaben sich keine Mühe, ihre Identität zu verschleiern. Offensichtlich wollten sie mit dem Raub des Christus ihre kriminelle Macht demonstrieren. Doch die Diebe mussten machtlos wieder abziehen: Die Figur war längst nach New York gebracht. Dort liegt sie heute noch in einem Bankfach. Angeblich weiß nur Giorgio Balestrieri, wo.
III. Die Kreuzigung
In der Villa Vecchia wurden Geschäftsfreunde zu Geschäftsfeinden. Virgilio war die Stiftung und ihr lebenslanges Bleiberecht ein Dorn im Auge. Er war Mieter, wollte das Hotel aber kaufen und das Bleiberecht der Stiftung auf zwanzig Jahre beschränken. Nachdem ihm dies nicht gelang, hetzte er ein Prügelkommando auf Boccardelli und Balestrieri. Am Ende setzte er Boccardelli eine Pistole an die Schläfe und drohte, auch dessen Eltern, zu denen Boccardelli sich geflüchtet hatte, umzubringen, wenn er das Hotel nicht abgebe. Die Situation wurde brenzlig und brenzliger. Rocco Molè war in der Zwischenzeit ermordet worden, niemand wusste, wie sich das Machtvakuum auswirken würde. Virgilio hatte Sorge, seine Geschäfte im Hafen zu verlieren, und suchte Beistand bei einem anderen Clan, ebenfalls aus Gioia Tauro. Boccardelli seinerseits bat einen weiteren Clan um Hilfe. Es drohte ein Kampf der Clans um die Vorherrschaft, mit Angelo Boccardelli und seiner Villa Vecchia mittendrin. Ende 2009 beendete die italienische Polizei das Ganze und nahm Mitglieder des Clans der Molè wie auch der Stiftung fest. Die Villa Vecchia steht nun unter staatlicher Führung.
Was mit der Statue passieren wird, ist fraglich. Der italienische Staat hat das Hab und Gut der Stiftung wegen der Zusammenarbeit mit dem Mafia-Clan beschlagnahmt, also auch den Christus. Pfeiffer sagt, in Wahrheit habe der italienische Staat von Anfang an die Statue im Auge gehabt. Derzeit laufen Verhandlungen zwischen dem Innenminister von San Marino und der Stiftung; die Figur soll höchstoffiziell in den Zwergenstaat zurückkehren. Eine Beschlagnahme ließe sich so vermeiden. Pfeiffer sagt, man habe ihm gesagt, dass er die Figur von Ugolini geerbt habe: „So ist es mir also zugefallen, plötzlich Akteur in einem Kriminalroman zu sein.“ Wenn das so stimmt, ist der Pater nun um eine Skulptur von unschätzbarem Wert reicher. „Das lässt mich völlig kalt“, sagt Pfeiffer. „Das ist Welt. Ich habe allem entsagt.“ Dann erzählt er, dass Gott ihn aus der Welt herausgezogen habe. Er lächelt, selig. Die Freundschaft zu Michelangelo werde sicher eine der interessantesten werden, sagt Pfeiffer. Irgendwann, in der Ewigkeit.
Fotos: Max L. Studio und Hi-Com.