Es gibt Gespräche, die fallen einem als Journalist nicht leicht. Wie ist es mit einer Frau zu sprechen, deren Schwester von einer Bombe in tausend Stücke gesprengt worden ist? Wie ist es, mit jemandem zu reden, deren Neffen die Mutter, deren Schwager die geliebte Ehefrau genommen worden ist? Wenn wir über Daphne Caruana Galizia sprechen, ist es zunächst das: Ein Mensch wurde seinen Geliebten genommen. Ich saß da, manchmal mit feuchten Augen.
Mein Verein mafianeindanke hat eine Konferenz organisiert, coreact genannt (correct/react/act), die zum ersten Mal Aktivist*innen aus aller Welt, die gegen die Mafia und Organisierte Kriminalität, gegen Geldwäsche und für Transparenz kämpfen, zusammen brachte. Den Eröffnungsabend im wunderbaren bUm – Raum für die engagierte Zivilgesellschaft, widmeten wir Jan Kuciak und seiner Verlobten und Daphne Caruana Galizia. Es ist Teil eines halbwegs verzweifelten Versuchs, den Morden an diesen Journalisten die Aufmerksamkeit zu geben, die aus unserer, aus meiner Sicht dringend nötig ist. Wenn inmitten von Europa politische Lenker mit der Mafia gemeine Sache machen, wenn Staaten für Projekte der Organisierten Kriminalität gekapert werden, wenn Journalisten, die dazu recherchieren, ermordet werden, dann sollten sämtliche Alarmglocken läuten, die Europa zur Verfügung hat. Doch das passiert nicht. Dabei sind hier zentrale Werte Europas wie Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit nicht nur verletzt, sondern zerstört. Vor allem der Fall Malta ist verstörend: korrupte Politiker dienen sich der Organisierten Kriminalität an, verkaufen unter anderem Visa und (europäische!) Staatsangehörigkeiten, bereichern sich über Briefkastenunternehmen und können dazu noch Ermittlungen gegen sich massiv beeinflussen bis unterbinden. Ja, Malta ist ein Mafiastaat, den man bisher in Europa weitgehend gewähren ließ.
Dagegen kämpfte Daphne Caruana Galizia. Mit ihrem Schwert, der scharfzüngigen Beobachtung und dem deutlichen Wort. Mit einem klar genordeten Kompass, der sie lehrte Korrektheit von Führungspersonen zu verlangen. Und mit einem ordentlichen Maß Hartnäckigkeit. Ja, Daphne Caruana Galizia war für viele eine Nervensäge, weil sie nicht aufhörte, Zustände anzuprangern. Aber Demokratien brauchen solche Nervensägen. Solche Charaktere, die sich nicht verbiegen lassen. Die Widerstände nicht scheuen. Und was waren das für Widerstände in ihrem Fall: Man versuchte, ihr haus anzuzünden, zwei Mal. Man überzog sie mit Klagen (im Übrigen wirkten daran ehrenwerte Rechtsanwaltskanzleien gerne mit). Man sperrte ihre Konten. Man bedrohte sie, vergiftete den Hund der Familie. All das, ich wiederhole mich, mitten in Europa. Und dieser europäische Mitgliedsstaat Malta vermochte es eben nicht, sie zu schützen. Nein, seine Führungsfiguren haben entweder dabei zugesehen oder sogar aktiv mitgewirkt, sie umzubringen. Und: diese Führungsfiguren sind heute noch, mehr als zwei Jahre danach, unbelangt.
Für mich als Journalist, der zur Mafia recherchiert und aufklärt, ist das natürlich auch eine persönliche Sache. Ich will nicht, dass von mir hochgeschätzten Kollegen so etwas passiert. Ich will nicht, dass mir so etwas passiert. Journalisten, die ihre Arbeit machen, dürfen nicht in einer solchen Gefahr sein. Und dennoch musste ich vernehmen, dass das Interesse an diesen für Europa an sich zentralen Geschehnissen marginal ist. Natürlich hat man vernommen, dass Jan Kuciak in der Slowakei ermordet worden ist. Es gab tolle Initiativen, die seine Recherchen fortgeführt haben. Natürlich wurde überall berichtet, wie man Daphne Caruana Galizias Wagen mit ihr drin in die Luft gesprengt hat und das Wrack hat wohl jede/r als Bild vor Augen gehabt. Aber wo ist das Interesse für die Hintergründe? Wer weiß schon genau, was die Mafiosi in der Slowakei gemacht haben? Wie sie sich mit europäischen Fördergeldern bereicherten? Wer weiß schon genau, wie die Mafiaclans Malta für die Geldwäsche nutzen? Und was österreichische Banken damit zu tun haben? Und wie Wettfirmen in Innsbruck mit Malta und der italienischen verbunden sind? Und welche Honorarkonsuln europäischer Mitgliedsstaaten dazu die Unternehmen eingetragen haben? Nein, soweit reicht das Interesse nicht. Es erfüllt mich mit Gram, aber mit diesem Desinteresse tragen wir alle ein kleines bisschen Mitschuld an den Toden. In dem Gespräch habe Corinne Vella, Daphne Caruana Galizias Schwester, gefragt, ob ein verstärktes Interesse an der Arbeit ihrer Schwester diese geschützt hätte. Im Grunde eine rhetorische Frage…
Es ist gut, dass Europa aufgewacht ist. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein eindeutiges, mahnendes Wort nach Malta geschickt. Sie hat zwar als Kommissarin eine Frau in ihren Reihen, über die Daphna Caruana Galizia ebenfalls berichtete, nämlich Helena Dalli, hier und hier. Frau Dalli hat offenbar sehr enge Verbindungen zu einem Kokaindealer, der 15 Jahre in Haft saß, also kein kleiner Fisch. Dennoch hoffe ich sehr auf Druck aus Europa. Denn es sind zwei Faktoren, die sich als wirksam rausstellten: Einige Europaabgeordneten, die Malta kritisch sahen und sehen – beispielsweise weigerte sich Roberta Metsola, dem Premier Joseph Muscat die Hand zu geben. Eine kleine, aber wichtige Geste, bedenkt man, dass in dessen Büro die Fäden zur Ermordung von Daphne Caruana Galizia zusammenliefen. Es gab in dieser Woche eine Kommission des Europaparlaments, die untersuchte, inwiefern die Rechtsstaatlichkeit in Malta gegeben ist. Das ist wichtig.
Die wichtigste Rolle spielt aber die Zivilgesellschaft in Malta. Abend für Abend kommen viele tausende Menschen vor dem Parlament zusammen, schreien ihre Wut heraus und fordern Gerechtigkeit. Die Regierung hat inzwischen den Platz zum Sperrgebiet erklärt, doch die Demonstrierenden machen weiter. Und auch das Mahnmal für die Ermordung von Daphne Caruana Galizia, das die Regierung seit seinem Bestehen jeden Abend von Blumen und Würdigungen freiräumen lässt, füllen die Menschen jeden Tag aufs Neue. Es ist traurig, dass die Zivilgesellschaft hier eine Rolle übernehmen muss, weil ein rechtlich wirksamer Hebel fehlt. Aber es lässt hoffen, dass es gelingt, dem Mafiastaat Malta wieder auf den rechten Weg zurückzuhelfen. Wir in Europa sollten der Zivilgesellschaft, die dort unser rechtsstaatliches Europa, unsere Pressefreiheit, unsere Grundrechte verteidigt, dankbar sein. Und sie nicht mit Nichtbeachtung strafen.