Ich war als Studiogast in der Sendung Planet Wissen und habe dort baden-württembergische Behörden schwer kritisiert. Im Folgenden daher auch hier der Text, der auf der Seite von mafianeindanke erschienen ist:
Der Vorsitzende des Berliner Vereins mafianeindanke, der Journalist Sandro Mattioli, hat in der Sendung Planet Wissen des SWR am 28.1.2022 schwerwiegende Vorwürfe gegen baden-württembergische Behörden erhoben. Mattioli sagt in der Sendung auf eine Frage zu Ermittlungen gegen den Gastwirt Mario L.:
„Es gab Versäumnisse, die eigentlich zu einem Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg führen müssten:
Man hat probiert, Mario L. aus dem Kreis der Verdächtigen rauszuhalten,
man hat dem StA aus Italien die Tür vor der Nase zugeschlagen
man hat die Unterlagen [aus Italien] in den Justizbehörden nicht bearbeitet
und man hat schließlich noch einen sehr verdienten Polizeibeamten, der viel Druck gemacht hat, aus dem Amt entfernt.
Das Bild von ‚Pizzerien‘ und ‚Tarnung‘ und ‚versteckt‘ ist deswegen nicht angemessen, was diese Situation in Baden-Württemberg anbelangt. Es ist eher so, dass hier alles unter dem Licht der Sonne passiert, aber man aus Gründen, die mir nicht erklärlich sind, nichts tut.“
Der Verein mafianeindanke möchte dazu gerne ergänzende Informationen hier anbieten:
Baden-Württemberg:
Baden-Württemberg ist das Land mit der höchsten Dichte an Mafiosi. Nach offiziellen Zahlen lebten 2021 mindestens 181 Mitglieder italienischer Mafia-Organisationen im Ländle, ein neuer Höchststand. Viele sind bestens integriert, leben schon seit Jahrzehnten in Deutschland. Vor allem in Stuttgart hat die ‘ndrangheta weitreichende Strukturen aufgebaut und ist engmaschig mit der italienischen Community wie auch mit Wirtschaft, Politik, Kultur und Sport vernetzt. Aber auch an vielen anderen Orten etablieren sich neue Mafia-Strukturen und verfestigen sich bestehende. Obwohl die italienische Mafia zahlenmäßig so stark ist, gibt es im Landeskriminalamt in Stuttgart lediglich zwei Stellen, die sich mit Verfahren mit Mafia-Bezug befassen. Erfolge im Kampf gegen die Mafia, vor allem in der Metropolregion Stuttgart, sind meist das Ergebnis von Ermittlungen in Italien und nicht Ergebnis eigener Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart.
Mario L. und das Ermittlungsverfahren Stige:
Dies war auch im Fall des in der Sendung erwähnten Mario L. der Fall. Der Gastwirt war vor allem in Stuttgart aktiv. Dennoch sind die in dem Wortbeitrag angesprochenen Ermittlungen nicht in Stuttgart geführt worden, sondern in Hessen. Die hessisch-italienischen Ermittlungen führten 2018 zur Verhaftung von L. in Italien und schließlich zu einer Anklage gegen Mario L.. Diese hatte eine Verurteilung im Jahr 2019 zu knapp elf Jahren Haft zur Folge.
Der Gastwirt stand bereits seit Anfang der Neunziger Jahre im Fokus der Polizei in Stuttgart. Ein deutscher Mafia-Kronzeuge benannte ihn damals als Mitglied der ’ndrangheta. Die Aussagen dieses Kronzeugen konnten in Bezug auf andere Personen verifiziert werden, der Kronzeuge galt Ermittlern als äußerst glaubwürdig. Dennoch kam es in all den Jahren nie zu einem erfolgreichen Abschluss von Ermittlungen gegen Mario L., abgesehen von einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung.
Das Verfahren, das zur Verurteilung von L. führte, wird in Italien als Operation Stige bezeichnet. Dieses Verfahren war und ist eines der wichtigsten Antimafia-Ermittlungsverfahren mit internationalem Bezug der vergangenen zehn Jahre. Es richtete sich gegen den Clan Farao, der vor allem in Baden-Württemberg, im Großraum Stuttgart, und in Hessen ansässig, und in und um Stuttgart bereits mehrmals polizeilich in Erscheinung getreten ist. Aufgrund der zweifelsohne auf polizeilicher Seite vorhandenen Vorkenntnisse überrascht es umso mehr, dass das Verfahren in Hessen geführt wurde.
Zahlreiche Ungereimtheiten:
Recherchen in Italien zeigen eine Vielzahl von Ungereimtheiten, die kein gutes Licht vor allem auf die Stuttgarter Staatsanwaltschaft werfen. Mehrere Punkte seien hier genannt:
– Im Rahmen der Einleitung dieser Ermittlungen machten sich Vertreter der Staatsanwaltschaft Stuttgart nach italienischen Angaben stark dafür, Mario L. aus dem Kreis der Verdächtigen herauszuhalten. Dies überrascht angesichts der dann vom Gericht verhängten, relativ hohen Freiheitsstrafe von zehn Jahren und acht Monaten.
– Das aus Italien Ende November 2016 abgesandte Rechtshilfeersuchen blieb lange durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart unbearbeitet und wurde erst nach vielen Monaten beantwortet.
– Ein italienischer Staatsanwalt, der eine Beschleunigung dieses bedeutenden Verfahrens bewirken wollte, wurde von der Staatsanwaltschaft Stuttgart abgewiesen. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft stellt die Zusammenarbeit anders dar: In der Antwort auf eine Presseanfrage schreibt sie, die Zusammenarbeit „gestaltete sich gut“.
– Das Ansinnen der italienischen Staatsanwaltschaft, die Identität einer Kontaktperson eines Haupttäters im Verfahren Stige abzuklären, wurde abgewiesen. Dieser Haupttäter ist als Mörder in Italien rechtskräftig verurteilt und hat eine sehr lange Vorstrafenliste, der Mann ist inzwischen wegen der Stige-Ermittlungen zu rund 20 Jahren Haft verurteilt worden. Italienische Akten legen nahe, dass es sich bei der Anlaufstelle dieses Haupttäters in Stuttgart um einen Gastronomen handelt, der bestens ins gesellschaftliche Leben integriert ist und in der Vergangenheit in einer Reihe von Ermittlungsverfahren mit Mafia-Bezug aufgeschienen ist und auch in Austausch mit dem inzwischen ebenfalls verurteilten Mario L. stand. Was bei Mario L. scheiterte, nämlich ihn aus dem Kreis der Verdächtigen herauszuhalten, gelang bei diesem Mann offenbar: gegen ihn wurde tatsächlich nicht ermittelt, trotz der direkten Kontakte zu mehreren Hauptbeschuldigten in dem Ermittlungsverfahren.
– Der erwähnte Polizeibeamte, ein Hauptkommissar, kündete in einem Pressegespräch Anfang Februar 2018 mit dem Stern an, dass die Ermittlungen fortgeführt werden und es zu Beschlagnahmen von Mafia-Vermögen kommen werde. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zitierte ihn, er rechne mit einem halben Dutzend notwendigen Folgeverfahren und Finanzermittlungen. Die tatsächliche Entwicklung war eine andere. Obwohl Mario L. für italienische Antimafia-Ermittler eine wichtige Rolle auch für das Finanzwesen der kriminellen Organisation hatte, blieb sein Vermögen und auch das der Mafia-Organisation ’ndrangheta unangetastet. Die italienischen Staatsanwälte hatten ein Rechtshilfeersuchen zu Finanzermittlungen nach Deutschland geschickt, auch die geltende Rechtslage in Deutschland wäre einer Beschlagnahme nicht entgegengestanden. Dazu kam es jedoch nicht – bis heute nicht. Auf eine Anfrage hierzu erteilt das baden-württembergische Justizministerium die Auskunft, dass eine statistische Erfassung dort nicht erfolge und verweist auf das Innenministerium. Doch auch dort liegen nach Auskunft keine Angaben zu Beschlagnahmen vor, weil Informationen zu Beschlagnahmen bei der Polizei nicht gespeichert würden.
Der Polizeibeamte – ein Mann, der von italienischen Verfahrensbeteiligten als äußerst kompetent eingeschätzt wurde, über jahrelange Erfahrung und ein weitreichendes Netzwerk an Kontakten zu Behörden in Italien verfügte und dessen Engagement und Courage vielfach von Staatsanwälten und Polizeikollegen gelobt wurde – wurde seiner Aufgabe entbunden und auf eine andere Stelle versetzt. Er ist nun nicht mehr mit Mafia-Organisationen befasst.
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Mafianeindanke hat in der Vergangenheit über einen weiteren dramatischen Fall berichtet, bei dem das Verhalten der Staatsanwaltschaft Stuttgart mittelbar zu einem Todesfall geführt hat.
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