Unser Justizminister Heiko Maas hat Edward Snowden Medienberichten zufolge empfohlen, in die USA zurückzukehren. Ich habe mich darüber mächtig geärgert und daher den folgenden Brief an ihn geschrieben. Vielleicht wollen ja auch andere Kolleginnen und Kollegen ihm die Meinung kundtun.
„Sehr geehrter Herr Maas,
ich möchte mit meinem Schreiben Bezug nehmen auf Presseberichte, denen zufolge Sie Edward Snowden geraten haben, in seine Heimat zurückzukehren, und mir erlauben, einige Anmerkungen zu diesem Thema zu machen – auch deshalb, weil nach meiner Ansicht mir die von mir nun angesprochenen Aspekte in der öffentlichen Diskussion bisher zu kurz kamen.
Ich möchte es in aller Deutlichkeit sagen: Ich erwarte von Ihnen als Bundesjustizminister, dass Sie sich für die Einhaltung meiner und unser aller Rechte einsetzen, angefangen bei der Bundeskanzlerin bis hin zu jedem Bürger Deutschlands, einschließlich Ihnen, dessen Kommunikations-Metadaten (und womöglich nicht nur diese) von amerikanischen und britischen (und womöglich nicht nur diesen) Geheimdiensten abgefangen und gespeichert werden. Sie haben in Ihrer Funktion als Bundesminister die Interessen der Bürger Deutschlands zu vertreten, und dazu gehört auch, illegales Handeln ausländischer Geheimdienste zu unterbinden. Leider haben weder Sie noch die Bundesregierung in Bezug auf das andauernde Ausspionieren der Menschen in Deutschland durch amerikanische und britische Dienste bisher Aktivität in diese Richtung entwickelt. Dies ist ein Zustand, der für mich unerträglich ist. Wie Sie vielleicht erkennen können, erfüllt mich das Thema Überwachung durch die Geheimdienste mit Ärger, und ich hoffe, dass etwas von meinem Ärger sich auf Sie überträgt. Schließlich höhlt das anhaltende Ausspionieren unschuldiger Bürgerinnen und Bürger faktisch die Grundlage unseres demokratischen Gemeinwesens aus.
Ich möchte Ihnen auch begründen, weshalb ich von Ihnen erwarte, nicht Herrn Snowden Ratschläge zu geben – was Ihnen nicht zusteht – sondern endlich das zu tun, wofür Sie im Amt sind.
Ich bin ein investigativer Journalist und schreibe hauptsächlich über Themen der Organisierten Kriminalität, vor allem über die italienische Mafia. Dabei begegne ich auch Kontakten und Verstrickungen zwischen Geheimdiensten und kriminellen Milieus. Dasselbe lässt sich auch in Deutschland beobachten – zum Glück nicht allzu häufig im Fall der italienischen Mafiagruppen, aber deutlich etwa im Fall der Rechtsterroristen des NSU, wo, wie Sie sicher wissen, Bezüge zwischen staatlichen Akteuren und Sympathisanten und Angehörigen des NSU deutlich geworden sind. Ein Journalismus, der solcherlei Verstrickungen aufklären will, muss notwendigerweise bestmöglich vor jeder Art von Überwachung geschützt werden. Und er sollte hinreichend vor jeder Spionagebemühung geschützt werden. Dies ist essenziell für sein Funktionieren und somit auch für das Ausüben seiner Kontrollfunktion, die eines der Leitmotive seriösen Journalismus‘ ist. Dies aber geschieht nicht.
In Zeiten stetig schrumpfender Redaktionsbudgets und angesichts zurückgehender Honorare für Artikel, die von aufwändiger Recherche getragen werden, stellen die zunehmenden Kosten für die Geheimhaltung von Quellen und für das Anberaumen und Durchführen vertraulicher Gespräche nicht nur einen kaum mehr zu finanzierenden Posten dar. Sie gefährden zugleich den investigativen Journalismus in seiner Existenz. Zwar wurden in den vergangenen Jahren in vielen Medien der investigative Journalismus in neu geschaffenen Ressorts organisiert. Dennoch hängen viele dieser Ressorts nach wie vor auch davon ab, Themenvorschläge von außen zu erhalten und einzukaufen. Noch wichtiger ist es folglich, auch den vielen freien Journalisten Schutz zu bieten, die sich teure Maßnahmen gegen das Ausspähen und Abhören nicht leisten können.
Es mag sein, dass ein allzu wacher Journalismus lästig ist für diejenigen, die überwacht werden. Sicher ist aber auch, dass langfristig ein demokratisches Gemeinwesen ohne einen Journalismus, der seine Aufgabe erfüllt, kranken wird.
Ich bitte Sie, diese Gedanken bei Ihrem Tun zu würdigen. Setzen Sie sich dafür ein, dass das Post- und Fernmeldegeheimnis in Deutschland mehr wert ist als das Papier, auf dem es geschrieben steht. Leisten Sie Ihren Beitrag dazu, dass das Ausmaß des Ausspionierens ALLER Deutschen aufgeklärt wird. Engagieren Sie sich dafür, dass unschuldige Bürger von staatlichen Institutionen weiterhin wie unschuldige Bürger behandelt werden und nicht wie Straftäter. Wollen Sie Ihrer Berufsbezeichnung gerecht werden, dann setzen Sie sich jetzt für das deutsche Recht ein.
Mit freundlichen Grüßen,
Sandro Mattioli“