Eine Bemerkung vorweg: Die Schriftstellerin Isabelle Lehn hat diese Geschichte über Martina N. und die Deutsche Bank als Vorlage für ihren tollen Roman „Die Spielerin“ genutzt. Wer noch mehr zu Mafia-Aktivitäten und dem Finanzwesen in Deutschland erfahren mag, sei auch auf mein Buch „Germafia“ verwiesen. Auch dort geht es um die Deutsche Bank, und wieder klingt der Stoff wie aus einem Roman…
Im Jahre 2004 musste die Nachrichtenagentur ddp Insolvenz anmelden, weil sie auf einen Hochstapler hereingefallen war. Ein geheimer Bericht des Bundeskriminalamts BKA legt nahe: Hinter dem vermeintlichen Investor stand die kalabrische Mafia. Den Kontakt stellte eine ddp-Mitarbeiterin her, die ein Doppelleben führte.
Die Kollegen des deutschen Medienunternehmens, bei dem Martina N. arbeitete, hätten kaum vermutet, dass die Frau aus dem Vertrieb einmal als Gangsterin in einem derart teuren Hotel in der Toskana absteigen würde, mit klassisch gehaltenen Suiten mit schweren Kassettendecken und barocken Gemälden an der Wand. N. eine zierliche, im niedersächsischen Einbeck geborene Frau, lebte eigentlich in relativ bescheidenen Verhältnissen – sie betrieb Telefonakquise und arbeitete noch nicht einmal Vollzeit. Auch die Mitarbeiter des feinen Hotels Baglioni in Florenz, von dessen elegantem Dachgarten man direkt auf die Kuppel des Florentiner Doms blickt, ahnten nicht, welchen Gast sie da im Jahr 2009 gerade eincheckten. Nur das elektronische System, das automatisch die Namen der Gäste mit der Kartei polizeilich gesuchter Straftäter abgleicht, wusste sofort Bescheid. Und so standen kurz, nachdem Martina N. eingecheckt hatte, Beamte in der Lobby und nahmen die Deutsche mit – ins Gefängnis. Weil die unscheinbare Frau N. nämlich in Wirklichkeit eng mit einem Mafiaclan zusammenarbeitete und seit Jahren flüchtig war.
Hätte man das Doppeleben der Martina N. in Deutschland gekannt, der Nachrichtenagentur Deutscher Depeschen-Dienst wäre viel erspart geblieben, vor allem die Insolvenz im Jahr 2004 und dass die rund 200 Mitarbeiter monatelang um ihren Arbeitsplatz zittern mussten. Nach heutigem Stand sieht es ganz so aus, als habe die Geschäftsführung damals sich mit der kalabrischen Mafia, der ’ndrangheta, eingelassen – wohl ohne es zu wissen.
Wir erinnern uns: Die in Finanznot geratene ddp war im Jahr 2003 von der Pro 7-Gruppe von Leo Kirch an eine Beteiligungsgesellschaft weiterverkauft worden, die mehrheitlich den beiden ddp-Geschäftsführern Lutz Schumacher und Wilfried Hub gehörte. Die ddp-Manager wollten ihr Unternehmen retten, indem sie neue Geldgeber anwarben. Anfang 2004 scheiterte die Zusammenarbeit mit einem ersten Investor. Der Mann war für nicht seriös gehalten worden; der Verdacht der Geldwäsche stand im Raum.
In der Folge, wenige Monate später, bot ein weiterer Investor, ein deutscher Privatmann an, drei Millionen Euro zu bezahlen. Ein Göttinger Rechtsanwalt sollte das Geschäft über die Bühne bringen. Das Angebot wirkte seriös, notariell beglaubigte Papiere belegten die Finanzkraft des Mannes, Franz T.. Dieser war allerdings als Finanzinvestor ein unbeschriebenes Blatt und in der Medienbranche unbekannt.
Das Magazin Focus hatte damals rekonstruiert, wie der Kontakt zu dem Investoren T. zustande kam. Die Telefonistin N. bekam den Investor T. den Angaben zufolge von einem ehemaligen schweizerischen Banker empfohlen. Über ihren Chef kam der potenzielle Investor T. mit den Geschäftsführern der ddp in Kontakt, Lutz Schumacher und Wilfried Hub.
In den Focus-Texten erscheint Martina N. als eine Nebenfigur. Doch diese Darstellung ist nun anzuzweifeln. Denn bis heute war unbekannt, dass von N. Verbindungen direkt zur kalabrischen Mafia ’ndrangheta führen. Martina N. hatte zuvor nämlich ebenfalls in der Schweiz für eine Bank gearbeitet, für eine Filiale der Deutschen Bank. In ihrer dortigen Funktion hatte sie mit dem mächtigen Morabito-Clan aus Africo kooperiert, einem Ort, der fast an der Spitze des italienischen Stiefels liegt. Im Jahr 2000 war Martina N. von dem Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri in Reggio Calabria angeklagt worden. Sie soll den Mafiosi in Kalabrien in Echtzeit Identifikationsnummern gerade ausgegebener Kredittitel gemeldet haben, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Deutsche Bank in Erfahrung bringen konnte.
Die Gangster nutzten diese Informationen, um die entsprechenden Titel zu klonen, ergo zu fälschen. Fünf Jahre später, im Jahr 2005, wurde N. dafür rechtskräftig zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Sie war zu diesem Zeitpunkt allerdings flüchtig. Erst im Jahr 2009 erfuhr sie ihre Strafe, nach dem Check-In im Hotel in Florenz.
Klar ist damit auch: Während in Kalabrien ein Prozess gegen die reiche Gangsterin lief, arbeitete sie für eine Tochterfirma der ddp und betrieb Telefonakquise.
Auch im Fall der ddp spielten gefälschte Papiere eine gewichtige Rolle. Denn die Papiere, die T.s Reichtum belegen sollten, waren nicht echt, T. tatsächlich ohne Vermögen. Und auch dass er Teilhaber der Bitburger Brauerei sei, erwies sich als falsche Information.
Es tut sich nun ein ganz neues Szenario auf. Ein geheimer Bericht des BKA, der Kress Pro vorliegt, beschreibt das Wirken der Gruppe um Martina N. genauer. Die gesamte Gruppe – einschließlich N. – bestünde aus Mitgliedern des Morabito-Clans, heißt es in dem Dossier. Der Clan unterhält seit vielen Jahrzehnten Kontakte nach Deutschland und hat dort auch Stützpunkte. Unter anderem wurde in einem Fluss in Kalabrien bereits Ende der Achtziger Jahre Giftmüll aus der Bundesrepublik entsorgt.
Die angebliche einfache Telefonistin N. erscheint in diesem Bericht wie auch in italienischen Unterlagen in einem ganz anderen Licht: Jahrelang habe N. mit zwei weiteren Mitgliedern der Bande in Hotels gelebt. Sie war offenbar nicht für einfache kriminelle Delikte zuständig, sondern für komplexe und kompliziertere Gaunereien: Das BKA bezeichnet sie als „Organisatorin für das Abfließen von investierten Geldern aus Weltbankprogrammen, z.B. das Errichten von Blutbanken in der ehem. Sowjetunion oder von Rehakliniken in Hongkong“. Es ist nämlich keineswegs so, dass die Mafiaclans nur Schutzgelderpressung und Drogenhandel für sich betreiben. Schon jeher betätigen sie sich auch in Bereichen, um ihren Reichtum zu mehren, in denen man als unbedarfter Bürger die Mafia nicht vermuten würde.
So kennen sich die Clans auch mit komplizierten Finanzoperationen aus. Vor allem Anfang der Neunziger Jahre war der Handel mit gefälschten Wertpapieren sehr lukrativ. Zum Teil dienten dann echte Papiere auch als Währung und Sicherheiten für kriminelle Geschäfte mit anderen Organisationen. Die gefälschten Titel wurden immer wieder bei Geldinstituten, die die Fälschungen nicht durchschauten, beliehen – zum Schaden der Banken.
Weiterhin sei damals bekannt geworden, heißt es in dem BKA-Bericht, dass deutsche Rechtsanwälte sich an den Betrügereien beteiligt haben sollen. Über den Verfahrensausgang hierzu war dem BKA damals aber nichts bekannt, ebenso wie der aktuelle Aufenthaltsort der Martina N. Auch die Polizei in Amsterdam ermittele gegen die Gruppe wegen des Scheckbetrugs in Millionenhöhe.
Martina N. ist für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Aus dem Umfeld ihrer Familie heißt es, die Mutter habe keinen Kontakt mehr zu ihr. Das BKA gibt zu personenbezogenen Anfragen grundsätzlich keine Auskunft. Auch interne Dokumente wie den als geheim eingestuften Bericht kommentiert die Behörde nicht.
Einer der damaligen Geschäftsführer der ddp, Wilfried Hub, erinnert sich nicht sofort an Martina N., als wir ihn in einem Telefonat auf die Geschichte ansprechen. Hub, heute Herausgeber des Vogtland-Anzeigers, sagt, eine wichtige Person sei damals ein Rechtsanwalt in Göttingen gewesen. Dieser habe mit den ddp-Geschäftsführern Kontakt gehalten und sei zugleich das Bindeglied zu Franz T. gewesen. Der Rechtsanwalt habe ihn und seinen Kollegen Schumacher immer wieder vertröstet, als die Zahlung ausblieb.
Hub meint, vielleicht hätte ihnen damals früher auffallen müssen, dass T. nicht seriös sei, zumal dessen Rechtsanwalt ihnen Dinge erzählte, die man eigentlich nicht weitersage. Ob der Göttinger Anwalt zu den im BKA-Bericht erwähnten Rechtsanwälten gehört, mit denen die Bande kooperierte, lässt sich heute nicht mehr klären.
Als der Anwalt schließlich anbot, die Drei-Millionen-Investition in Form von Gold-Barren vorbeizubringen, dämmerte es den beiden ddp-Geschäftsführern. Sie schickten einen Kollegen aus der Region am Wohnsitz des mutmaßlichen Investoren T. vorbei. Der Mann, der behauptete, Miteigentümer der Bitburger Brauerei zu sein, lebte in Wahrheit in ärmlichen Verhältnissen mit seiner Mutter auf einem Bauernhof. Als erstunken und erlogen erwies sich auch sein Reichtum: Einem Notar wurde das Dokument vorgelegt, das er angeblich für T. beglaubigt haben sollte und das dessen Vermögen belegt. Es stellte sich heraus: es war gefälscht. Ein Bankdokument einer Luxemburger Bank: ebenso gefälscht.
Martina N. habe zu dem Investor T. damals engen Kontakt gehabt, sagt Winfried Hub heute. Dass die Mafia involviert gewesen sein soll, darauf habe es überhaupt keine Hinweise gegeben, erklärt er. Auch was deren Interesse gewesen sein soll, wo doch nie Geld geflossen ist, ist ihm unklar. Aus diesem Grund war bis zum Auftauchen der BKA-Akten die Erklärung, die Hub damals gefunden hatte, viel einleuchtender: nämlich dass sie und sein ddp-Geschäftspartner Schumacher auf einen „Spinner reingefallen waren“.
Inzwischen sieht es so aus, als sei dieser „Spinner“ von der deutsch-italienischen Gangsterbande für ihre Zwecke eingespannt worden. Angesichts der Fahndungsakte von Martina N. liegt diese Sicht jedenfalls nahe. Nur was das Ganze bezwecken sollte, das ist auch heute noch fraglich. Zwar gibt es Beispiele dafür, dass Gruppen der Organisierten Kriminalität damals in Medienunternehmen investierten. Nur flossen in diesen Fällen tatsächlich erhebliche Geldmengen. Im Fall der ddp blieb es jedoch bei leeren Worten – sehr zum Nachteil der Mitarbeiter, die wie ihre Chefs Hub und Schumacher zuschauen mussten, wie ihre Agentur in die Insolvenz rutschte.