Der staatlichen HSH Nordbank droht der nächste Skandal. Das Institut hat einen Windpark im Süden Italiens finanziert, den die Behörden beschlagnahmt haben. Der Verdacht: ein Geldwäsche-Projekt der Mafia. Es geht um rund 200 Millionen Euro.
Isola di Capo Rizzuto/ Hamburg, Oktober 2012, Stern
Das Verkehrsschild sollte einmal vor kreuzenden Kühen warnen. Inzwischen ist es von Patronenkugeln durchsiebt, und es kündet so von ganz anderen Gefahren: Hier regiert die Gewalt. Es steht an einer löchrigen Straße mitten in Kalabrien. Sie verbindet das Örtchen Isola di Capo Rizzuto mit der Provinzhauptstadt Crotone. Das graue Asphaltband schlängelt sich zwischen 48 Windrädern hindurch. Hier, tief im Süden von Italien, ist in den vergangenen fünf Jahren einer der größten Windparks des Landes entstanden.
Wenn man die 96-Megawatt-Anlage besichtigt oder gar fotografiert, dann kommt ein grauer Volvo-Kombi angefahren. Ein Mann, grauhaarig, das Hemd leger aufgeknöpft, lässt die Scheibe runter, beugt sich herüber. Er wartet darauf, dass man ihn ansieht. „Tun Sie sich nicht weh“, sagt er dann. Es sind fürsorgliche Worte, doch sie klingen wie eine Drohung. Hinsehen ist hier nicht erwünscht.
Doch schon bald könnten die Steuerzahler von Hamburg und Schleswig-Holstein gezwungen sein, nach Kalabrien zu schauen. Die „Wind Farm ICR“ der Firma „Vent1 Capo Rizzuto“ wurde nämlich von der staatlichen HSH-Bank finanziert. Mit rund 200 Millionen Euro. Aber dieses Geld ist womöglich zum Teil futsch. Der italienische Staat hat die Rotoren beschlagnahmt. Die Antimafia-Staatsanwaltschaft in Catanzaro ermittelt. Der Verdacht: Die Anlage ist ein Projekt der Mafia. Die Bank bestätigt die Beschlagnahme, will sich aber wegen der laufenden Untersuchungen nicht zu Details äußern. Gegen das Institut selbst wird nicht ermittelt.
Die Region an der Sohle des Stiefels wird vom Arena-Clan beherrscht – so sieht es die Antimafia-Kommission des italienischen Parlaments. Der Clan besteht seit Mitte der 70er Jahre, er soll mit Gewinnen aus dem Handel von Drogen und Waffen sowie Schutzgelderpressung gewaltigen Reichtum angesammelt haben. Und hat somit ein Problem: Wie lässt sich schmutziges Geld waschen und in die legale Wirtschaft einschleusen? Pasquale Arena, nach Angaben eines ausgestiegenen Mafiabosses der Vermögensverwalter des Clans, soll im Jahr 2002 die clevere Idee gehabt haben: Warum nicht einen Windpark bauen?
Und bei erneuerbaren Energien schätzt man offenbar auch im Süden Italiens Qualität „made in Germany“. Der Windpark wurde von deutschen Unternehmen geplant, finanziert, gebaut und gewartet. Offiziell wurde das Projekt nicht von Mafiosi, sondern von einem Unternehmen namens SEAS srl aus dem Steuerparadies San Marino präsentiert. Ein Schreiben der Firma aus dem Jahr 2005 war von Nicola Arena, einem Vetter Pasquales, unterzeichnet, doch dann verschwand der Name der Familie aus den Unterlagen.
Die Finanzpolizei ermittelte einige Jahre später in anderer Sache gegen die Arenas und hörte reihenweise Telefongespräche der Clanmitglieder ab. Bald erfuhren die Polizisten von den mutmaßlichen Hintermännern; die Staatsanwaltschaft gab daraufhin Ermittlungen auch in Sachen Windpark in Auftrag. Heute, nach vier Jahre dauernden Recherchen, kommen die Ermittler aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Zahlung der ersten Tranche eines Kredits in Höhe von 33 Millionen Euro, berichten zwei hochrangige Finanzpolizisten, habe die Bank unter äußerst ungewöhnlichen Konditionen überwiesen. Als Sicherheit habe das Institut nämlich lediglich eine Beteiligung an der Firma verlangt, die den Kredit beantragt hatte, die eben erst gegründete Ventuno Design GmbH. In Deutschland sind solche Projektfinanzierungen allerdings nicht unüblich.
Die finanzierende Bank – das ist die HSH Nordbank. Das Geldinstitut ist aus einer Fusion zweier ehemaliger Landesbanken entstanden und noch heute zum großen Teil in Besitz von Hamburg und Schleswig-Holstein. Die beiden Länder mussten die Bank 2009 mit einer Kapitalspritze von drei Milliarden Euro und zusätzlichen Garantien von zehn Milliarden Euro retten. Just zu der Zeit, als die HSH den Windpark in Kalabrien finanzierte. Aber wie kommt eine Staatsbank aus Norddeutschland dazu, sich in Millionengeschäfte mit der Mafia in Süditalien verstricken zu lassen?
Die HSH hatte Strom aus Wind und Sonne als neues Wachstumsfeld entdeckt und sogar einen eigenen Unternehmensbereich gegründet. In einer Präsentation lobte sich das Institut als „internationalen Sektorspezialisten im Bereich Erneuerbare Energie“. Das Portfolio umfasse „ca. 170 Parks mit einem Volumen von ca. drei Milliarden Euro“. Nahm es die Bank im Expansionsdrang mit der Wahl der Geschäftspartner nicht so genau? Zu einer ausführlichen Liste mit Fragen des stern wollte sich die HSH „aus Gründen des Bankgeheimnisses“ nicht äußern. Aber sie betont, dass man den Windpark für eine „deutsche Projektentwicklungsgesellschaft“ finanziert habe – also nicht mit italienischen Partnern.
Abgehörte Gespräche zwischen Mitgliedern des Arena-Clans deuten aber auf eine gewisse Nähe von HSH-Mitarbeitern hin. Die Ermittler hörten beispielsweise mit, als Nicola Arena seinem Vater Raffaele von dem Windpark-Projekt berichtete. Am 17. August 2010 sagte Nicola, sein Cousin Pasquale habe einen Freund, der Direktor der „äußerst berühmten Bank“ sei. Die Rede ist von der HSH. Diese habe den Park kaufen wollen. „Sie wollen sich an den Gesprächen beteiligen.“
Wenn das so stimmen würde, bedeutete dies, dass ein ranghoher Banker der HSH Kontakt zum inneren Machtzirkel des Arena-Clans hatte. Denn Pasquale Arena ist der Sohn des langjährigen Clanchefs Nicola Arena sen., der derzeit in Haft sitzt. Pasquale Arena arbeitet offiziell als Abteilungsleiter für die Gemeinde Isola di Capo Rizzuto. Sein legales Gehalt dürfte nicht ausreichen, um nur einen einzigen Windrotor zu kaufen. Doch dies hielt ihn nicht davon ab, mehr als 70 Millionen Euro in den Windpark investieren zu wollen. Der Name des 58-Jährigen steht zwar nirgendwo in den Unterlagen, er ist aber dennoch immer wieder ein Ansprechpartner für die Projektbeteiligten, wie die Ermittlungen ergaben.
Wenige Monate nach dem Gespräch zwischen Vater und Sohn kamen Bankvertreter italienischen Abhörprotokollen zufolge nach Kalabrien. Am 16. Dezember 2010 berichtete Nicola Arena am Telefon, er sei gemeinsam „mit deutschen Freunden unterwegs, von der Bank. Wir zeigen ihnen den Park.“ Im Hintergrund hörte man im BMW X5 Martin Josef Frick, einen Unternehmer aus Rosenheim und Geschäftsführer des Windparks, reden – auf Deutsch. Nicola Arena und Frick brachten die Besucher zu zwei Aussichtspunkten, von wo aus man die gesamte Anlage überblickt. Offiziell hat Arena keinerlei Funktion, dennoch führte er die Besucher über das Gelände.
In diesem Herbst ist die HSH wieder in die roten Zahlen gerutscht. Womöglich muss das Institut bald auf die Garantien der Bundesländer zurückgreifen. Und wenn es dumm läuft für die Bank, wird sie eine dreistellige Millionensumme für das kalabrische Projekt abschreiben müssen. Denn seit Juli dieses Jahres ist die Anlage vom italienischen Staat beschlagnahmt. Die entsprechende Verfügung der Antimafia-Staatsanwaltschaft in Catanzaro („Dekret über die dringende präventive Beschlagnahme“) liegt dem stern vor. Die dortigen Ermittler sind überzeugt, dass die Anlage der Geldwäsche dienen sollte. Im Februar haben sie bei der Staatsanwaltschaft in Kiel und in San Marino um Rechtshilfe ersucht. San Marino hat längst ein Aktenpaket geschickt. Die Hilfe aus Kiel wäre dringend nötig, doch bis heute warten die Ermittler auf die wichtigen Unterlagen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte dem stern lediglich den Eingang des Rechtshilfeersuchens.
Die Informationen aus Italien sollten die deutschen Behörden eigentlich alarmieren. Denn in der Beschlagnahmeverfügung ist eine enge Zusammenarbeit zwischen deutschen Unternehmern – nicht nur der HSH – und den Arenas detailliert beschrieben. Eine Schlüsselrolle hat die Ventuno Design GmbH. Die Gesellschaft war im Februar 2005 in Twist im Emsland gegründet worden. Den italienischen Ermittlern zufolge liefen alle HSHKredite über dieses Unternehmen; sie bezeichnen die Firma daher auch als „Kasse“ des Windparks. Von Anfang an beteiligt war Martin Josef Frick, der spätere Geschäftsführer des Windparks. Ventuno Design organisierte den Ermittlern zufolge die gesamten Arbeiten. Formal hatte ein italienischer Ingenieur die Planung übernommen und die Entwürfe abgezeichnet, de facto wurde die Anlage aber von einem Deutschen entworfen. Außerdem beauftragte Ventuno Design auch ein kalabrisches Unternehmen mit Bauarbeiten, das die italienischen Ermittler auf den Arena-Clan zurückführen.
Martin Josef Frick bestreitet vehement, mit der Mafia zusammengearbeitet zu haben: „Arena ist ein Name wie Müller oder Huber bei uns. Wir wollen doch keine Sippenhaft.“ Alle beteiligten Firmen hätten staatliche Bestätigungen vorgelegt, nichts mit der Mafia zu tun zu haben. Obwohl in Italien nun schon einige Jahre ermittelt wird, sind noch viele Fragen offen: etwa, welche Sicherheiten die HSH Nordbank für Kredite verlangte. Ob und wie viel Kapital der Arenas tatsächlich in dem Park steckt. Solange die italienischen Ermittler aber keine Unterstützung aus Deutschland bekommen, bleiben all diese Fragen ohne Antwort. Nach aktuellem Ermittlungsstand soll der Windpark wohl zu fast 100 Prozent von der HSH Nordbank finanziert worden sein. Es gab offensichtlich lange Zeit eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Projektträgern und der Bank.
Inzwischen scheint sich aber der Wind gedreht zu haben. Im April 2012 beschwert sich der Geschäftsführer Frick den Abhörprotokollen zufolge in einem Telefongespräch, dass er größte Probleme mit der Bank habe, er spreche von der HSH. „Sie haben angefangen mit Untersuchungen, ich muss überall abdichten.“ Die Bank gibt an, dass sie bereits ab März 2010 Unterlagen an die Ermittlungsbehörden übergeben und diesen „volle Unterstützung“ zugesichert habe. Die Anlage wird treuhänderisch verwaltet. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass der ganze Bau womöglich illegal ist: Den Ermittlern zufolge wurden erforderliche Gutachten nicht eingeholt, ein Großteil der Rotoren stehe zu nahe am Flughafen von Crotone, der gesetzliche Mindestabstand zu Wohnhäusern sei nicht immer eingehalten, einige Türme kurzerhand auf einem anderen als dem vorgesehenen Gelände errichtet worden. Geschäftsführer Frick bestreitet das.
Einen Windpark kann so eigentlich niemand bauen. Außer: Er hat viel Macht. Und die hat in Kalabrien die Mafia. Wird die Beschlagnahme auch in letzter Instanz bestätigt, geht die Anlage in das Eigentum des italienischen Staates über. Die HSH Nordbank dürfte in diesem Fall kaum mit einer Entschädigung rechnen können. In Kalabrien zeigt der Mann im Volvo auf das zerschossene Verkehrsschild. „Die großen Löcher, das muss eine Bazooka gewesen sein“, sagt er, „ich habe das früher auch gemacht, aber nur mit kleinerem Kaliber.“ Dann wünscht er einen guten Tag: „Und passen Sie auf sich auf!“ Er gibt Gas, nur um ein paar Meter weiter erneut anzuhalten und zu warten, bis der Besucher verschwindet.